Die Islamische Republik Iran
Noch ein Feind der westlichen Welt, noch ein Gegner im amerikanischen ‚Krieg gegen den Terror‘

Für die Mullahs steht der Kapitalismus, den sie beibehalten, in Gegensatz zu ihrer moralischen Sittenlehre. Unerwünschte Auswirkungen dämmen sie mit staatlichen Ge- und Verboten ein: sie verstaatlichen die Ölindustrie, relativieren ihre internationalen Geschäfte, schaffen für das Volk die materielle Lebensgrundlage für ein gottgefälliges Leben. Damit stehen sie in Widerspruch zu den USA, die es nicht dulden wollen, dass sich ein Staat in der für sie strategisch wichtigen Golfregion ihrem Zugriff entzieht. Per amerikanischer Definition wird der Iran zum Terrorstaat erklärt, den es zu bekämpfen gilt. Der Iran bemüht sich unter dem Titel der Kooperation mit den USA um Schadensbegrenzung. Europa und Russland versuchen daraus politischen und wirtschaftlichen Nutzen für sich zu gewinnen.

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Die Islamische Republik Iran
Noch ein Feind der westlichen Welt, noch ein Gegner im amerikanischen ‚Krieg gegen den Terror‘

An Eindeutigkeit lässt das Urteil, das von Washington aus über den Iran gefällt wird, nichts zu wünschen übrig. Im Blick der Weltmacht stellt sich dieser Staat als eine einzige Akkumulation all der Gründe dar, durch die sie sich in ihren Sicherheitsinteressen verletzt und zum entsprechend militanten Vorgehen gegen ihn verpflichtet sieht. Seitdem es sie gibt, verschließt sich die Herrschaft der Mullahs allen zivilisatorischen Segnungen von Demokratie und Freiheit. Daheim im Wesentlichen mit der Unterdrückung ihres Volkes befasst, fällt diese Mullokratie außenpolitisch mit in Wort und Tat praktiziertem Anti-Amerikanismus auf. Sie verhilft dem Restbestand an organisierter politischer Opposition gegen Israel, den es noch gibt, zu einigen Mitteln, ist also ein Staat, der Terrorismus unterstützt; alle Mal herstellbare Verbindungen zum Netzwerk der Al-Kaida bestätigen, dass es sich bei ihm gewissermaßen um die Mutter des modernen Terrorismus handelt. Sein Atomprogramm fügt der Bedrohung, die von diesem anti-amerikanischen, Terror unterstützenden Staat ausgeht, noch die Massenvernichtungswaffen hinzu, die ihn endgültig zum erstklassigen Sicherheitsrisiko für Amerika machen – und damit gleich nach dem Krieg gegen Irak auch zum – nächsten, übernächsten, … – Fall, an dem der amerikanische Weltfrieden praktisch-gewaltsam durchgefochten werden will.

So eindeutig dieses Urteil ist: Insofern es über die Subsumtion dieses Staates unter die sicherheitspolitischen Maximen zustande kommt, denen die USA ihre neue, postsowjetische Ordnung der Welt gemäß machen wollen, gibt es nicht über ihn, sondern in erster Linie über die ebenso grundsätzliche wie unversöhnliche Feindschaft Auskunft, die ihm von den USA angetragen wird. ‚Terrorstaat‘: Unter diese Rubrik fällt eine Herrschaft, welcher der amerikanische Präsident jeden anerkennenden Respekt verweigert – allein das macht einen Staat wie Iran zu dem ‚verbrecherischen‘ Un-Staat, den es als solchen dann nicht nur zu ächten, sondern perspektivisch auch zu entmachten gilt. ‚Massenvernichtungswaffen‘: Das sind Waffen, die Amerika als ganz reale Bedrohung auf sich bezieht, auch wenn es sie real noch gar nicht gibt; die also jedem Staat, der sich unerlaubt darum bemüht oder im Verdacht solchen Bemühens steht, präventiv, d.h. noch bevor er sie hat, aus der Hand geschlagen werden müssen – durch wen, ist auch da keine Frage. ‚Undemokratisch‘: Das meint nicht nur den Tatbestand der Abweichung von bürgerlichen Herrschaftssitten und schon gar nicht mangelnden Respekt einer Obrigkeit vor den wirklichen Interessen und Meinungen ihrer unzufriedenen Volksmassen; der Vorwurf kriminalisiert eine Politik, die den Belangen der allergrößten und allermaßgeblichsten Demokratie auf Erden widerspricht, mitsamt dem Regime, das so verkehrt handelt, und überhaupt die Gesamtverfassung des Gemeinwesens, in dem ein solches Regime mit einer solchen Politik Bestand hat und womöglich sogar bei einer Mehrheit Rückhalt findet – eine dritte Art und Weise, auf die Amerika sich das unzweifelhafte Menschenrecht zuspricht, die Menschheit von solch einem Herrschafts-Unwesen zu erlösen.

Ein ernster Störfall in der amerikanisch definierten Ordnung der freien Welt zu sein, den es als diesen auszumerzen gilt: Das ist das gültige politische Urteil über den Iran, und seitdem es steht, kann dieser Staat einfach nichts mehr richtig machen. Alles, was er politisch unternimmt, alles, was er zu tun unterlässt, aber auch das, woran er festhält, obwohl es ihm von maßgeblicher Seite verboten wurde: All das ist Indiz für die Bösartigkeit seiner Umtriebe, daher auch für die Dringlichkeit, ihn als Fall, der Amerikas Sicherheit bedroht, zu erledigen. Unterstützt er die Schiiten im Irak, dann nur, um den Aufbau des zerstörten Landes zu torpedieren und dort ein weiteres Mullah-Regime zu errichten; hält er sich ersichtlich zurück, so nur, um ungestört den Bau der Atombombe voranzutreiben und hinterher richtig zuschlagen zu können. Ein ganzes Staatswesen ist auf nichts anderes aus, als für den weltweiten Nachschub an Terroristen zu sorgen; seine ganze Staatsräson besteht darin, Amerika übel mitspielen zu wollen: Wenn die Feindschaftserklärung der Weltmacht feststeht, dann steht auch das Feindbild.

I. Das Objekt der Feindschaft: Ein revolutionärer Umsturz im Namen höherer Gerechtigkeit

Zu Feinden des Westens haben sich die iranischen Mullahs durch die erfolgreiche Mobilisierung des Volks gegen den regierenden Statthalter westlicher Interessen in Persien gemacht. Ins Werk gesetzt haben sie eine islamische Revolution – ein ‚Verbrechen‘ ganz anderer Art als das, welches ihnen seitdem vom Westen zur Last gelegt wird. Materielle Gründe für ihren Aufstand gegen den Schah Reza Pahlevi hatten die persischen Volksmassen nämlich genug. Das große Projekt des kaiserlichen Regenten, mit Erlösen aus dem Ölgeschäft aus Persien eine moderne kapitalistische Industrienation zu machen, zahlte sich für ihn und seine herrschaftliche Elite, für eine Hand voll heimischer Geschäftsleute und für die zupackende internationale Geschäftswelt aus – das Volk bekam es überwiegend negativ zu spüren: Wo im Zuge dieser ‚Modernisierung‘ Persiens die überkommenen Produktionsverhältnisse politisch ausgehebelt wurden, setzte dies viele Perser nicht nur von feudalen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen frei, sondern auch von allen, noch so bescheiden dimensionierten Mitteln ihrer bisherigen ökonomischen Existenzsicherung. Der davon verschonte Rest der Landbevölkerung, der nach dem Willen des Schah gerne weiter seinem Grundherren zu Diensten sein und in den traditionellen Formen ländlichen Elends über die Runden kommen durfte, bekam mit den Maßnahmen der kaiserlichen ‚Weißen Revolution‘ handfest zu spüren, was es heißt, nach Maßgabe der in Kraft gesetzten Regeln kapitalistischer Geschäftemacherei einfach überflüssig zu sein: Ihm wurde die Chance eröffnet, zusammen mit allen anderen Paupers im Land in die spärlichen industriellen Zentren oder nach Teheran zu wandern und sich dort irgendwie nützlich zu machen – und das war keine Chance, da nach einer kapitalistisch nutzbringenden Verwendung der angebotenen Arbeitskraft auch dort kein Bedarf bestand. So fand für das überflüssig gemachte Volk die Emanzipation von alten Benutzungs- und Abhängigkeitsverhältnissen ihren Abschluss in den gleichermaßen alternativ- wie hoffnungslosen Praktiken, mit denen sich überall in der für ‚marktwirtschaftlichen‘ Fortschritt erschlossenen Staatenwelt eine kapitalistisch nicht brauchbare Bevölkerung um ihr Überleben in Elend kümmert. Wahrgenommen und als Argument für einen Aufstand gegen ihre Herrschaft gelten lassen haben die Perser ihr materielles Elend allerdings aus einem höheren rechtfertigenden Grund: Unter Anleitung ihrer vom Schah der religiösen Autorität beraubten und in die Opposition gedrängten islamischen Sittenlehrer kündigte das Volk im Namen Allahs seinen Gehorsam gegenüber der Herrschaft auf. Ihre wahre gemeinschaftliche Identität als Nation erschloss sich den persischen Massen aus der Gehorsamspflicht dem jenseitigen Befehlshaber gegenüber, die sich für einen anständigen Rechtgläubigen sowieso von selbst versteht. Am Ideal eines dieser fiktiven Allmacht verpflichteten Sittengesetzes wurden die politischen Verhältnisse im Land gemessen – und die Deutung, welche die Lebenslage des Volkes, die Pracht des Schah-Regimes und die Quelle, der sich beides verdankte, auf diesem Wege erfuhr, war eindeutig: Als verletztes höheres Recht des Volkes auf Rücksichtnahme seitens der irdischen Obrigkeit wurde gedeutet, was die Politik des Schah den Massen bescherte, sein Regime daher als volksfeindliche Fremdherrschaft. Dagegen stand in Persien das Volk auf, verjagte seinen Herrscher – und ersetzte ihn durch seine geistlichen Führer, um ab sofort von diesen kommandiert zu werden. Deren Alternative zur politischen Herrschaftsräson des Schah ließ es sich wie selbstverständlich einleuchten, nämlich die Unterwerfung unter ein Staatswesen, in dem sich ein persisch-autochthoner Wille zur gemeinsam gelebten Sittlichkeit ‚kristallisiert‘:

„Aus der Sicht des Islam geht der Staat nicht aus dem Klassendenken oder der Hegemonie von Individuen bzw. Gruppen hervor, sondern er ist die Kristallisation des politischen Ideals eines in Religion und Denkweise gleich gesinnten Volkes, das sich organisiert, um bei dem geistigen und ideologischen Entwicklungsprozess den Weg zu seinem letztendlichen Ziel – den Weg zu Gott hin – zu ebnen. Ziel (ist), durch islamische Prinzipien eine vorbildliche Gesellschaft aufzubauen. (…) Aufgabe der Verfassung (ist), die glaubensmäßigen Grundlagen zu objektivieren und Voraussetzungen zu schaffen, unter denen sich der Mensch mit den erhabenen und allumfassenden islamischen Werten entwickeln und entfalten kann.“ (Präambel der Verfassung von 1979)

Dass sie eine Klassengesellschaft gründen und das Eigentum zu deren zivilem Hegemon ernennen wollen, pflegen sich zwar auch bürgerliche Staaten auf keinen Fall in ihre Verfassung zu schreiben: Als Manifestation höherer Ideale wie ‚Würde‘, ‚Freiheit‘ usw. wollen schon auch sie ihr Gemeinwesen aufgefasst wissen. So weit aber, dass sie ihr gewaltsames Wirken allen Ernstes aus der Verbindlichkeit einer höheren göttlichen Allgemeinheit deduzieren würden, gehen sie nicht. Dahin, den Gehorsam, den sie als Inhaber höchst realer Macht gegenüber ihrem Recht verlangen, zu einem bloßen Derivat der Loyalität zu degradieren, die ihre Untertanen gegenüber ihrer eingebildeten Allmacht an den Tag legen, treiben sie es bei ihrer Idealisierung der profanen Macht nicht – aus gutem Grund: Die Absolutheit ihres politischen Gewaltmonopols würde so mehr relativiert als bestätigt. Die amtierenden Gläubigen im Iran dagegen machen Ernst mit ihrem Vorhaben, im Staat gleichsam die im Glauben an Gott vereinte Gemeinde der Iraner materiell zur Erscheinung bringen zu wollen: Die Einschwörung von Wille und Bewusstsein ihrer Untertanen auf die „gemeinschaftliche Sache“ der Republik, für die sie ihr Volk in Geist und Tat als ihnen zur Verfügung stehende Manövriermasse organisieren wollen, ist für sie keine abrufbare Selbstverständlichkeit, sondern Gegenstand und Ziel ständiger agitatorischer Einwirkung. Wenn diese frommen Männer sich auf Allah und die gemeuchelten Rechtsnachfolger seines Propheten als ihre allerhöchsten Auftraggeber und übermächtige Garanten eines in Zukunft erfolgreichen Aufbruchs ihres nationalstaatlichen Gemeinwesens berufen, dann meinen sie diese Anleihe bei der höheren Allmächtigkeit in einem ganz materiellen Sinn ernst. Dann kehren sie nicht bloß, wie man dies von christlich-bigotten Demokraten hierzulande her kennt, die dicke Würde ihrer bürgerlichen Privatperson heraus und appellieren auch nicht bloß an das private Gewissen, ohne dessen ausreichende Beschwichtigung kein anständiger marktwirtschaftlicher Materialist seinen rechtlich normierten Alltag abwickeln mag und schon gar nicht die härteren Dienste zur patriotischen Verteidigung seiner imperialistischen Staatsmacht reibungslos hinkriegt. Dann wollen die islamischen Volksführer vielmehr ein denkbar höchstes, nämlich ein fiktives absolutes Herr-Knecht-Verhältnis, das ebenso Grundlage ihrer besonderen persönlichen Autorität ist wie der geforderten gläubigen Befangenheit ihrer Adressaten, praktisch geltend machen. Ein in Religion und Denkweise gleich gesinntes Volk – ein derart monolithischer Gesinnungspatriotismus ist ein Ideal, das alle Staatsmänner im Kopf haben, die mit ihrem Land und dessen vernunftbegabtem Inventar Großes vorhaben. Für die geistlichen Machthaber des Iran ist dieses ideale Bild eines innerlich geeinten Volkskörpers jedoch nicht bloß der passende Hohn auf die Tatsache, dass für die Insassen einer wohl situierten Klassengesellschaft der gewaltsam durchgesetzte Kanon von Rechten und Pflichten zum selbstverständlichen Lebensumstand, der erzwungene Gehorsam zur lieben Gewohnheit, die Anpassung an alle Lebensbedingungen zur anerkannten Anstandsregel geworden ist. Für sie ist dieses Ideal auch nicht bloß in Kriegs- und anderen schweren Zeiten als rechtfertigender Berufungstitel für Aufträge fällig, die von bürgerlichem Eigennutz endgültig nichts mehr übrig lassen: Für die „Mullokraten“ begründet die religiöse Einbildung den sittlichen Anstand im Volk, und die fromme Gesinnung konstituiert die unverbrüchliche Gemeinschaft all derer, die im Iran ihre Heimat haben, in den Mullahs ihre Führer erkennen und dem Gemeinwesen die Treue halten. Ihr Islam ist die innerliche Quelle des großen ‚Wir‘ einer dann auch materiell verbindlichen Allgemeinheit, und zum Aufbau eines Staates aus dem Geiste religiöser Sittlichkeit, an die realpolitische Inszenierung eines islamisch-sittlichen Gemeinschaftslebens fühlen und lassen sich die geistlichen Führer sich dann unwiderruflich berufen:

„Bei der Schaffung der politischen Institutionen, der Fundamente zum Aufbau der Gesellschaft, werden die aufgrund der Glaubensüberzeugung Rechtschaffenen die Staatsführung und die Verwaltung des Landes übernehmen.“ (Präambel der Verfassung)

II. Der islamisch kontrollierte Kapitalismus: Machtkampf zwischen den sittlichen Geboten Allahs und den weltlichen Pflichten der Staatsräson

a) Nach welchen ökonomischen Prinzipien das Land eingerichtet ist, das sie übernehmen, welche Interessen das sind, die in ihm freigesetzt sind und gegeneinander ihr Fortkommen betreiben, zu deren politischer Verwaltung sie sich beauftragt sehen: dafür brauchen sich die Frommen im Einzelnen gar nicht zu interessieren. Mit ihrer Revolution beziehen sie sich jedenfalls denkbar konservativ auf die Prinzipien, nach denen die ökonomischen Gegebenheiten im Land, die sie vorfinden, organisiert sind: Sie ‚übernehmen‘ den Iran so, wie er als Ölstaat fest in das imperialistische Weltgeschäft eingebunden ist, und auch mit allem, was unter dem Schah-Regime an Sitten und Unsitten der Konkurrenz ums Eigentum im Land Einzug gehalten hat. Auf dieser Grundlage versuchen sie sich dann in dem gleichfalls nicht umstürzlerischen Bemühen, dem übernommenen Erbe abzuringen, was es nach dem Dafürhalten der Wächter des rechten Gemeinschaftsgeistes zu einer ordentlichen islamisch-sittlichen Lebensführung im Volk wie zu dessen erfolgreicher Indienstnahme für den anvisierten Aufbruch der islamischen Nation Iran braucht. So kommt Allahs Gerechtigkeit auf Erden als Resultat all dessen zustande, was der religiöse Zynismus der ‚Armutsbekämpfung‘ im Namen der höheren Daseinsbestimmung des persischen Volkes verpflichtend macht und sich daher an ‚Dirigismus‘ in Bezug auf die Rechte des Eigentums schuldig ist. Staatliche Richtlinien zur ökonomischen ‚Planung und Entwicklung‘ sollen in Landwirtschaft und Industrie die rudimentäre Güterversorgung sicherstellen, die ein gottfrommes Leben des Volkes in Armut und Würde erlaubt:

„Bei der Festigung der ökonomischen Grundlagen geht es prinzipiell um die Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen während seines Reife- und Entwicklungsprozesses, aber nicht, wie bei den anderen ökonomischen Systemen, um Zentralisierung und Akkumulation des Kapitals und um Profitsucht; denn die materialistischen Schulen betrachten die Wirtschaft als Selbstzweck, und dies wirkt auf dem Wege zur Entwicklung als ein Faktor der Zerstörung, der Korruption und der Verderbtheit.“ (Präambel der Verfassung)

Die Rede von der Wirtschaft, die kein Selbstzweck sein darf, weil in ihr selbstverständlich nur die Bedürfnisse des Menschen im Mittelpunkt stehen, die Idee von der Sozialpflichtigkeit, die dem Eigentum auch noch eigentümlich sei, bis hin zu der Auffassung, dass Gemeinnutz vor Eigennutz zu gehen habe: All das kennt man irgendwoher; vielleicht nicht gerade aus dem Mund von Schah Reza Pahlevi, aber schon aus dem Schatzkästlein der politischen Ideologie der westlich-säkularen Gesellschaften. Doch während deren Ideologen die sehr entgegengesetzten Lebenschancen auf diese Weise moralisch harmonisieren, die das Arrangement des bürgerlichen Gemeinwohls bietet – die einen haben in Kauf und Benutzung der Arbeit die Garantie der Mehrung ihres Reichtums, die anderen die Hoffnung, über den Verkauf ihrer Arbeitskraft ihr Leben fristen zu können –, meinen die Religionsführer im Iran es vollkommen ernst mit dem moralischen Gegensatz zu ihrer Sittenlehre, als den sie den Kapitalismus identifizieren. Für sie steht ‚kapitalistische Akkumulation‘ und der ‚Profit‘, um den es in ihr geht, für die Negation des islamischen Gemeinwohls, das ihnen vorschwebt, nämlich für die Verderbnis einer „Profitsucht“, die den Menschen gleichermaßen verelendet wie vom rechten Weg zu Gott abbringt und – was für sie dasselbe ist – die nationale Gemeinschaft auf den Hund kommen lässt. Freilich ist solches nur insoweit und nur solange zu befürchten, wie sie sich nicht selbst daran machen, unerwünschte Auswirkungen der Prinzipien eines kapitalistischen Erwerbslebens herrschaftlich einzudämmen – und sich umgekehrt für die erwünschten Effekte einsetzen, die sie vom selben Erwerbsleben für die Stärkung ihres religiösen Staates erwarten. Dem nötigen Schutz ihres Volkes vor dem Teufelswerk, das sie in einer allein sich selbst überlassenen privaten Erwerbssucht begründet sehen, tragen sie daher in Form eines Regimes moralisch-religiöser Ge- und Verbote Rechnung, dem das eingerichtete, staatlich wie privat betriebene und zu einem ganzen System des Wirtschaftens ausgebaute Interesse an Bereicherung unterworfen wird:

„Verhinderung der Ausbeutung der Arbeit anderer“, „Verbot der Schädigung Anderer“, „Verbot der Monopolisierung, des Hortens, des Wuchers und anderer nichtiger, von der Religion untersagter Geschäfte“, „Verbot der Verschwendung und Vergeudung von Mitteln auf allen Gebieten der Wirtschaft, sowohl beim Verbrauch, bei der Investition, bei der Produktion, beim Vertrieb als auch bei Dienstleistungen“ (Grundsätze der Verfassung).

b) Wie das Verhältnis zwischen Macht und Sittlichkeit, die praktisch gelebt werden soll, in Wahrheit beschaffen ist, haben die frommen Männer im Iran in all ihrem moralischen Rigorismus dabei keinesfalls aus dem Blick verloren – für ihr Projekt, im Volk für die rechte Lebenshaltung und deren materielle Grundlagen zu sorgen, predigen sie nicht nur, sondern üben die Macht im Staat entsprechend aus, die in der bürgerlichen Welt noch alle Mal das schlagendste Argument in Überzeugungsfragen ist. Die Herrschaft der geistlichen Rechtsgelehrten, vertreten durch ihren obersten religiösen Führer, bestimmt die ‚Richtlinien der Politik‘ in der Nation, kommandiert das nationale Militär und die Überwachungstruppe der ‚Revolutionswächter‘ – nach bürgerlich-rechtsstaatlichen Begriffen eine zwischen Unding und Skandal schillernde ‚religiöse Privatarmee‘ –, entscheidet in letzter Instanz in allen Streitfragen der Innen- und Außenpolitik des Staates und in denen der religiösen und weltlichen Meinungsbildung im Land, wozu selbstverständlich Zensurvorschriften und militante Trupps zur Fahndung nach abweichenden und zersetzenden westlichen Einflüssen gehören.

Diese Macht herrscht parallel zu einem politischen Machtapparat, von dem der Iran gemäß den formellen Errungenschaften der bürgerlichen Herrschaft regiert wird: Die konkurrierenden ökonomischen wie sonstigen gesellschaftlichen Interessen finden ihre politische Anerkennung in Gestalt der vom Volk gewählten parlamentarischen Vertreter; die Agenten dieser Interessen bedanken sich dafür mit der in freien Wahlen praktisch bewiesenen Unterwerfung unter eine weltliche Obrigkeit mit einem Staats- und Ministerpräsidenten an der Spitze; regiert wird die Gesellschaft so von Inhabern politischer Macht, die im Umgang mit allen im Land anerkannten Rechengrößen entscheidungsbefugt sind: Die Volksvertreter erledigen auf dem Gesetzeswege die politischen Aufgaben, die aus den ökonomischen Notwendigkeiten der von ihnen eingerichteten Geldwirtschaft sowie aus den Bedürfnissen erwachsen, die im Zuge der Planung und Gestaltung des nationalen Aufbruchsprojekts auf die tagespolitische Agenda gelangen. Mit den Geldern, die ihnen vor allem aus den Erträgen des staatlichen Öl-, Gas- und Petrochemie-Sektors und anderer Staatsbetriebe zufließen, finanzieren sie allerlei soziale Maßnahmen für die Bildung und Reproduktion des Volkes, die Infrastruktur im Land, Projekte zur Industrialisierung, das Bankenwesen usw., kurz: alles Nötige, damit im Land perspektivisch der kapitalistische Reichtum in privater Hand und vor allem zu Händen der Staatsmacht wächst.

Diese Notwendigkeiten, denen die Regierung beim Vollzug ihrer Amtsgeschäfte gehorcht, decken sich jedoch nun nicht nur nicht mit dem, was die geistliche Herrschaft für ihr frommes Volkserziehungs-, national-soziales Versorgungs- und gesamtnationales Aufbruchsprogramm für notwendig hält. Sie sind, sofern sie als „Selbstzweck“ zum Zuge kommen, in den Augen der islamischen Führung ja gerade die Quelle der sittlichen Verderbnis, die vom Erdboden zu tilgen sich die Mullahs vorgenommen und wozu sie die Staatsmacht übernommen haben. Zur staatlichen Realität gehört deshalb unvermeidlich eine religiös inspirierte Kritik am Pluralismus der gesellschaftlichen Interessen, der permanente Verdacht gegenüber einem Moral und Sitte zersetzenden Materialismus sowie der nicht zu entkräftende Argwohn in Bezug auf all die kapitalistischen Einrichtungen und Gepflogenheiten, die einem gottfrommen Leben nach dem Bild der Schriftgelehrten widersprechen und damit in deren Augen gleichzeitig die für die Nation produktiven Indienstnahme dieses Lebens unterminieren. Das militante Kontrollbedürfnis der „Rechtschaffenen“ im obersten Wächteramt fokussiert sich zielstrebig auf die politische Institution, von der die profanen Konkurrenzinteressen ermächtigt, gefördert und betreut werden. In einem institutionalisierten Machtkampf zwischen sittlich-religiöser Führung und islamisch-bürgerlich-kapitalistischer Regierung werden die Kompromisse erstritten, mit denen die Nation trotz und wegen der beiden entgegengesetzten, in unterschiedlicher Gewichtung aber gleichermaßen anerkannten politischen Generallinien regiert wird. Allen materiellen, weit unterhalb des verpflichtenden islamischen Sittlichkeitskodex angesiedelten Notwendigkeiten des Gemeinwohls gilt es Rechnung zu tragen, der sittlich-moralischen Räson des Herrschens dabei zugleich aber schon auch. Genau diesen Konflikt zwischen den religiösen Prinzipien, die ihnen heilig sind, und denen kapitalistischer Rentabilität, die sie als Hebel zur Beförderung von Macht und Reichtum ihres Gemeinwesens gleichfalls respektieren und praktisch in Anspruch nehmen, tragen die politischen Regenten des Iran dann mit sich und untereinander aus. Da die Entscheidungsfindung in Fragen, wie aus der Nation vor allem eine ökonomische Macht – freilich ohne Sittenverfall – bzw. in allererster Linie ein leuchtendes sittliches Vorbild – freilich ohne Ruin ihrer kapitalistischen Basis – zu machen geht; wie die Nation sich und ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen im Verkehr mit anderen Nationen durchzusetzen hat; wie, in welchem Maß und durch wen der Pluralismus der in der Gesellschaft vorhandenen Interessen seine gerechte politische Anerkennung zu bekommen hat … – da Fragen dieser Art keine sachliche Auseinandersetzung in dem Sinn einleiten, sondern eben eine Machtfrage zwischen beiden im Staat institutionalisierten Standpunkten aufwerfen, obliegt das Befinden über sie zunächst einem Wächterrat. Je 6 islamische Rechtsgelehrte und bürgerlich-rechtliche Juristen ermitteln, ob ein Gesetz, eine Verordnung oder auch ein Kandidat, der ins Parlament gewählt werden will, den Geboten der Staatsräson und denen Allahs konform ist. In weiser Voraussicht rechnet die Staatsführung damit, dass sich Parlament und Geistlichkeit bisweilen mit der Konsensfindung darüber, was die Schriften des Propheten an bürgerlich-rechtlichen Vorschriften abdecken und was nicht, äußerst schwer tun, so dass in allerletzter Instanz über alle essentiellen sicherheits-, sozial-, wirtschafts- und haushaltspolitischen Angelegenheiten des Landes ein vom ‚Obersten Führer‘ bestellter ‚Vermittlungsausschuss‘ definitiv befindet.

c) So macht sich die im Staat machtvoll installierte Aufsicht über die Sittlichkeit des nationalen Getriebes positiv geltend in all den Formen, in denen der iranische Staat sich um den Erhalt der völkischen Ressource seiner Macht sowie um deren praktische Indienstnahme für den Erfolg der islamischen Republik kümmert – daher zugleich auch immer negativ, nämlich als nicht zu übergehender Einspruch gegen geschäftsfördernde, aber als sittenwidrig definierte Maßnahmen, mit denen die iranische Ökonomie zu einem kapitalistischen Standort hergerichtet werden soll, der die Nation reich macht. Fromme Stiftungen, die in eigener, außerstaatlicher Regie große Teile des Landes bewirtschaften, das Volk mit Nahrung, Erziehung und Religion versorgen, inzwischen über Immobilien- und andere Geschäfte neben dem Staat zum „zweitgrößten Wirtschaftsfaktor“ aufgestiegen sind, ausdrücklichen staatlichen Schutz und Förderung genießen und doch keine Steuern, sondern Spenden an die Mullahs und Imame abführen; ein eng mit dem Klerus verbundener Basar, der zwei Drittel des Handels, fast die Hälfte der handwerklichen Produktion und eine Menge privater Kreditgeschäfte im Land abwickelt, gleichfalls für die Gemeinde spendenfreudig ist und für den Staat steuerfrei; staatliche und private kapitalistische Betriebe, die zur Sicherstellung einer Produktion von Waren, die auch bezahlbar sind, mit festgesetzten Preisen zu kalkulieren haben, sich also garantiert nicht „unsittlich“ bereichern können; Zinsverbote, die oftmals die Gewährung von Kredit vom Ausgang der Koran-Exegese über den Wucher abhängig machen: Das alles mag der Hohen Geistlichkeit wie die Praxis ihres Ideals einer in Gemeinschaft gelebten Sittlichkeit vorkommen. Das alles aber steht dem – von ihnen gleichfalls getragenen – Interesse eines Staates auch ein wenig entgegen, der aus dem Geschäftserfolg seiner Gesellschaft seine Mittel bezieht, daher Landwirtschaft, Handel, Produktion und Kreditgewerbe in größerem Maß als bisher dem privaten Interesse an kapitalistischer Bereicherung zu erschließen und über die Besteuerung aller im Land verdienten Einkommen auch sich selbst am produzierten Reichtum zu bereichern sucht. Aufgrund dieses Gegensatzes kommt an nationalem Wirtschaftsleben im Land zustande, was die beiden machtbewehrten Interessen jeweils an Kompromissen beschließen, in letzter Instanz also das, was die Hohe Geistlichkeit aus ihrem sittlich-moralischen Blickwinkel heraus an kapitalistischem Teufelswerk zu tolerieren bereit ist. Der institutionalisierte Gegensatz zwischen den Notwendigkeiten, denen der Wille zur Beförderung kapitalistischen Wachstums im Land zu gehorchen hat, und denen, die das sittliche Leben der Nation gebietet, verläuft als institutionalisierter Streit der Macht-Parteien um Formeln eines ‚Sowohl – als auch‘, nach denen die Modernisierung des Landes vonstatten zu gehen habe. Ehrgeizige Wachstumsziele, staatliche Sparprogramme an bloß sozialen Kosten zur Entlastung des Haushalts, Privatisierung von Staatsbetrieben, Schaffung von Arbeitsplätzen u. dergl. stehen daher durchaus im Programm der staatlichen Wirtschaftsplanung zur Effektivierung der Ökonomie des Standorts. Aber eben immer auch, wie weit dabei der Abbau von Subventionen für Energie, Nahrungsmittel und Medikamente allenfalls gehen darf, welche Schranke einer Kalkulation mit der Arbeit allein nach dem Kriterium ihrer Rentabilität zu ziehen ist und welche Unternehmen und Industriebereiche keinesfalls allein der Privatmacht des Geldes überantwortet werden dürfen – damit der heimische Wirtschaftsstandort nicht Mächten ausgeliefert wird, die seine Sittlichkeit zersetzen, und damit die Macht unangefochten weiter regiert, die mit ihr den Aufbruch der iranischen Nation organisiert.

d) Dass ihr Projekt einer mächtigen islamischen Nation sich auch über die Grenzen des eigenen Landes hinaus und gegen die Subjekte zu behaupten hat, die zum Zwecke ihrer exklusiven Bereicherung wie selbstverständlich auf die menschlichen wie sachlichen Ressourcen der ganzen Welt Zugriff nehmen, war den islamischen Revolutionären von Anbeginn an klar: Nicht zuletzt in der Abhängigkeit ihrer Nation von ausländischen Interessen, in der Ausplünderung der nationalen Öl-Ressourcen durch den Westen – und da vor allem: durch dessen Führungsmacht USA –, generell in der Öffnung der Nation für die westlichen Geschäftsinteressen und in der mit dieser einhergehenden Überfremdung sahen sie den materiellen Grund allen Elends im Volk und der Erosion seiner guten islamischen Sitten. Ähnlich rigoros wie gegen die private Erwerbssucht im Land selbst stellen sich die Ajatollahs daher auch gegen die Sitten im politischen wie geschäftlichen Verkehr zwischen den Nationen auf. Grundsatz Nr. 152 der Verfassung macht die Selbstbehauptung der Nation gegen Ost wie West zum verpflichtenden Gebot iranischer Außenpolitik: Die Außenpolitik der Islamischen Republik Iran beruht auf der Ablehnung jeglicher Form von Hegemonie und Selbstunterwerfung, sowie auf der Erhaltung allseitiger Unabhängigkeit und territorialer Integrität, der Verteidigung der Rechte aller Moslems, der Blockfreiheit gegenüber Hegemonialmächten und auf gegenseitigen friedlichen Beziehungen mit allen friedliebenden Nationen. Der nächste Grundsatz Nr. 153 drückt diesen Kampf gegen ‚Selbstunterwerfung‘ im internationalen Verkehr nochmals so aus: Abkommen jeder Art, die zu einer Ausübung von Fremdherrschaft über die natürlichen Ressourcen, die Wirtschaft, die Kultur, die Armee und andere Bereiche des Lebens führen, sind untersagt, und dass dies keineswegs allein defensiv zu verstehen ist, steht gleich zu Beginn der Verfassung, nämlich im Grundsatz Nr. 3 festgeschrieben. Gegen die Mächte, die auf dem Globus nach ‚Hegemonie‘ trachten, setzt man den eigenen Kampf um Macht und Einfluss, indem man sich zum Vorreiter einer islamischen Internationale und aller unter westlicher Sittenverderbnis leidenden Völker ernennt: Die Außenpolitik des Landes (ist) auf der Grundlage der islamischen Maßstäbe, der brüderlichen Verpflichtungen gegenüber allen Moslems und der bedingungslosen Unterstützung für die unterdrückten und entrechteten Nationen der Welt zu gestalten.

Freilich hält sich eine Absage ans kapitalistische Weltgeschäft, die bestrebt ist, Ölförderung und –verkauf nach dem politischen Kriterium einer ‚Vermeidung von Abhängigkeit‘ von den Abnehmerländern zu gestalten, notwendig in engen Grenzen: Den Status eines bloßen Rohstofflieferanten, der seine maßgebliche Einkommensquelle darin hat, andere Nationen mit dem Grundstoff ihrer Reichtumsproduktion zu versorgen, verkehrt das Land so nicht in sein Gegenteil. Allein schon Versuche, über die Ausweitung der Fördermenge mehr Geld zu erlösen, erst recht Bemühungen um den Aufbau einer neuen bzw. die Erweiterung der schon vorhandenen petrochemischen Industrie und überhaupt alle Projekte zur Modernisierung der restlichen Industrie im Land verweisen den Staat vielmehr nur immer auf die Abhängigkeit, in der er sich als kapitalistischer Standort gegenüber anderen befindet: Für die Akkumulation von Kapitalmassen, die das Land insgesamt als Grundlage und Gelegenheit für vermehrte Akkumulation in Gebrauch nehmen, dadurch seine Position in der freiheitlich tobenden Konkurrenz der nationalen Kapitalstandorte verbessern und dadurch wiederum umgekehrt für einen flächendeckenden Gebrauch der Nation als internationale Kapitalvermehrungsmaschinerie sorgen: dafür fehlt ihm das alles entscheidende Mittel, das andere haben: die schon gelaufene Akkumulation hinreichender Kapitalgrößen.

So kommt es, dass auch das Feld der Außenwirtschaftsbeziehungen des Iran Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen der weltlichen und der geistlichen Führung der Nation wird, die nach derselben Logik verlaufen wie bei der inneren Kapitalisierung des Landes: Der Bedarf an Kapitalimport bei industriellen Großprojekten, bei der Privatisierung von staatlichen und der Rationalisierung von privaten Betrieben, im Banken-, Börsen- und Versicherungswesen etc. ist unabweisbar und wird vom regierenden ökonomischen Sachverstand auch angemeldet. Ob überhaupt und inwieweit ihm Rechnung getragen wird, wird in letzter Instanz aber auch anhand der Kriterien entschieden, die die politisierte Geistlichkeit zur Abwehr einer Überfremdung der Nation und ihrer Auslieferung an westliche Interessen in Bezug auf Kredit- und andere Geschäfte in Anschlag bringt. So ist in diesem Staat auch noch dieser Widerspruch institutionalisiert und Gegenstand des internen Machtkampfs: Der Standpunkt einer kompromiss- und berechnungslosen Absage ans imperialistische Weltgeschäft zum Wohle der sittlichen Nation fungiert als Korrektiv all der – politisch ebenfalls anerkannten und zugelassenen – Berechnungen und Kompromisse, die staatliche Handelsemissäre und Wirtschaftsdiplomaten in Verhandlungen mit ihren imperialistischen Kollegen zum Wohl der Wirtschaftsmacht Iran verfolgen bzw. einzugehen bereit sind.

Doch hängt der Erfolg der außenwirtschaftlichen und -politischen Bemühungen des Iran, sich zu einer eigenständigen Wirtschaftsmacht zu entwickeln und sich zudem als so etwas wie eine weltpolitisch anerkannte Alternativmacht gegen den gottlosen Imperialismus zu behaupten, gar nicht vom Ergebnis der Entscheidungsfindung ab, zu dem sich die betreffenden Gremien in Teheran beim Austragen ihrer Widersprüche im Einzelnen durchringen. Denn seitdem sie an der Macht sind, erfreuen sich die Ajatollahs der besonderen Aufmerksamkeit der in Washington residierenden westlichen Weltordnungs- und Aufsichtsmacht, und die interessiert sich nicht für Widersprüche im iranischen Herrschaftswesen, sondern hält dieses insgesamt für einen flagranten Widerspruch zu allem, was sie unter ‚gutem Regieren‘ versteht, also akzeptieren kann. Dementsprechend handelt sie.

III. Die politische Antwort der westlichen Führungsmacht: Eskalation der Feindschaft gegen ein abweichendes Regime

a) Wohin nämlich diese „Herrschaft der Mullahs“ ordnungspolitisch einsortiert gehört, war der Vormacht des freiheitlichen Westens unmittelbar mit der geglückten ‚islamischen Revolution‘ klar. Eine Clique, die sich gegen den Statthalter aller westlichen Interessen in Persien die Macht im Staat erkämpft; die im Namen einer endlich in Angriff zu nehmenden national-sittlichen Konsolidierung und Selbstbehauptung nicht nur die heimische Ölindustrie verstaatlicht, sondern sich auch noch herausnimmt, das internationale Weltgeschäft daraufhin zu überprüfen, was es für den Aufbruch der eigenen Nation hergibt, und danach entscheidet, ob überhaupt und in welchem Maß sich das Land dem Zugriff westlicher Geschäftsinteressen „öffnet“; eine Clique von Fanatikern, die sich und ihr unmenschliches Regime bei alledem auch noch als anti-imperialistisches Vorbild für andere Nationen vorstellt, die es in ähnlicher Weise islamisch zu revolutionieren gelte: Diese Ausgrenzung aus dem Reich des imperialistischen Menschenrechts auf kapitalistische Nutzbarmachung aller Ressourcen der Welt war für die Macht, der die Durchsetzung dieses hohen Gutes gegen ein ganzes Staatenbündnis auch einen Weltkrieg wert gewesen wäre, selbstverständlich nicht hinnehmbar, in der für sie strategisch wichtigen Golf-Region schon gleich nicht. Mit der Nicht-Anerkennung und in weltpolitischem Maßstab betriebenen Ächtung der iranischen Republik, mit einer Politik des Containment, die das Land politisch marginalisieren, und mit Sanktionen, die es von den ökonomischen Mitteln seiner erfolgreichen Selbstbehauptung wirksam abschneiden sollten, unternahm die Weltmacht alles ihr zu Gebote Stehende zum Zweck der Schwächung dieser von ihr nicht geduldeten Macht. Die Mullahs zum Abdanken zu bewegen, gelang ihr auf diesem Wege freilich nicht, auch nicht dadurch, dass sie Saddams Irak mit ihren Waffen – also auch ein wenig stellvertretend für sie – möglichst lange Krieg gegen die frommen anti-imperialistischen Revolutionäre führen ließ: All diesen Bemühungen, den Iran auf den Status eines für den Imperialismus brauchbaren Erdöllieferanten zurückzuführen und ihn zum Abschwören von aller anti-westlichen, anti-amerikanischen und anti-israelischen Feindseligkeit zu zwingen, hat die iranische Staatsführung standgehalten. Auch wenn aus der ‚islamischen Revolution‘ alles andere als ein Exportschlager geworden ist, sich das Land weder zum Vorreiter eines nach Emanzipation von amerikanischer Vormundschaft drängenden Vereins „blockfreier“ Staaten hingearbeitet hat, noch seine Abhängigkeit von den Erlösen aus dem Ölgeschäft irgendwie losgeworden ist, so hat sich die iranische Nation selbst immerhin gegen das von Amerika verfügte Ausgrenzungs- und Eindämmungsregime behauptet. Der Iran hat sich zu einer in Teilbereichen autonomen Militärmacht zu rüsten vermocht, die sich auch in einem Krieg gegen Israel Überlebenschancen ausrechnet. Gegen die von den USA verhängte weltpolitische Quarantäne hat er es verstanden, den berechnenden Anti-Amerikanismus anderer Nationen ein Stück weit für sich auszunutzen: Er unterhält politische Beziehungen zu Staaten in Zentralasien und Europa, „freundschaftliche Beziehungen“ zu Anrainern am Golf und „Sonderbeziehungen“ zu Libanon und Syrien. Und nach wie vor behauptet er sich als die politische Gegenmacht zu Israel, mit seiner Rüstung und mit Waffen- und Geldlieferungen an den palästinensischen Widerstand und andere anti-israelische „Freiheitskämpfer“. Was die ökonomische Grundlage der Nation betrifft, so ist ihr im Schatten des amerikanischen Sanktions-Regimes der Ausbau von geschäftlichen Beziehungen mit Russland und Indien, sonstigen Nachbar- und Drittweltstaaten, aber auch mit der europäischen Konkurrenz der USA geglückt – so gut, dass der Iran mittlerweile Kreditgeber anderer ‚Entwicklungsländer‘ ist. Statt in Anbetracht der Kräfteverhältnisse klein beizugeben, hat er sich vielmehr staatsoffiziell dem ehrgeizigen Plan verschrieben, binnen 20 Jahren den Aufstieg zur asiatischen Wirtschaftsgroßmacht zu vollenden.

So trifft Amerikas Bestreben, den Iran gewaltsam zur Wiedereingliederung in die Völkergemeinschaft zu drangsalieren, auf einen Staat, der sich so etwas wie den Status einer – wie auch immer beschränkt dimensionierten – Regionalmacht am Golf verschafft hat; der über einen Bestand geschäftlicher und politischer Beziehungen verfügt, sich daher auch Mittel einer eigenen politischen Einflussnahme ausrechnet; und der sein ungebrochenes Interesse an nationaler Autonomie und Selbstbehauptung gegen das von Amerika verfügte Regime seiner Schwächung und Ausgrenzung auch noch in der Ambition unter Beweis stellt, es zu einer zivilen Atommacht zu bringen. Aber zusammen mit den Aufgaben wachsen bei der Weltmacht Amerika eben immer auch die Mittel, die sie zur Erfüllung ihrer politischen Ziele gegen ihre Gegner in Anschlag bringt. Zumal dort, wo sie durch „Terrorismus“ ihre Sicherheit bedroht sieht, und schon gleich dann, wenn sie in ihrem Kampf gegen diesen durch nichts und niemanden mehr ernsthaft behindert wird.

b) Daher macht man sich in Washington an die konstruktive Kritik der Toleranz, die Bushs Amtsvorgänger Clinton in seinem politischen Umgang mit dem Iran zwar keinesfalls an den Tag gelegt hatte, die aber angesichts des Status eines erstklassigen Sicherheitsproblems für Amerika, zu dem es dieses Land in der Phase des berechnenden Dialogs mit iranischen Reformkräften gebracht hat, nach Auffassung der amtierenden Regierung eingerissen sein muss. Mit einem bekennenden Abweichler-Staat, der auch noch Terror unterstützt, verkehrt man nicht – man schneidet ihn als Erstes endlich konsequent von den ökonomischen Lebensmitteln der Macht ab, an der man sich stört:

„Irans Terrorismus muss bezahlt werden, und das ginge nicht ohne den Verkauf von Öl und Naturgas, die in diesem Land im Überfluss vorhanden sind.“ (Ros-Lehtinen, Vorsitzende des Unterkomitees des US-Kongresses zu Nahost und Zentralasien, NIAC 26.06.03)

Noch gibt es 200 öffentliche Handelsgesellschaften, die Beziehungen zum Iran unterhalten und dabei nicht beachten, dass sie damit der iranischen Regierung die entscheidende Infrastruktur für Geschäfte anbieten, an denen der Staat verdient. Also wird mit der Implementierung von längst beschlossenen US-Gesetzen[1] nicht länger gedroht, sondern begonnen, um Irans Öleinnahmen durch Druck auf die Ölgeschäfte ausländischer Firmen zum Versiegen zu bringen und ihm das Geldverdienen überhaupt zu verwehren. Diese Politik, die allen iranischen Geschäftspartnern und den für sie zuständigen Regierungen gegenüber mit Druck und Strafen, Androhung oder Wahrmachung von geschäftlichen Nachteilen bis hin zu deren Abbruch operiert, zeitigt bereits die ersten Erfolge: Thyssen hat, um den Aktienanteil des Iran an seiner Firma auf unter 5% zu drücken, Aktien vom Iran für 400 Mio. Euro, und damit zum Dreifachen des Kurswerts, zurückgekauft, um nicht auf die schwarze Liste des Pentagon zu geraten; ein 2,5 Mrd. $-Geschäft, mit dem sich Japan für die nächsten 25 Jahre mit iranischem Öl versorgen wollte, wurde aufgrund amerikanischen Drucks auf Eis gelegt; US-Firmen stellen sich auf die harte Linie ein, indem sie diese in vorauseilendem Gehorsam vorwegnehmen und ihre Geschäftsbeziehungen zu Firmen überprüfen, die mit Iran im Ölgeschäft sind; das Pentagon schließt Betriebe, die im Iran investiert haben, in Anwendung des Sanktionsgesetzes ILSA vom Wiederaufbau im Irak aus; eine Kongressanhörung zu ILSA erörtert, wie die „Zusammenarbeit“ der EU und Japans bei der US-Sanktionspolitik zu erlangen sei, d.h. welcher Druck auf die Partner der wirksamste ist, um sie zum Mitmachen bei der ökonomischen Strangulierung des Iran zu bewegen, usw.

Ihr ökonomisches Schädigungsprogramm ergänzen die USA durch die nötigen diplomatischen Schritte, die ihren politischen Umgang mit diesem Terror-Staat auch für alle anderen Staaten zur verbindlichen Maxime zu erheben suchen. Die berühmten Menschenrechte, die von den Mullahs missachtet werden, begründen schon einmal ganz grundsätzlich den stellvertretend für alle anderen zivilisierten Nationen von Amerika wahrgenommenen Auftrag, für eine Demokratisierung im Iran zu sorgen. Unter diesem Titel gibt die Weltmacht ihr weit greifendes Herrschaftsinteresse in Gestalt ihrer – sich ganz von selbst verstehenden – Verpflichtung bekannt, die Obhut über fremde Völkerschaften auch über deren souveräne Regenten hinweg wahrnehmen. Sie nimmt sich vor, diese Völker von ihren grundverkehrten, ihre Regierungsgewalt so missbräuchlich ausübenden Führern zu befreien – und sie zusammen mit allem anderen, was an ihrem Land von Interesse ist, endlich der politisch einzig in Ordnung gehenden, nämlich einer für Amerikas Weltordnung funktionalen Daseinsbestimmung zuzuführen. Und wo Amerika schon einen so überragenden Rechtstitel für die Einmischung in die souveränen Belange des Iran bereitstellt, lassen sich die Konkurrenten der Weltmacht nicht lange bitten. Eigene Rechte und Interessen am Iran haben sie ja, daher auch alle Mal Bedarf nach Mitteln ihrer erpresserischen Durchsetzung, und so erfahren die Menschen im Iran auch aus europäischem Mund, dass sie von ihrer religiösen Herrschaft im Grunde genommen erlöst gehören – mit der weltlichen Abteilung allein, auch Reformkräfte genannt, mit der die europäischen Sachwalter des freien Menschentums gerade ihre geschäftlichen Beziehungen pflegen und ausbauen, wären die Perser nach europäischem Geschmack erst einmal ausreichend versorgt. Doch dass die Befreiung des Iran ein weiter gespanntes Projekt zu sein hat, nämlich ein weltpolitisches Gemeinschaftswerk der Kombination von Erpressung und Militärgewalt unter Amerikas Führung, an dessen Ende die Ausschaltung des Iran als antiamerikanische Bedrohung steht, erfährt die Weltgemeinschaft sogleich aus berufenem Mund:

„Das Publikum, an das er (Bush) sich wende, seien nicht nur die drei Länder, die er ‚die Achse des Bösen‘ nannte, sondern auch Russland und China, die die Regierung angeklagt hat, Mittel zur Produktion und Lieferung von Massenvernichtungswaffen zu verkaufen, und jene US-Verbündeten, die immer noch zimperlich seien, was die eventuelle Notwendigkeit angehe, die Militäraktionen im Krieg gegen den Terrorismus auszudehnen.“ (Washington Post, 1.2.02)

Zum Adressaten der US-Diplomatie darf sich so jeder Staat rechnen, der zum Iran geschäftliche wie politische Beziehungen von nennenswertem Belang unterhält. Diese sind ab sofort mit der Hypothek belastet, den Staat, der sie aus eigenem Interesse betreibt, in den Ruch eines Mit-Unterstützers eines Terror-Unterstützerstaates zu bringen, werfen für ihn also unmittelbar die Frage auf, ob sie ihm die „Verschlechterung“ seines Verhältnisses zu den USA wert sind, die er bei ihrer weiteren Pflege unweigerlich riskiert. Und wie bei ihrem Krieg gegen den Irak, so spannt die Weltmacht auch in ihrem Vorhaben einer endlich wirksamen weltpolitischen Isolierung des Iran das dafür in Frage kommende weltgemeinschaftliche Gremium für den Dienst am eigenen Zweck ein: Die USA erklären den Iran zum einschlägigen Fall für das völkerrechtliche Regelungswerk zur Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT), mit dem sie einst die Verfügung anderer Staaten über diese kriegsentscheidenden Geräte im Idealfall zu verhindern, zumindest aber überschaubar und insoweit für sich kalkulierbar machen wollten, und lassen dabei keinen Zweifel in Bezug auf die Natur des politischen Interesses, das da unter dem Vorwand der Ahndung von Verstößen gegen bindendes Völkerrecht unterwegs ist. Der Umstand, dass der Iran mit seinem zivilen Atomprogramm nur ein Recht wahrnimmt, das ihm ausgerechnet aus seiner Unterschrift unter den Nichtverbreitungs-Vertrag erwächst, ist ohne Belang – weil nämlich allein die von Amerika vertretene Rechtsauffassung gilt, wonach einem Staat, der Öl exportiert, einfach keine wirtschaftlich-zivilen Interessen an der Nutzung von Atomenergie zustehen:

„‚Wir machen uns wirklich Sorgen, dass ein Land, das in Öl und Gas schwimmt, Atomenergie produziert, wenn es keine Atomenergie für sein Stromnetz braucht, wenn sie Atomenergie nicht zur Energieproduktion in ihrem Land brauchen‘, sagte der Sprecher des Weißen Hauses Ari Fleischer. ‚Sie haben genug Energie aus den fossilen Brennstoffquellen Gas und Öl. Daher ergeben sich unsere Probleme.‘“ (Washington Post, 10.6.03)

Die iranischen Wirtschaftsplaner haben zwar andere Sorgen und rechnen anders, nämlich vor allem damit, über die Erhöhung der Menge auf dem Weltmarkt verkäuflichen fossilen Brennstoffs die finanziellen Nöte ein wenig kompensieren zu können, die ihr in Öl und Gas schwimmendes Land dank Amerikas Schädigungsprogramm demnächst zu gewärtigen hat. Aber insofern für die Weltmacht feststeht, dass die Mullahs das Nonproliferations-Abkommen ohnehin nur unterzeichnet haben, um es heimlich zu brechen, hat der Vertrag nach amerikanischer Lesart ausschließlich die Bedeutung, dass sich der Iran dem in ihm vorgesehenen Kontroll-Regime zu unterwerfen hat. So wird die IAEA beauftragt, Irans Verstöße gegen den NP-Vertrag zu beweisen; zusätzlich wird vom Iran verlangt, durch seine Unterschrift unter das NPT-Zusatzprotokoll die Völkergemeinschaft zu weitergehenden Aufsichtsrechten über sein Atomprogramm zu ermächtigen – und daneben gibt die Weltmacht ausdrücklich zu verstehen, dass sie über das Vorhaben, ein iranisches Atomprogramm nur kontrollieren zu wollen, längst hinaus ist. Dass nämlich die im NP-Vertragswerk gezogene Grenze zwischen einer erlaubten friedlichen Nutzung der Atomtechnologie einerseits und einer verbotenen militärischen andererseits nur eine aus politischer Berechnung gewollte und entsprechend in den Vertrag hineinkonstruierte Fiktion ist, weiß man in Washington sehr gut: Einem „zivilen Atomstaat“, der über alles nötige technologische Inventar verfügt, um nukleare Energie in sein Stromnetz einzuspeisen, fehlt nicht eben viel dazu, im Bedarfsfall dieselbe Energie auch für Bomben nutzbar zu machen und sich darüber den Rang einer „militärischen Atommacht“ zu verschaffen, die aufgrund ihrer Verfügung über die ultimativen Kriegswaffen auch Respekt vor ihren politischen Belangen zu erzwingen vermag. Daher ist für die USA das Kontroll-Regime der IAEA – ob mit iranischer Unterschrift unter das NPT-Zusatzprotokoll oder ohne – ein zur Aufsichtnahme über den Iran zwar schon brauchbares, für den angestrebten Zweck, dessen Karriere zur ‚zivilen Atommacht‘ zu verhindern, jedoch bei weitem nicht ausreichendes Instrument: Erstens hat der Vertrag für Amerikas Strategen sein komplettes Unvermögen unter Beweis gestellt, diese Nation vom Zugriff auf atomare Technologie abzuschneiden – wir entdecken hier plötzlich, dass der Iran schon viel weiter vorangekommen ist, mit einem viel robusteren Atomwaffenentwicklungsprogramm, als irgendjemand behauptet hatte. Das zeigt, wie eine entschlossene Nation, die die Absicht hat, eine Atombombe zu entwickeln, diesen Entwicklungsprozess vor Inspektoren und Außenstehenden verheimlichen kann, wenn sie wirklich dazu entschlossen sind. (Powell, LA Times, 10.3.) Und zweitens steht bei diesem Vertragspartner ohnehin fest, dass bei ihm die Fähigkeit, Atomtechnologie zu nutzen, nur seinen Willen bezeugt, sich die inkriminierten Bomben zu bauen – Mr. Bolton sagte, das Hauptproblem für Washington sei nicht, ob der Iran seine Vertragspflichten einhalte, sondern ob er die Fähigkeit zur Atomwaffenproduktion entwickle. (Financial Times, 20.6.)

c) Gut benutzen lässt sich das Pochen auf die Erfüllung von Vertragspflichten, die Amerika ansonsten scheißegal sind, gleichwohl, als diplomatisches Werkzeug nämlich, weltpolitische Partner und Gegenspieler auf Linie zu bringen und in den Dienst an das Interesse der Weltmacht einzuspannen, aus dem Iran keine Atommacht werden zu lassen. Dazu taugt die Berufung auf internationales Völker- und Vertragsrecht alle Mal, und die ersten praktischen Ergebnisse des anti-iranischen Containment sind sehr willkommen: Gemäß der von Washington ausgegebenen politischen Leitlinie – Wir, die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten, werden den Bau einer Atombombe im Iran nicht zulassen (New York Times, 19.06.) – hat sich auf den einschlägigen diplomatischen Treffen in Evian, Madrid und Brisbane eine Koalition von Willigen – Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal und Spanien – dazu bereit gefunden, die Non-Proliferation-Security der USA zu unterstützen und alle für den Iran bestimmten Waren, die ihn nicht erreichen sollen – neben der Rüstung ist das weite und ständig zu erweiternde Feld der Dual-Use-Güter im Visier –, auf ihrem nationalen Territorium, in der Luft oder zu Wasser abzufangen; zusätzlich werden Russland[2] und China als die Hauptlieferanten für den Atomreaktor in Buschehr unter Druck gesetzt, aus dem Geschäft auszusteigen und sich auch aller anderen – von den USA unter die Kategorie ‚Hochsicherheitsrisiko‘ subsumierten – Lieferungen zu enthalten. Doch da der politische Zweck, den Amerika im Atomstreit mit Iran auf internationaler diplomatischer Ebene verfolgt und dessen Durchsetzung es Schritt für Schritt eskaliert, darauf zielt, den Iran als das Sicherheitsproblem auszuschalten, das seine verkehrten Regenten mit ihren – wirklichen wie bloß möglicherweise demnächst vielleicht vorhandenen – Machtmitteln für Amerika begründen, sind all diese diplomatischen Manöver nur die weltöffentliche Rahmenveranstaltung einer weiteren Etappe, welche die Weltmacht in ihrem ‚Krieg gegen Terrorismus‘ in Angriff genommen hat: Sie präparieren den Iran als Fall zurecht, an dem die USA dasselbe Recht zur präventiven Behauptung ihrer Sicherheitsinteressen, das sie sich bei Saddams Irak herausgenommen haben, bei Bedarf demnächst wieder wahrzunehmen gedenken. Den regierenden Mullahs wird im Grunde der Antrag unterbreitet, sich zusammen mit ihrem Atomprogramm und allen anderen nationalen Ambitionen, an denen Amerika Anstoß nimmt, freiwillig aus dem Verkehr zu ziehen – andernfalls sie riskieren, ein Anwendungsfall des Prinzips ‚Regimewechsel‘ zu werden, das die USA im Nachbarstaat geradezu paradigmatisch für ihre Sicherheits- und Weltordnungspolitik des 21. Jahrhunderts durchexerziert haben. Daher gehört zu dieser Vorkriegs-Diplomatie auch, die Weltöffentlichkeit insgesamt und den Adressaten ganz speziell wissen zu lassen, wie unbedingt ernst es der Weltmacht mit der militanten Durchsetzung ihres Sicherheitsinteresses auch in diesem Fall ist. Gezielt in Umlauf gebrachten Mitteilungen über Objekte, Art und Ausmaß eventueller Präventivschläge, über Invasionen in strategisch wichtige Gebiete des Iran, über verdeckte Aktionen der Geheimdienste im Land, über die Arrondierung des militärischen Aufmarschgebiets in Nachbarstaaten usw. bezeugen jedenfalls nicht den Aufbau einer bloßen Drohkulisse – genau so wenig wie die Praktiken zur inneren Zersetzung des Iran, die unter der Parole ‚Demokratisierung‘ längst laufen. Woran immer die im Iran sich zu Wort meldende Opposition Anstoß nehmen mag: als Fünfte Kolonne der Freiheit ist sie in jedem Fall verbucht und wird entsprechend funktionalisiert. Anlässlich der jüngsten Studentenunruhen zollte Bush ‚jenen mutigen Seelen, die sich für die Freiheit im Iran einsetzen‘ seine Achtung. ‚Sie sollen wissen, dass Amerika ehrlich an ihrer Seite steht, und ich würde der iranischen Regierung dringend raten, sie mit äußerstem Respekt zu behandeln‘ (NYT, 19.6.); mit dem ‚Iran Democracy Act‘ werden US-finanzierte Radio- und Fernsehübertragungen in den Iran ausgedehnt und ein international überwachtes Referendum gefordert, um dem iranischen Volk einen friedlichen Wandel ihres Regierungssystems zu erlauben (Voice of America, 9.7.); und als Vorbilder dieser vom Volk ins Werk zu setzenden friedlichen Implosion des iranischen Staatswesens werden den noch nicht hinreichend mutigen Seelen dann Freiheitshelden wie Pinochet und Lech Walesa genannt.[3]

Und spätestens dann, wenn auch noch Amerikas Verbündeter im Nahen Osten seine eigene strategische Planung zur präventiven militärischen Erledigung der Bedrohung veröffentlicht, die er vom Iran aus gegen sich gerichtet sieht, sollte man Abstand von dem Glauben an das typische Säbelrasseln nehmen, ohne das ein Bush angeblich gar nicht Außenpolitik treiben kann.

IV. Die Reaktion des Iran: Versuche einer defensiven Selbstbehauptung

Die Vertreter der Islamischen Republik Iran, die ihre Nation durch die unmissverständliche Politik der USA militärisch bedroht, aber auch schon vor jedem Krieg in ihrem ökonomischen Fortbestand und in ihrer inneren Verfassung angegriffen sehen, bemühen sich um politische Schadensbegrenzung:

  • In ihrer Außenpolitik und Diplomatie versucht die iranische Staatsführung sich in dem Spagat, ohne Preisgabe wesentlicher Elemente der eigenen anti-imperialistischen Herrschaftsräson alles dafür zu tun, das Verdikt eines ‚Schurkenstaats‘ zu entkräften und zumindest keine weitere Eskalation der amerikanischen Feindschaft zu provozieren. Die Kriege der Weltmacht in Afghanistan und Irak weiß man selbstverständlich auch auf sich zu beziehen, sieht durch sie erworbene Positionen des eigenen politischen Einflusses erheblich in Frage gestellt, die strategische Einkreisung der Nation vollendet und lehnt Amerikas Machtexpansion daher vehement ab. Ihr außer feierlichen Deklarationen etwas entgegenzusetzen, liegt freilich in Anbetracht des Kräfteverhältnisses jenseits aller politischen Rationalität, also nimmt man sie als Grundlage einer mehr Erfolg versprechenden Berechnung hin, die sich zu einer Politik der aktiven Neutralität bekennt: Man interpretiert die Kriege der Weltmacht als mögliche politische Geschäftsgrundlage eines besseren Auskommens mit ihr, demonstriert den Willen zur Kooperation bei der Mit-Erledigung von Aufgaben im amerikanischen Anti-Terrorkrieg – und möchte dafür erst einmal mit genau dem politischen Respekt bedacht werden, der einem von Amerika nachhaltig verweigert wird:
    „Beim Freitagsgebet in Teheran sagte Rafsanjani:‚Der Iran verfolgt keine abenteuerliche Politik gegenüber Amerika, und wenn dieses Land seinen guten Willen beweist und andere Länder auf gleicher Augenhöhe behandelt, ist der Iran zu jeder Art der Kooperation mit Amerika bereit.‘“ (Tehran Times, 22.6.02) „‚Wenn Amerika seine ebenso brutale wie imperialistische Politik aufgibt, ist die Islamische Republik Iran zur Zusammenarbeit mit diesem Land bereit‘, sagte Rafsanjani und zitierte Afghanistan als Beispiel für Zusammenarbeit, die Teheran den USA anbieten könnte.“ (Iran Press Service, 23.6.02)

    Im Gefolge desselben Anti-Terrorkriegs, den Teheran der Weltmacht als brutalen Imperialismus vorhält, und ohne dass Amerika in seinem Umgang mit dem Iran irgendetwas anderes als die Eskalation der Feindschaft ‚bewiesen‘ hätte, bemüht sich die Islamische Republik unter dem Titel einer ‚Kooperation‘ mit Amerika um die Behauptung ihrer in der Region verankerten Interessen. Sie rückt die Versuche einer Sicherung ihres Einflusses im Nachbarstaat Afghanistan ins Licht der überparteilichen Sorge um eine stabile, starke Regierung, die Friede, Stabilität und Wohlfahrt für das afghanische Volk garantiert (Außenminister Kharrazi, PakNews, 7.8.) und die doch wohl auch für Amerika von Interesse sei. Im besetzten Irak will man gleichfalls den gewissen Einfluss, den man vor allem in der schiitischen Gemeinde besitzt, dadurch sichern, dass man ihn als konstruktiven Beitrag zu demselben übergeordneten Konsolidierungswerk anbietet, das unter dem amerikanischen Titel eines ‚nation building‘ segelt: Mittel und Maßnahmen der internationalen humanitären Hilfe für den Wiederaufbau und die Linderung der Not im Irak leitet man über eigene Häfen dorthin; als Anwalt des Grundsatzes der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten plädiert man dafür, dass die Regierungsbildung im Nachbarstaat Sache des irakischen Volkes selbst zu sein habe; entsprechend distanzierte sich der – inzwischen verschiedene – eigene Schützling Hakim, mit dem man selbst im Land eingemischt war, von Anschlägen auf US-Soldaten, bekannte sich grundsätzlich zur politischen Auseinandersetzung mit ‚friedlichen Mitteln‘ und ließ sein eigenes Corps in irakischem Dienst Ordnungsfunktionen übernehmen; ein anderer schiitischer Führer, der einige ‚unruhige‘ Stadtviertel in Bagdad kontrolliert, mäßigt sich auf Veranlassung Teherans in seiner Agitation gegen Amerika, usw. Auf diese Weise versucht der Iran die eigenen Mittel politischer Macht und Einflussnahme gegen Amerikas imperialistischen Zugriff zu behaupten, indem man sich dank dieser Mittel als gewichtiger ‚Faktor‘ für die ‚Ordnung‘ und ‚Stabilität der Region‘ für Amerika interessant und darüber die eigenen außenpolitischen Anliegen auch für Washington respektabel macht – mit dem Ergebnis allerdings, dass in der selektiven politischen Wahrnehmung der Weltmacht in all diesen Versuchen der politischen Selbstbehauptung und defensiven Einfluss-Sicherung doch nur immer der ‚Schurkenstaat‘ zum Vorschein kommt, der den Ausbau der Machtmittel betreibt, von denen er ohnehin viel zu viele hat.

  • Der internationale Streit um die Atompolitik der Nation wirft innerhalb ihrer eigenen Machtelite ein Zerwürfnis auf. Vertreter der ‚konservativen‘ Fraktion halten anfänglich allein schon den Umstand, dass der Iran sich mit dem NP-Vertrag einem internationalen Kontrollregime unterzieht, für eine an Vaterlandsverrat grenzende Zumutung. Sie weisen jedes Ansinnen einer weitergehenden Kontrolle als der Nation absolut unwürdig zurück – und sehen sich durch jeden diesbezüglichen diplomatischen Antrag nur in ihrem Verdacht ins Recht gesetzt, demzufolge das NP-Vertragswerk für Amerika ohnehin nur als Hebel zur Untergrabung der Souveränität ihrer Nation fungiert. Ihr anti-diplomatischer Rigorismus weicht dann aber schon den von ‚reformerischen Kräften‘ von Anbeginn vertretenen politischen Berechnungen, wonach die Beförderung der eigenen nationalen Interessen realistischerweise unmöglich mit einer radikalen Absage an die internationale Diplomatie zu bewerkstelligen, also nur im Wege von Verhandlungen mit dem imperialistischen Westen zu erstreiten sei, und um Letzteres kümmert sich die Staatsführung deshalb: Unter Wahrung ihres eigenen Rechts- und Interessenstandpunkts ist sie bestrebt, den Gegensatz zur Weltmacht möglichst zu entschärfen und im Idealfall auszuräumen, den sie mit ihren atomaren Ambitionen begründet und im Festhalten an ihnen verschärft. Im Streit mit den USA und der internationalen Aufsichtsbehörde in Atomfragen weist man den Verdacht, Uran zu anderen als rein ‚zivilen‘ Verbrennungszwecken anreichern zu wollen, weit von sich – wirklich nichts weiter als das im NP-Vertrag verbriefte Recht einer eigenen Atomwirtschaft möchte man in Anspruch nehmen. Zugleich macht man aber schon auch die eigenen ‚Fähigkeiten‘, die einem aus der Verfügung über Atomtechnologie erwachsen, zum Argument für den politischen Respekt, der sich im Umgang mit einer autonomen Atommacht wohl von selbst verstehe und im Übrigen auch jede Erpressung verbiete:
    „‚Der Einsatz von Atom-, Chemie- oder biologischen Waffen ist ‚haram‘, das heißt strengstens vom Islam verboten‘, sagte Kharrazi in einer der energischsten Zurückweisungen der Andeutungen, dass der Iran Atomwaffen zu entwickeln suche. ‚So können sie nicht mit dem Iran umspringen‘, sagte er den Abgeordneten. ‚Sie können uns nicht unter Druck setzen und sagen, akzeptiert das Protokoll, oder uns unter Druck setzen, die Atomtechnologie für friedliche Zwecke nicht zu verwenden. (…) Ob sie uns helfen oder nicht, wir haben die Fähigkeiten, unsere Pläne zu verwirklichen. (…) Mit einem fähigen Iran kann man nicht in der Sprache der Gewalt und Drohungen sprechen, und er lässt sich durch Druck nicht dazu bewegen, sein nukleares Know-how aufzugeben. Einem fähigen Iran muss man mit Verständnis und Kooperation begegnen.‘“ (AFP, 8.6., Tehran Times, 9.6.)

    So verweist der Iran auf seine schon vorhandenen atomaren Potenzen, leitet unter Bezugnahme auf sie sein Recht ab, sich frei von jeder äußeren Einmischung um deren ‚zivile‘ Fortentwicklung kümmern zu dürfen, versucht auf diese Weise den Vorwurf zu entkräften, sich nur ‚Massenvernichtungswaffen‘ beschaffen zu wollen – und bestätigt mit all dem nur das politische Verdikt, das über ihn in Washington als ‚Terrorstaat‘ gefällt ist, der auch ohne Gaszentrifugen und ‚geschlossenen Atomkreislauf‘, mit beidem aber erst recht ein einziges ‚Sicherheitsrisiko‘ für Amerika darstellt. Wenn daher der Chef des iranischen Sicherheitsrats unterstreicht, dass seine Nation freiwillig Zugeständnisse mache und auf die Anwendung gewisser Rechte verzichte, daraus keinesfalls das Recht anderer Nationen erwachse, den Iran auf ein internationales Verbotsregime zu verpflichten – jeder Satz in einer Resolution, der darauf abzielt, Irans freiwillige Suspendierung der Urananreicherung in eine rechtliche Verpflichtung umzuwandeln, ist inakzeptabel (SZ, 20.11.) –, so hat man das in Washington schon immer gewusst: Diplomatische Zugeständnisse irgendwelcher Art machen die Mullahs ohnehin nur, weil sie zuvor erwischt worden sind (Powell, ebd.). Daher ist erstens die Diplomatie mit dem Iran konsequent darauf auszurichten, den Staat weiter bei all den Verbrechen zu erwischen, von denen er nicht lassen kann, damit dann zweitens die Welt allmählich endgültig davon überzeugt wird, dass sie von ihm und dem Verbrechen, das er darstellt, im Grunde nur durch Amerikas nächste ‚Allianz der Guten‘ erlöst werden kann.

  • Gegen die von den USA und Israel ausgehende militärische Bedrohung macht die Staatsführung ihr Militär einsatzbereit, gegen die innere Zersetzung des Landes ihr Volk gegen den Feind mobil. Was Letzteres betrifft, so wittern – wie in jedem bürgerlichen Staatswesen, das ernstere Zeiten auf sich zukommen sieht – auch die Regierenden des Iran ihren Feind längst schon in den eigenen Reihen, und in den Methoden, mit denen sie für die unbedingte Loyalität des Volkskörpers zu sorgen suchen, stehen sie ihren bürgerlichen Kollegen, die für vergleichbare Lagen Paragraphenwerke zum ‚inneren Notstand‘ bereithalten, gleichfalls in nichts nach: Gegen die Wühlarbeit ausländischer Kräfte, die sich für sie im Breitmachen von Propaganda via Internet und Satelliten-Schüsseln, im Aufkommen westlich-amerikanischer Sitten und Gebräuche, aber auch in kritischen Äußerungen zur religiösen wie parlamentarischen Führung manifestiert, gehen sie mit Zensurvorschriften und Kritikverbot vor; wo Protest auszuufern droht, lassen sie ihn von ihren Garden ‚revolutionärer Freiwilliger‘ niederknüppeln. Streitigkeiten zwischen den im Land institutionalisierten Machtparteien können gerade in der Frage, wie die Festigung des Volkskörpers am besten herbeizuführen und die Einheit von Volk und Führung am besten sicherzustellen sei, selbstverständlich nicht ausbleiben. Ob man mehr für die Reinhaltung der Sittlichkeit im Volk tun soll, an der sich dann auch eine Weltmacht die Zähne ausbeißen wird, oder ob man nicht doch endlich die ungeteilte Autorität der weltlichen Staatsmacht anstreben soll: Für den interessiert-parteilichen Blick des Westens mag dieser Streit zwischen ‚Konservativen‘ und ‚Reformern‘ jede Menge Hoffnungen in eine freiwillige Selbstzerlegung des Mullah-Staates begründen. Noch aber ist er nur die für diesen Staat typische Form, die herrschaftliche Methode, in der seine religiösen Machthaber den schon auch für sie geltenden Grundsatz beherzigen, dass für die Behauptung der Nation gegen ihren äußeren Feind alle Gegensätze in ihrem Inneren zurückzutreten haben: die zwischen der persischen Volksmasse und ihrer Führung genau so wie letztlich auch die zwischen dem religiösen und dem profan-herrschaftlichen Sittengesetz.

V. Die Reaktion im imperialistischen Rest der Welt: Berechnende Mitstreiter bei Amerikas Offensive

Amerikas militantes Vorgehen gegen den Iran schafft neue weltpolitische Fakten nicht nur in Bezug auf diesen, auf der ‚Achse des Bösen‘ verorteten Staat. Der Rigidität, mit der die Weltmacht die ökonomische Strangulierung und politische Isolation des ‚Mullah-Regimes‘ vorantreibt, und der Entschlossenheit, die sie bei der Erwägung aller nötigen Maßnahmen einer auch präventiven Erledigung ihres Sicherheitsproblems mit diesem Staat an den Tag legt, können ihre in Europa residierenden Konkurrenten eines auf jeden Fall entnehmen: Mit der bequemen Tour, als offizielle Mitträger eines von den USA organisierten, gesamtwestlich verbindlich gemachten Sanktionsregimes mit demselben Staat, gegen den es sich richtet, einträgliche Geschäftsbeziehungen zu unterhalten, ist Schluss. Jedenfalls hat nach dem Willen der westlichen Führungsmacht damit Schluss zu sein, und diesem Umstand messen die in Europa ansässigen Handelspartner des Iran erst einmal schon mehr Gewicht zu als der Reduktion des Geschäftsvolumens, die sie demnächst zweifellos zu gewärtigen haben. So unterstützen sie das von den USA initiierte UN-Aufsichts- und Kontrollprogramm über Irans Atomwirtschaft, erklären sich sogar zu ganz kompetenten Anwälten in Sachen Non-Proliferation – freilich nicht deswegen, weil sie sich Amerikas Sicherheitsinteressen selbst zueigen gemacht hätten und ihrer Führungsmacht in deren nächster Etappe des ‚Anti-Terror-Kriegs‘ Prokura erteilen wollten. Vielmehr tragen sie Amerikas Offensive in der ihnen eigenen, nach wie vor ungebrochenen Berechnung mit, sich so, auf Basis der Akzeptanz der Fakten, die die Weltmacht setzt, Raum für eigene politische Handlungsfreiheit zu verschaffen. Das diplomatische Gezerre um Anwendung und Auslegung des NPT mitsamt seinem berühmten Zusatzprotokoll eröffnet den Europäern die Gelegenheit, mit einem Völkerrechts-Titel und der Drohung weitergehender UN-Sanktionen im Rücken den Iran aus eigener Macht zu der freiwilligen Unterordnung unter die internationale Kontrolle zu erpressen, die von ihm verlangt wird. In dieser berechnenden Absicht reduzieren sie Amerikas offensives Programm gegen den Iran auf eine Ebene, die es ihnen erlaubt, sich als eigenständige weltpolitische Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen: Europa stellt sich als Macht vor, die – im Gegensatz zu den USA – mit der beanspruchten internationalen Rechtsaufsicht über das Atomprogramm des Iran die politische Drangsalierung dieses Staates für vorläufig beendet ansieht. Deutschland, Frankreich und England, die drei europäischen Führungs- und in jeder Hinsicht kompetenten Atom-Mächte, präsentieren sich dem Iran als Kraft, die Amerika in dessen Offensive zu mäßigen verspricht, und suchen auf diese Weise, das iranische Interesse an autonomer Selbstbehauptung auf sich als Garantiemacht zu orientieren. Wo die USA mit der Diplomatie um den NP-Vertrag weltöffentlich den Iran als Fall einer präventiven Entmachtung im Rahmen ihres „Anti-Terror-Kriegs“ aufbereiten, wollen Europas Mächte mit derselben diplomatischen Erpressung den entgegengesetzten Nachweis bringen, nämlich zeigen, dass sich der Iran ganz ohne ‚Regimewechsel‘ zu ‚zivilisiertem‘ Benehmen auch bei der Handhabung von Kernenergie bewegen und so wohl auch als weltpolitisches ‚Sicherheitsrisiko‘ gut in den Griff bekommen lässt.

Auch Europas Konkurrenten der Weltmacht haben also daran Geschmack gefunden, unter Bezugnahme auf Terror und die von diesem ausgehenden Gefahren für die internationale Gemeinschaft fremde Staaten unter Aufsicht zu nehmen und sie in Hinblick auf ihre Waffen und sonstigen Fähigkeiten unter Kontrolle zu stellen. Freilich zur Beförderung einer Weltordnung, die ihren Bedürfnissen entgegenkommt, weswegen die Zusicherung des Iran, das NPT-Zusatzprotokoll unterschreiben und auf die so verdächtige Anreicherung von Uran vorerst verzichten zu wollen, nur eine Seite des diplomatischen Erfolgs ausmacht, auf den die Europäer stolz sind. Die andere Seite besteht immerhin in einer neuen Vertrauensbasis (Außenminister Fischer), die sie damit zwischen sich und dem Iran hergestellt haben wollen, welche auch neue Formen der Kooperation zuließe, unter der Voraussetzung, dass der Iran weiterhin alle diesbezüglichen internationalen Bedenken beseitigt (FAZ, 22.10.), sogar die Proliferation von atomtechnologischen Inventar und Know-How. Die Komplettierung des iranischen Atomprogramms von sich abhängig zu machen, so dafür zu sorgen, dass aus dem Iran eine europäisch konzessionierte – und damit auch: höchst bedingt – eigenständige Atommacht wird, also selbst die Macht dieses Staates zu kontrollieren und darüber zu relativieren: Das ist Europas Alternative zu dessen Entmachtung, wie sie von Amerika betrieben wird. Insoweit also durchaus ein wunderbarer Beitrag zum Weltfrieden, wie Irans Regierungschef dankbar vermeldet, und obendrein auch ein wunderschöner Auftakt zu neuen zivilen Erpressungsmanövern, die zu diesem Frieden gehören. Denn der Iran mag sich von der Einigung mit seinen europäischen Partnern ja die Anerkennung seines Rechts erhoffen, in Übereinstimmung mit dem Atomsperrvertrag von der Atomenergie friedlichen Gebrauch zu machen, und sich auch einen leichteren Zugang zu moderner Technologie (Vereinbarung vom 21.10., lt. dpa) versprechen. Gewährt wird ihm, wie gesagt, beides nur unter der Bedingung, dass die internationalen Besorgnisse (…) erst einmal völlig beseitigt sind (ebd.), die er mit seinem Atomprogramm wachgerufen hat, und die Entscheidung darüber, ob und wann dies der Fall ist, hat nicht er in der Hand: Jetzt liegt sie auch noch vertraglich verbrieft in europäischem Ermessen, und unter welchen von ihm zu erfüllenden Bedingungen sie allenfalls positiv ergeht, wird man den Iran aus den Zentralen der ‚europäischen Troika‘ dann wissen lassen.

Für Russland steht mit dem amerikanischen Offensivprogramm gegen den Iran nicht allein ein lukratives Auslandsgeschäft zur Disposition. Erstens rechnet neben dem Export von Öl und anderen Rohstoffen nur noch der von atomarer Technologie und Waffen zu den nennenswerten Reichtumsquellen dieser Nation, und mit genau diesen Geschäftsartikeln steht sie – seit längerem, nunmehr verschärft – als Ausrüster des iranischen Terror-Staats unter dem Beschuss der US-Administration. Zweitens ist der Iran, dessen politische Degradierung und Entmachtung die Weltmacht betreibt, nicht nur einer der wenigen Kunden beim russischen Warenexport, sondern in Russlands Bemühen, die eigene Südflanke gegen islamischen Separatismus wie gegen die Expansion der NATO zu „stabilisieren“ und sich einen Rest-Einfluss in der Golf-Region zu bewahren, ein Partner auch von einiger strategischer Bedeutung. Das von ihm unbedingt gepflegte gute Einvernehmen mit Amerika zu verspielen, will Putin aber nicht riskieren; von seinen wirtschaftlichen wie strategischen Interessen am Partner Iran Abstand zu nehmen, kommt für ihn allerdings auch nicht in Frage. Also begegnet man in Moskau den amerikanischen Anforderungen in Bezug auf die verschärfte Kontrolle des iranischen Atomprogramms prinzipiell verständnisvoll, interpretiert sich diese aber – nicht minder interessiert und auch nicht weniger gekonnt als die europäischen Konkurrenten der Weltmacht – als einen einzigen Auftrag zurecht, Amerika von der Last zu befreien, sich selbst um die Bereinigung des ‚Sicherheitsproblems‘ Iran kümmern zu müssen: Man hält an seiner eigenen Atompolitik gegenüber dem Iran fest – und widmet sie ausdrücklich dem Vorhaben, mit ihr das iranische Atomprogramm zu kontrollieren und, beispielsweise, im Wege einer Rücknahme des abgebrannten atomaren Brennstoffs die amerikanischen Bedenken in Sachen ‚Massenvernichtungswaffen‘ auszuräumen. Damit, so kalkuliert man in Russland, habe man gegenüber den USA das weltpolitische Wohlverhalten an den Tag gelegt, das dann schon auch wieder das Geltendmachen eigener Rechte gestattet – am weiteren Ausbau der ‚strategischen Partnerschaft‘ mit dem Iran, die neben Atom- und Waffengeschäften auch Regelungsfragen für den russischen Zugriff auf umliegende Ölvorkommen umfasst, hält man in Moskau jedenfalls fest: Nachdem Iran sich … zur vorbehaltlosen Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) bereit erklärt habe, stehe einer Wiederaufnahme der Waffengeschäfte nach Ansicht des Kremls nichts mehr entgegen. (SZ, 13.11.)

So wird dem Iran auch von diesem Partner praktisch mitgeteilt, dass sich die Konkurrenz der imperialistischen Mächte gegen die Weltmacht Amerika allenfalls bedingt für den Erfolg seiner Behauptung gegen Letztere nutzen lässt. Von denselben staatlichen Subjekten, bei denen er auf Unterstützung in der Selbstbehauptung gegen seinen übermächtigen Feind spekuliert, wird er selbst benutzt – als Mittel zu deren Selbstbehauptung gegen Amerikas Weltordnungsanspruch und als Testfall dafür, wie weit sie bei der gehen können.

[1] Deren wichtigstes ist der 1995 beschlossene, 2001 verlängerte, aber bisher noch nicht angewandte Iran-Libya Sanctions Act (ILSA). Er untersagt auch Nicht-US-Firmen Investitionen in den Iran in Höhe von mehr als 20 Mio. $ und bestraft sie im Fall der Zuwiderhandlung mit dem Ausschluss vom US-Markt und Beziehungen zu US-Firmen.

[2] Weil Russland im Bereich der nuklearen Technologie mit dem Iran „zusammenarbeitet“, verbietet es sich die NASA unter Berufung auf das so genannte ‚Gilmore-Amendment‘ inzwischen, dem russischen ISS-Weltraumprogramm die „finanzielle Hilfe“ zu gewähren, die bislang wenigstens noch den Bau russischer Raketen auf Kreditbasis ermöglicht hatte.

[3] Die Zeiten, in denen es in Bezug auf erwünschte ‚Regimewechsel‘ noch irgendwelche ‚geheimen Machenschaften‘ des imperialistischen Westens ‚aufzudecken‘ gab, sind vorbei: Das moralisch wie politisch in jeder Hinsicht absolute Recht Amerikas, sich eines „Terrorstaats“ zu entledigen, heiligt einfach jedes Mittel. Es geht daher ganz in Ordnung, wenn man sich von den Internet-Seiten der größten Pro-Demokratie-Bewegung, die die Welt gesehen hat – wir müssen alles, was wir können, tun, um den Pro-Demokratie-Kräften im Iran in ihrem Kampf beizustehen, ihr Land zurückzugewinnen (Senator Brownback, IranMania, 9.7.) – den Katalog aller zielführenden strategischen Maßnahmen vom Generalstreik bis zum Militärputsch herunterladen kann, mit denen sich im Iran der Zerfall des Regimes herbeiführen und die Säulen der Regierungsmacht zerbröckeln lassen. So viel zum Inhalt des Dursts nach Freiheit (Bush), nach Demokratie und nach geschlechtlicher Emanzipation (Claudia Roth) obendrein, den man im Westen an iranischen Studenten schätzt. Und an Rechtsanwältinnen gleich so sehr, dass eine von ihnen passend zur Logik der präventiven Kriegführung schon einmal präventiv mit dem Nobelpreis für Frieden beehrt wird.