Das System der freien Konkurrenz und sein Inhalt

Am Ende von Marx Ableitung des Kapitals und seiner Kreisläufe bleibt der Befund, dass die Zwecke, die die verschiedenen ökonomischen Charaktere dieser Produktionsweise selbstbewusst verfolgen, nicht die Gründe sind, aus denen sie so handeln, wie sie das tun, und dass ihre Beweggründe nicht die Zwecke bestimmen, denen sie tatsächlich zuarbeiten – ein Widerspruch, der wenigen zum Vorteil gereicht, bei den vielen den eigenen Nutzen zunichtemacht. Die wissenschaftliche Erklärung der Revenuequellen, von denen sich die Menschen ihre elementaren materiellen Interessen vorgeben lassen, verlangt daher eine Fortsetzung: die Durchführung der Kritik an den herrschenden Interessen und den dazu gehörigen falschen Vorstellungen; die Rückführung des falschen Selbstbewusstseins der nützlichen Opfer des Kapitals auf den wirklichen Inhalt ihrer ökonomischen Abhängigkeit, der in ihren Bemühungen um Gelderwerb, ihrem Mitwirken in der Konkurrenz und den paar Varianten, sich selbst und die Welt zu verstehen, enthalten und zugleich geleugnet ist.

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Systematischer Katalog

Das System der freien Konkurrenz und sein Inhalt

„Die Konkurrenz ist überhaupt die Weise, worin das Kapital seine Produktionsweise durchsetzt.“ (Karl Marx)

1.

Dass in dieser Welt „Konkurrenz herrscht“, dass sie als Prinzip zwischenmenschlichen Verkehrs allgegenwärtig ist und als ebenso gebieterisches wie anonymes Gesetz das Verhalten moderner Individuen prägt, ist bekannt.

Politiker erweisen dieser Tatsache ihren Respekt, wenn sie ihren Bürgern zur Chancengleichheit verhelfen, sei es im Ausbildungswesen oder im Wirtschaftsleben, wo ein Kartellgesetz und ein Kartellamt darüber wachen, dass um die Macht des Geldes brav konkurriert wird. Aber auch dann, wenn sie der Nation, die sie regieren, Reformen verordnen und die erforderlichen Maßnahmen als Dienst am Standort verantworten, der sich der Herausforderung stellt, die andere Standorte aufmachen. Und schon gleich bei allen Entscheidungen, die auf die Sicherheit gerichtet sind – also in den Fragen, die Staaten und ihre Führung so bewegen, weil sie sich einem Kräftemessen ausgesetzt sehen, das mit dem Willen und der Fähigkeit zum Gebrauch von Gewalt zu bestehen ist.

In der Wirtschaft, wo man sich der Produktion und Verteilung des Reichtums annimmt – im Zeitalter der Globalisierung nicht nur im Rahmen national abgegrenzter Gesellschaften, sondern weltweit –, tun und lassen die verantwortlichen Leute überhaupt nichts ohne Rücksicht auf die Konkurrenz. Die Gestaltung von Preisen und Löhnen, die Kalkulation mit Kosten und Überschüssen, die Schaffung und Streichung von Arbeitsplätzen, die Einführung neuer Produktionsverfahren – kurz: das Investieren in all seinen Abteilungen ist ebenso eine Reaktion auf den Verlauf der Konkurrenz wie ein Akt, der auf das vorteilhafte Abschneiden im Wettbewerb der Geschäftsleute und -sphären berechnet ist. Unternehmer bzw. Manager sind stets mit der Konkurrenzfähigkeit ihres Betriebs befasst; deren Fehlen ist an Misserfolgen schuld, wenn nicht gleich staatliche Hindernisse und andere widrige Geschäftsbedingungen ihre Herstellung unmöglich machen. Dann freilich sind die Erfolge der Konkurrenten oft ein Zeugnis von Verstößen gegen das Gebot der echten, freien Konkurrenz. Der praktizierte Vergleich von Produkten und Preisen, Produktivitätsziffern und Renditen ist Grund und Zweck der Entscheidungen, die von den Chefetagen in Industriekonzernen, in mittelständischen Firmen und Banken gefällt werden; und auch die amtierenden Theoretiker der Marktwirtschaft verbuchen jede wirkliche oder vermeintliche Beschränkung dieser Geschäftspraxis als schädliche Einschränkung der Freiheit.

Diese Freiheit bleibt keineswegs den oberen Zehntausend vorbehalten. Ganz gewöhnliche Leute ohne weitreichende Entscheidungsbefugnisse haben ihren Alltag lang alle Hände voll zu tun, um andere zu übertreffen. Der Weg in ein halbwegs zufriedenstellendes Berufsleben führt über Schulzeugnisse, die besser ausfallen als die der Klassenkameraden. Das Bemühen um einen Arbeitsplatz, das in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit einzelne und ganze Belegschaften beschäftigt, entscheidet sich an der höheren Qualifikation, die im Vergleich zu anderen unter Beweis gestellt wird, wobei der Vorzug auch in so merkwürdigen Fähigkeiten besteht wie Lohnverzicht und anderen unsportlichen Entbehrungen. Selbst das gesetzlich geschützte Privatleben ist bei Jugendlichen wie bei gestandenen Familienvätern und reifen Frauen erfüllt von Anstrengungen, sich an Stelle und auf Kosten von Mitbewerbern schadlos zu halten. So sehr, dass Psychotherapeutinnen und Gesetzgeber den zahlreichen Übertreibungen Einhalt gebieten müssen. Es ist freilich nicht zu übersehen, dass die Auswüchse wie Mobbing und Jugendgewalt, Familiendramen und Diskriminierung etc. die unerwünschte Konsequenz eines Lebens darstellen, das ein Kampf ist – um das knappe Gut der jeweils besseren Plätze in einer Welt von Hierarchien...

2.

Wer die Welt gerne anschaut, hat also reichlich Stoff für die Entdeckung, dass in der Konkurrenz und dem ebenso genannten Verhalten die Menschennatur winkt. Diese Würdigung hat dann auch den Vorteil, dass man sich den zusätzlichen Luxus von elaboriertem Lob auf die Konkurrenz, aber auch von Klagen über ihr unerbittliches Walten sparen kann. Genau davon gibt es aber außerdem reichlich, wobei es auf Widersprüche nicht ankommt:

  • Kaum steht fest, dass Konkurrenz „das Geschäft belebt“ und Effizienz verbürgt, die sonst angesichts der menschlichen Trägheit auf der Strecke bliebe, braucht die ungehemmte Konkurrenz jede Menge Vorkehrungen, Einschränkungen und – vor allem soziale – Korrekturen.
  • Das Bedürfnis nach Konkurrenz, dem Inbegriff der Freiheit, tritt, historisch und immer wieder, als Forderung an die politische Macht auf; und kaum bricht der Staat mit Marktwirtschaft & Demokratie der Freiheit Bahn, gibt es Betroffene, die im Wettbewerb – dem harten, der herrscht – ein einziges Ensemble von Zwängen gewahren.
  • Im Reich der Politik herrscht deswegen eine muntere Konkurrenz um die machtvolle Organisation der Konkurrenz, im inneren wie äußeren Staatsleben. Die Freisetzung der Menschennatur gegen Monopole und gesetzlich-bürokratische Regulierungswut, von Prohibition und Protektion braucht ein gestandenes Maß an gewaltgedeckter Maßregelung, auch international. Sie ist gleichbedeutend mit der Ausgestaltung eines Systems, in dem gerade die, die über die Zwänge Klagen führen, gerne heimisch sind und tatkräftig bleiben wollen. Exemplarisch: Unternehmer, die wegen der gnadenlosen Konkurrenz leider wieder eine Massenentlassung veranstalten müssen. Diese Wende – von der Klage zum Schluss auf die konsequente Ausübung des Gewerbes, bei dem man angeblich vor lauter Zwang keine Luft für freie Entscheidungen mehr kriegt – ist wiederum kein an Kapitalisten verpachtetes Privileg. Den Kunstgriff, sich in aller individuellen Freiheit für die Anpassung an die beweinten Zwänge zu entscheiden, kriegen alle hin. Unterschiede ergeben sich aus der gesellschaftlichen Mission, in die es einen verschlagen hat.

3.

Erstaunlich der Weitblick von Marx, der nicht nur behauptet hat, dass „die Konkurrenz nichts erklärt“. Dem auch aufgefallen ist, dass nicht „das Individuum“ freigesetzt ist in der Konkurrenz, der Schule für selbstbewusste Charaktermasken vorgegebener Verhältnisse. Der gemeint hat, in den Sachen, um die, den Mitteln, mit denen, den Erfolgskriterien, nach denen in der modernen „Erwerbsgesellschaft“ konkurriert wird, die innere Natur des Kapitals vor sich zu haben, realisiert als Wechselwirkung der vielen Kapitalien aufeinander, und für den klar war, dass die Konkurrenz der Arbeiter unter sich nur eine andere Form der Konkurrenz der Kapitalien ist.

Den Nachweis hat Marx in seinem Hauptwerk mit der Erklärung der Sache geführt, um die in dieser Gesellschaft konkurriert wird, weil sie das allgemeine Lebensmittel ist: mit der Analyse des Geldes und der Darlegung der darin enthaltenen objektiven Notwendigkeiten, der Verwertung des Kapitals und ihrer Konsequenzen. Die Erwerbsquellen, die die freien Bürger der modernen Gesellschaft als Mittel ihres Lebensunterhalts handhaben – zuerst: Kapital als Quelle von Zinseinkommen, Entgelt für Arbeit, Rente aus Grundbesitz –, ergeben sich als die Formen, in denen die „innere Natur“ des Kapitals „erscheint“: notwendige Produkte einer Ökonomie, die vollständig entfaltet, was in der Privatmacht des Geldes schon enthalten ist. Dieses Ergebnis schließt die Kritik des instrumentellen Umgangs der freien Persönlichkeiten mit ihrer jeweiligen Revenuequelle ein: Was die jeweils für ihr Mittel halten, das – mehr oder weniger – gemäß ihren Zwecken funktioniert, ist seiner ökonomischen Natur nach Moment in der Bewegung des Kapitals, ist Teil und Mittel der Vermehrung des Geldes nach eigenen Gesetzen, denen die Konkurrenzsubjekte sich unterwerfen, wenn sie sich bemühen, für sich das Beste daraus zu machen. Wenn die Menschen sich im Interesse ihres Gelderwerbs der Mittel und Fähigkeiten bedienen, die ihnen dafür zur Verfügung stehen, dann bedienen sie tatsächlich mit ihren Bedürfnissen und ihrem gesamten Einsatz Notwendigkeiten des Kapitals.

Dass Marx die Verkehrung von Zweck und Mittel im bürgerlichen Erwerbsleben bei Gelegenheit mit der generalisierenden Formel gekennzeichnet hat, dass „das Sein“ – nämlich die objektiv gegebene Privatmacht des Geldes – „das Bewusstsein bestimmt“ – nämlich zum Gebrauch und insoweit zur Anerkennung dieser Macht als universelles Lebensmittel nötigt –, ist ihm von Erkenntnistheoretikern unterschiedlicher Observanz, bürgerlichen Wissenssoziologen und sozialistischen Ideologen der Klassenbedingtheit des Denkens mit einem anhaltenden begeisterten Missverständnis gedankt worden.

4.

Konkurrenzsubjekte mit so zuverlässig falschem Bewusstsein brauchen eine Gewalt, die ihnen verträgliches Verhalten aufzwingt. Denn zwischen den Revenuequellen, die mit Notwendigkeit aus der „inneren Natur des Kapitals“ folgen, herrscht alles andere als Harmonie. So sehr sie einander brauchen, so gegensätzlich sind die Erwerbsinteressen der Beteiligten. Dass sie alle um dasselbe konkurrieren, um ihren Anteil am Ergebnis der Kapitalverwertung, an der sie gemäß den herrschenden Notwendigkeiten mitwirken, hindert sie zwar an der Aufkündigung ihrer widersprüchlichen Stellung zueinander, macht aber eine hoheitliche Gewaltinstanz, die Regeln der Vereinbarkeit unverträglicher Interessen dekretiert und durchsetzt, nicht nur objektiv notwendig, sondern auch im Prinzip für alle plausibel; auch, sogar vor allem für die Mehrheit, die mit ihrer Arbeit für Geld ihre eigene dienende Stellung als ausgebeuteter Bestandteil des Kapitals reproduziert und so zu ihrem Schaden den systemgemäßen Nutzen weniger Eigentümer bedient: Einmal auf ihre prekäre Erwerbsquelle festgelegt, schlicht mangels praktikabler Alternativen, sehen sie im Recht und seinem Hüter nicht den Garanten ihrer elenden Position im System, sondern den einzig verfügbaren Schutzherrn ihrer Bemühungen, aus ihrer Position gegen deren „Logik“ und gegen ihresgleichen für sich etwas zu machen. Mit ihren historischen Revolutionen hat es die bürgerliche Gesellschaft, auch wenn sie sich mittlerweile gerne „Zivilgesellschaft“ nennt, daher nie zur Überwindung hoheitlicher Gewalt, sondern genau dahin gebracht, die Herrschaft auf die Durchsetzung der „Sachzwänge“ festzulegen, die das Kapital braucht, um in der Wechselwirkung der vielen Kapitalien aufeinander einschließlich der Konkurrenz der Arbeiter unter sich und der Auseinandersetzung mit dem Grundeigentum zu funktionieren und seine Fortschritte zu machen.

Die Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise mit der Ableitung des bürgerlichen Staates, der Konkurrenz der Nationen und der Schaffung des Weltmarkts fortzusetzen, das stand daher auf Marx’ To-do-Liste; die abzuarbeiten, hat er nicht mehr geschafft. Leider. Den großen Fehler der kommunistischen und sozialistischen Parteien, in der Staatsgewalt und ihrer Rechtshoheit den Schirmherrn zu sehen, dessen wahrer Beruf und historische Aufgabe es wäre, dem „Faktor Arbeit“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Proletariern ihr volles Bürgerrecht auf freies Mit-Konkurrieren zu verschaffen: den hat Marx zwar noch kritisiert. Begangen hat ihn die Arbeiterbewegung trotzdem; und ihre theoretisierenden Repräsentanten haben zu ihrer verkehrten Praxis verkehrte Theorien über den Staat und die internationalen Beziehungen entwickelt, von denen nach einem jahrzehntelangen verkehrten Streit über die Alternative „Reform oder Revolution“ und nach der Selbstaufgabe des zeitweilig erfolgreichen „realen Sozialismus“ gleich gar nichts Bedenkenswertes mehr übrig geblieben ist. Die wissenschaftliche Lücke ist mit einem Jahrhundert Verspätung zwar ausgefüllt worden.[1] Doch das hat schon damals den in Westeuropa aufgekommenen linken, an Marx interessierten Zeitgeist theoretisch nur wenig korrigiert, am Verfall der einstigen Arbeiterbewegung praktisch nichts geändert und bislang kein öffentlich wahrnehmbares Echo gefunden.

5.

So viel ist klar: Die Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise führt nicht nur zu der Feststellung, dass sich Nutznießer und Geschädigte ziemlich sauber scheiden lassen. Sie ist objektiv ein Einspruch gegen die Bereitschaft der Geschädigten, sich mit allem Engagement den Gesetzen dieser Produktionsweise zu unterwerfen, und eine radikale Kritik des Bewusstseins, mit dem sie das tun.

Denn tatsächlich läuft ja niemand, vom Aktienbesitzer über den Studienrat bis zum Zeitarbeiter oder Mini-Jobber, mit dem Selbstbewusstsein herum, direkt oder um ein paar Ecken herum Knecht der Privatmacht des Geldes und ihrer kapitalistischen Vermehrung zu sein. Alle betrachten die ökonomischen Zwänge des Gelderwerbs, in denen sie sich bewähren müssen, samt der staatlichen Absicherung dieser Zwänge als ebenso viele Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten ihres Erwerbs sowie als Chance, ja als Garantie ihrer Freiheit, das Beste für sich daraus zu machen.

So gilt etwa die Sache, die den Arbeits- und Lebensprozess der bürgerlichen Gesellschaft beherrscht, das Kapital, nicht bloß den Eignern und Nutznießern dieses Reichtums, sondern ebenso den Instanzen des Gemeinwohls und den lohn-„abhängig Beschäftigten“ bis zur „prekären“ Hilfsarbeiterexistenz als unentbehrliches Lebensmittel, für den Einzelnen wie für das Gemeinwesen insgesamt; und das schlicht deswegen, weil Arbeit und Leben in der modernen Welt vollständig davon abhängen; nach der erbärmlichen Logik, dass totale, alternativlose Abhängigkeit der beste Grund ist, für ihr Funktionieren Partei zu ergreifen. Die Schäden am Lebenslauf durchschnittlicher Zeitgenossen, die dieses Regime mit sich bringt – und deren Bewältigung die öffentliche Gewalt organisiert –, werden nicht ihrer Ursache zur Last gelegt, sondern vom Standpunkt der Unentbehrlichkeit „des Wachstums“ als Konsequenz zu geringen oder mangelhaften Kapitaleinsatzes interpretiert. Die Klasse der Kapitaleigentümer und ihrer leitenden Funktionäre versteht ihre Herrschaft über Arbeitseinsatz und Entlohnung der Masse der Gesellschaft und die Abgaben aus ihren Gewinnen, mit denen der Staat die entsprechende Ordnung: die Macht ihres Geldes und die aus ihren Geschäften resultierenden Unkosten finanziert, als Dienst am gemeinen Wohl, der sie zur Würdigung ihrer Geschäftsinteressen als Quelle aller Wohlfahrt berechtigt. Den Dienst, den diese Leute wirklich leisten, nämlich an den Erfordernissen des Gewinnemachens, die keiner von ihnen erfunden, vielmehr jeder als selbstverständlichen Sachzwang seines Reichtums vorgefunden hat, nehmen sie umgekehrt als ihre ureigene Leistung wahr und als Ausweis ihrer Geschäftstüchtigkeit, die sie zu ihrem verantwortungsvollen Job qualifiziert, immer reicher zu werden. Die geschäftstüchtig ausgenutzten Arbeitskräfte stehen ihren Chefs in Sachen Selbstbewusstsein nicht nach. Sie sind zwar immer wieder damit konfrontiert, dass die Abhängigkeit ihres Lebensunterhalts von einer erfolgreichen Kapitalverwertung auf ihre Kosten geht. Doch weil sie kein anderes Lebensmittel haben, machen sie den Arbeitsplatz, der vorgegebene Leistung und festgelegtes Entgelt in geschäftsdienlicher Weise kombiniert, zum ersten und entscheidenden Inhalt ihrer materiellen Interessen; und weil die Unterwerfung unter die gestellten Anforderungen und der Einsatz ihres Arbeitsvermögens für deren Erfüllung ihre eigene, freiwillig erbrachte, mit allerlei eigennützigen Berechnungen verbundene Leistung ist, legen sie sich ihren Dienst am Kapital als ihren persönlichen Beruf zurecht. Zu Forderungen an den Staat, vor allem nach Anerkennung ihrer für sie selbst wenig lohnenden Arbeit und nach einem Quantum Fürsorge, finden sie sich auch berechtigt; dass der und seine Wirtschaft sich ihrer Dienste bedienen, begründet mehr Standesstolz auf die eigene Wichtigkeit als die Erkenntnis, die abhängige Variable des Kapitals zu sein... Und so weiter.

Am Ende von Marx’ Ableitung des Kapitals und seiner Kreisläufe bleibt also der Befund, dass die Zwecke, die die verschiedenen ökonomischen Charaktere dieser Produktionsweise selbstbewusst verfolgen, nicht die Gründe sind, aus denen sie so handeln, wie sie das tun, und dass ihre Beweggründe nicht die Zwecke bestimmen, denen sie tatsächlich zuarbeiten – ein Widerspruch, der wenigen zum Vorteil gereicht, bei den vielen den eigenen Nutzen zunichtemacht. Die wissenschaftliche Erklärung der Revenuequellen, von denen sich die Menschen ihre elementaren materiellen Interessen vorgeben lassen, verlangt daher eine Fortsetzung: die Durchführung der Kritik an den herrschenden Interessen und den dazu gehörigen falschen Vorstellungen; die Rückführung des falschen Selbstbewusstseins der nützlichen Opfer des Kapitals auf den wirklichen Inhalt ihrer ökonomischen Abhängigkeit, der in ihren Bemühungen um Gelderwerb, ihrem Mitwirken in der Konkurrenz und den paar Varianten, sich selbst und die Welt zu verstehen, enthalten und zugleich geleugnet ist. In praktischer Hinsicht geboten ist die Realisierung des Einspruchs gegen das Arrangement mit dem System kapitalistischer Ausbeutung der Arbeit, das die Masse der selbstbewusst tätigen Konkurrenzsubjekte tagtäglich hinkriegt.

Auch das: die systematische Erklärung der Welt der Konkurrenz, in der „die innere Natur des Kapitals“ verkehrt erscheint, hat Marx sich vorgenommen und nicht mehr realisiert. Sein Einspruch gegen die prinzipiell affirmative Stellung der Gewerkschaften und Arbeiterparteien zur Lohnarbeiterexistenz, gegen die Entwicklung eines proletarischen Standesinteresses an gerechter Würdigung der Lohnarbeit, gegen den Stolz auf die eigene staatstragende Bedeutung, zu der die Vertreter der Arbeiterbewegung ihre Follower regelrecht erzogen haben, war entschieden genug, ist aber historisch wirkungslos geblieben. Sozialdemokratische Reformer haben den praktischen Nachweis geführt, dass ein solches Emanzipationsprogramm mit Unterwerfung unter die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung durchaus vereinbar, im kapitalistischen Staat gut zu realisieren und sogar sehr bekömmlich ist für die Produktivität des Kapitals. Linke Revolutionäre haben es geschafft, mit der eroberten Staatsgewalt die Kapitalistenklasse und Zwänge wie Sitten der freien Konkurrenz durch ein Planungssystem zu ersetzen, das die Lohnarbeit in ein Dienst- und Vergütungsverhältnis zur höchsten Gewalt überführt, den stolzen Werktätigen damit freilich nicht wirklich genützt hat. Marx’ theoretische Erben sind mit dem Gegensatz der wissenschaftlichen Erklärung des Kapitals zur systemkonformen Fehldeutung der Erfahrungswelt der Konkurrenzsubjekte auf ihre Art nicht weniger verkehrt verfahren. Manche haben der Analyse des Geldes und der Ableitung des Kapitals und seiner Formen eine teleologische Geschichtsdeutung entnommen, so als hätte Marx die Eigenbewegung des Verwertungsprozesses nicht kritisiert, sondern zur Selbstüberwindung „des Systems“ verklärt. Kritische Geister, die weder mit der fortdauernden kapitalistischen Realität in Streit geraten noch auf Marx als Autorität in Sachen radikaler Kritik verzichten woll(t)en, sprechen der Kritik der politischen Ökonomie jeden sachlichen Erklärungswert ab und dafür die Qualität einer Denkmethode zu, die es erlaubt, gebietet, ermöglicht oder was auch immer, die ökonomische Welt als historisch gewordene und deswegen veränderbare zu interpretieren. Manche Marxologen haben die Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise unter die ihnen vertraute Art sozialwissenschaftlicher Theoriebildung subsumiert und als ein Hypothesengebäude aufgefasst, dessen zweifelhafter Realitätsgehalt durch empirische Studien und weiträumige Statistiken zu Profitraten und Kapitalwachstum erst noch zu verifizieren wäre. Ganz viele Freunde des theoretischen Lebenswerks von Marx haben sich für dessen Inhalt überhaupt nur unter dem Gesichtspunkt des Woher und Wohin: der von Marx benutzten Quellen und beerbten Vorläufer sowie der Nachwirkungen seines „Denkens“ interessiert. Nur um die fällige Fortsetzung seiner Kritik, die geplante Fortführung seines wissenschaftlichen Programms hat sich kaum jemand bemüht: nicht um die Einlösung des allgemeinen Resultats der Kapital-Ableitung, dass in den Interessen der Agenten der Produktionsweise, in deren zweckmäßigem Handeln und auch in den dazu zirkulierenden Ideologien die „innere Natur des Kapitals“ in verkehrter Form erscheint, also im „marktwirtschaftlichen“ Treiben dessen Begriff aufzufinden und den Betroffenen selbst klarzumachen ist; schon gar nicht um eine systematische Darlegung, wie die Besitzer und Funktionäre des gesellschaftlichen Reichtums, Kapitalisten und Politiker, zusammen mit ihrem lohnabhängigen Fußvolk, alle aus Eigennutz und in getreuer Wahrnehmung der Erfordernisse ihres jeweiligen Berufs, alles das wirklich machen, was Marx aus dem Begriff des Geldes und den Notwendigkeiten seiner Vermehrung gefolgert hat.

6.

Auch theoretisch bleibt also einiges zu tun – praktisch ohnehin noch alles.

In Sachen Theorie ist das Eine die Daueraufgabe, Klarheit darüber zu stiften, inwiefern das, was sich in der Welt ökonomisch und politisch abspielt, weder Zufall noch Machenschaft, vielmehr die Art und Weise ist, wie der Kapitalismus seinen Gang geht: wie das System der Ausbeutung von Mensch und Natur, der Unterwerfung von Arbeit und Reichtum unter die Gesetze der Geldvermehrung, das Marx auf den Begriff gebracht hat, funktioniert; wie die souveräne Staatsgewalt das ertragreiche Funktionieren dieses Systems zu ihrer Sache macht und ihr Volk dafür vereinnahmt; wie die modernen Staaten das Kapital zu weltweiter Konkurrenz ermächtigen und gegeneinander um das Regime darüber und den Nutzen daraus konkurrieren. Denn die Welt von Geschäft und Gewalt, die so ihren Gang geht, ist voll mit interessierten Deutungen dessen, was sie anrichtet: konkurrierenden Interpretationen vom Standpunkt konkurrierender bis gegeneinander feindlicher Interessen aus. Um sich dieser Konkurrenz der Interpretationen zu entziehen, also der real existierenden Konkurrenz der herrschenden Interessen die geistige Gefolgschaft zu kündigen und sich mit den herrschenden Selbstverständlichkeiten anzulegen, braucht es permanent richtige Argumente. Um die bemüht sich seit 1992 die Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt – man soll wenigstens nachlesen können, warum das Weltgeschehen keine Parteinahme verdient, schon gar nicht vom Standpunkt derer, die in diesem Geschehen für die Rolle der unentbehrlichen nützlichen Idioten vorgesehen sind.

Der theoretischen Sicherheit in diesem auf Dauer – und auf praktische Relevanz – angelegten Bemühen ist das Unternehmen gewidmet, im Anschluss an die Ableitung des Kapitals, des bürgerlichen Staates, des modernen Imperialismus sowie der Errungenschaften des Finanzgewerbes und des Weltmarkts systematisch darzulegen, welche Notwendigkeiten die Akteure einer Welt ins Werk setzen, in der „Konkurrenz herrscht“, und mit welcher eigenen Logik sie das tun. Wir beginnen mit der Tätigkeit der Kapitalisten, der Sachwalter jener Interessen, die die moderne Ökonomie regieren, inzwischen im Weltmaßstab. Es wird erklärt, wie die Zeitgenossen, die – als Eigentümer oder als Manager – über Kapital als Quelle ihres Einkommens verfügen, in der Verfolgung ihres Erwerbsinteresses Punkt für Punkt die Sachzwänge produzieren, die ihrem ökonomischen Mittel eigen sind; wie die öffentliche Gewalt ihnen dabei als Aufsichtsinstanz und Vollstreckungsorgan zur Seite steht; wie sie darüber zu Charaktermasken ihres eigenen Regimes über Arbeit, Natur und geschaffenen Reichtum auf dem Globus und als solche zur herrschenden gesellschaftlichen Klasse werden. Die Ableitung der die Welt beherrschenden Produktionsweise aus dem Beruf eigennütziger kapitalistischer Bereicherung – unterteilt in 5 Kapitel à 6 Paragraphen gemäß dem anschließend abgedruckten, im Einzelnen noch unfertigen Schema – fängt an bei den Prinzipien der Herstellung gesellschaftlich benötigter Güter durch Privateigentümer für lohnenden Verkauf; Prinzipien, die im öffentlichen Bewusstsein mit seinem begierigen Interesse an den jeweils neuesten Errungenschaften des „globalisierten“ Kapitalismus und den heißesten Winkelzügen seiner Macher kaum Beachtung finden, obwohl es eben die der ganzen Produktionsweise sind: Von denen handelt das hier vorgelegte Kapitel I. Die folgenden Kapitel führen dann, so folgerichtig wie die Praxis der Unternehmer und der politisch Zuständigen, weiter bis zur widersprüchlichen Symbiose von Kapitalwachstum, Weltfinanzmärkten und imperialistischer Gewalt, die das nationale wie internationale Geschehen bestimmt.

Das Schicksal derer, die unter diesen Verhältnissen die Arbeiten verrichten, die es zur Produktion wie für die kapitalistische Weise der Produktion braucht, ist in den Forderungen und versachlichten Zwängen des kapitalistischen Regimes über Arbeit und Reichtum eingeschlossen – was auch sonst, bei einem so alternativlos herrschenden Regime. Die „abhängig Beschäftigten“, die entweder fürs Kapitalwachstum nützlich gemachten oder als nutzloser Überschuss verwahrlosenden Massen der Weltgesellschaft finden deswegen in der Ableitung der Profession kapitalistischer Bereicherung mit ihren fatalen Konsequenzen schon ihren Platz – eben den, den der zum System verfestigte Erwerbssinn ihrer Arbeitgeber und die staatliche Ordnung ihnen zuweisen. Als freie vollwertige Bürger mit einem eigenen anerkannten Erwerbsinteresse und einem eigenen Erwerbsmittel, der staatlich geschützten Verfügung über sich selbst und ihr Arbeitsvermögen, sind die Mitglieder dieser großen Mehrheit aber nicht bloß die abhängige Variable, das politökonomische Produkt des kapitalistischen Regimes. Sie – „wir alle“ – ringen, alternativlos und deswegen gleichfalls mit fataler Konsequenz, um einen Lebensunterhalt aus Arbeit im Dienst des Kapitals oder an den Bedingungen seines Wachstums. Auch diese Mehrheit fordert und erfährt Berücksichtigung durch die Kapitalisten und Betreuung durch den Staat. Mit Wille und Bewusstsein reproduziert sie sich – freilich als die abhängige Manövriermasse der herrschenden Klasse und der staatlichen Herrschaft. Ihre politökonomische Identität als besondere gesellschaftliche Klasse kriegt sie nicht nur verpasst, sondern macht sie sich zu eigen. Dabei enthält jede Bestimmung dieser Identität, jeder Fortschritt in der Logik des Gelderwerbs im Dienst an fremder Bereicherung, auch immer weiter bestimmte Gründe für die Kündigung dieses Verhältnisses – und die jeweils fälligen zusätzlichen Anstrengungen der Betroffenen, mit der eigenen prekären Existenz klarzukommen, wie der Öffentlichen Gewalt, das Unmögliche wirklich und diese Existenzweise haltbar zu machen.

Auch das ist nicht bloß einer der Dauergegenstände unserer Zeitschrift, sondern wird Gegenstand einer systematischen Erläuterung in Form einer Ableitung, der Natur der Sache gemäß parallel zur Konkurrenz der herrschenden Klasse ums Wachstum ihres Reichtums. Da geht es dann um den theoretischen Nachvollzug der Notwendigkeiten, denen die abhängige Klasse im Kapitalismus so alternativlos unterworfen ist und sich mit so großer Mühe anpasst; also um die Kritik des systematischen Fehlers, den die Opfer des Systems machen; des Fehlers, von dem immerhin der Bestand der herrschenden Produktionsweise mitsamt ihrer politischen Herrschaft abhängt; dessen Überwindung also die einzige Alternative eröffnet, die nicht auf die beständig „revolutionierte“ Fortsetzung – um mit Marx zu reden – „der ganzen Scheiße“ hinausläuft.

[1] Siehe Resultate der Arbeitskonferenz Nr. 3, Der bürgerliche Staat, und Nr. 4, Imperialismus (I), München 1979; neu aufgelegt im Gegenstandpunkt Verlag.