Wie man „Das Kapital“ nicht schon wieder neu lesen sollte
Zur „Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie“ von Michael Heinrich

Eigentlich ist das Kapital von Karl Marx ein luzides Werk, das seine Urteile und Beweise an sehr viel Stoff entwickelt und keines auslegenden Kommentars bedarf. Allerdings sind da 150 Jahre politisch inspirierter Missverständnisse von Seiten zweifelhafter Freunde und eindeutiger Feinde des Werkes, die dann doch Aufklärung darüber geboten erscheinen lassen, was im ‚Kapital‘ steht und was die Stoßrichtung von Marx‘ „Kritik der politischen Ökonomie“ ist; zumal Beiträge zur Kapitalexegese auf den Markt kommen, die das entschuldigende Prädikat Missverständnis einfach nicht mehr verdienen.

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Wie man „Das Kapital“ nicht schon wieder neu lesen sollte
Zur „Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie“ von Michael Heinrich

Eigentlich ist das Kapital von Karl Marx ein luzides Werk, das seine Urteile und Beweise an sehr viel Stoff entwickelt und keines auslegenden Kommentars bedarf. Allerdings sind da 150 Jahre politisch inspirierter Missverständnisse von Seiten zweifelhafter Freunde und eindeutiger Feinde des Werkes, die dann doch Aufklärung darüber geboten erscheinen lassen, was im ‚Kapital‘ steht und was die Stoßrichtung von Marx’ „Kritik der politischen Ökonomie“ ist; zumal Beiträge zur Kapitalexegese auf den Markt kommen, die das entschuldigende Prädikat Missverständnis einfach nicht mehr verdienen.

Die neue Kapitallektüre nach dem Ende der Arbeiterstaaten

Ein Fall davon ist der kürzlich erschienene, zum Buch gewordene Appell: Das Kapital neu lesen – Beiträge zur radikalen Philosophie.[1] Marxforscher begründen ihren Aufruf mit einer doppelten Antwort auf die von ihnen erfundene Frage: Warum soll ausgerechnet jetzt eine ‚neue‘ Lektüre möglich sein? (Hoff, 10)

Ausgerechnet jetzt soll sie möglich sein, weil erst seit ca. 10 Jahren das Projekt der historisch-kritischen Marx-Engels-Gesamtausgabe in den richtigen, in westlichen Händen und so weit fortgeschritten ist, dass so gut wie alle Vorarbeiten und Entwürfe zum ‚Kapital‘ sowie alle Textvarianten verfügbar sind. Nicht dass die Autoren in den zahlreichen Vorarbeiten eine einzige neue Erkenntnis über den Kapitalismus entdeckt hätten, die in der Endfassung verloren gegangen wäre. Sie thematisieren einfach etwas anderes: Statt mit Marx den Kapitalismus zu erklären, machen sie Entstehungs-, Text- und Wirkungsgeschichte des Buchs, das ihn erklärt, zu ihrem Forschungsgegenstand und möchten das wachsende Interesse an Kapitalismuskritik, von dem sie wissen wollen, zu ihrer Marx-Philologie verführen: Dabei gilt nicht mehr die Ausgabe letzter Hand als der Weisheit letzter Schluss, sondern die Textgenese und die verhandelten Problematiken rücken selbst ins Zentrum der Auseinandersetzung (ebd.), zum Beispiel die Problematik des Gegenstandsverständnisses und die Frage nach dem Verhältnis von Kategorien und Wirklichkeit. Das muss mal diskutiert werden, ob das ganze großartige Theoriegebäude überhaupt etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, und ob es den Gegenstand überhaupt gibt, den es so beeindruckend abhandelt. Marxologen wollen nicht die Gedanken verstehen, die der Stifter ihres Forschungsgegenstands zu Papier gebracht hat – Die naive Lektüre, welche einfach zu lesen behauptet, ‚was da wirklich steht‘, ist ... zu Recht in Misskredit geraten. (Hoff, 13); ebenso wenig wollen sie behauptete oder wirkliche Schwächen der Marxschen Kritik korrigieren oder sie weiterführen. Im Gegenteil: Der Gedanke, Marx’ unvollendetes Projekt endlich zu Ende zu bringen ... lässt sich auf der Grundlage eines wirklichen Zur-Kenntnis-Nehmens der so entstandenen Lage nicht mehr sinnvoll denken. (Hoff, 31) Die heutige „Lage“ erfordert es einfach, den alten Kommunisten ins Erbe und geistige Eigentum der bürgerlichen Universität zu überführen, ihn in Geistesgeschichte und Wissenschaftspluralismus einzubauen, als Stifter von klassisch gewordenen Ideen und Formulierungen hochleben zu lassen – und seine Einsichten modern zu problematisieren. Das ist eine schöne, noch manche Promotion bergende Aufgabe.

Ermöglicht wird die Neulektüre des Klassikers zweitens durch den Fortschritt der großen Historie: Nachdem sich der theoretische Stalinismus und seine die Debatte erstickenden Staatsapparate historisch erledigt haben, können endlich wieder alle Fragen gestellt ... werden. (Hoff, 11) Die Autoren gebärden sich, als hätte sie Stalin persönlich am Denken gehindert. Nach dem Selbstmord des Realen Sozialismus geraten sie endlich nicht mehr in die Versuchung, sich an Herrschendes anzubiedern, noch davon abzugrenzen, wenn sie Marx interessant finden. Die Versuchung muss ja überwältigend gewesen sein. Jetzt jedenfalls sind sie so frei, dem Klassenkampf, den es nicht mehr gibt, keine Träne mehr nachzuweinen und das, was sie den „Arbeiterbewegungs-Marxismus“ nennen, endgültig zu beerdigen. Soweit ihre Marx-Philosophie überhaupt eine politische Stoßrichtung hat, geht es gegen den verblichenen Ostblock-Sozialismus. Ihm werfen sie vor, nur den Mehrwert und nicht den Wert kritisiert und dadurch Marx’ Kritik verfehlt zu haben, aber nur, um selber nun das gerade Gegenteil zu tun: Wo die alten Sozialisten die kapitalistische Verteilung des Reichtums und gar nicht Zweck und Prinzipien seiner Produktion (und die damit vorweg entschiedene Verteilung) kritisch ins Visier nahmen, da finden die radikalen Philosophen von heute die „Wertabstraktion“ furchtbar vielsagend und sind desinteressiert an der Ausbeutung der Lohnarbeiter, ja eigentlich an der ganzen Ökonomie, die Marx kritisiert. Ihre Krisendiagnose ist ein paar Abstraktionsebenen höher angesiedelt und will mit sozialen Opfern und Gründen, die diese vielleicht für ein Aufbegehren hätten, nichts mehr zu tun haben: Schlimm finden sie, dass „die Gesellschaft“ als Ganze, von Klassen ist da keine Rede mehr, sich von einem fetischisierten „Verblendungszusammenhang“ dirigieren lässt und in einer abstrakten Totalität eingesperrt ist, die sie noch nicht einmal merkt. Dieses Theoretisieren gerät erkennbar und zum Teil öffentlich erklärt zur Umkehrung der intellektuellen Entwicklung von Marx. Wo der sich durchs Studium der ökonomischen Wirklichkeit aus der Philosophie heraus und zur Wissenschaft vorgearbeitet hatte, gehen seine akademischen Liebhaber von heute den Weg zurück: Aus der Kritik der kapitalistischen Ausbeutung machen sie eine Entfremdungs-Philosophie.

Michael Heinrichs Einführungsbuch [2] und sein kürzlich erschienener Kapital-Kommentar [3] sind eigentümliche Beiträge zu dieser Marx-Kultur, zu der er sich selbst mehr oder weniger rechnet. Einerseits lässt er Marx sehr ausführlich zu Wort kommen, bemüht sich um das, „was wirklich da steht“, und bringt schon dadurch eine Menge von dessen Kritik der politischen Ökonomie an den Leser. Andererseits fühlt auch er sich laufend bemüßigt, den Ostblock-Marxismus zu verwerfen, indem er das abstrakte Gegenteil davon zur Wahrheit erklärt. Besonders an den Stellen, wo er über das Referat des Marxschen Argumentationsgangs hinausgeht und sich zu methodischen Überlegungen gedrängt fühlt, mit denen er heutigen Sozialwissenschaftlern und Nach-„Arbeiterbewegungs“-Linken Marx plausibel machen möchte, zeigt sich eine Tendenz, die wir für verkehrt halten.

Der Abweg kündigt sich in einer Formulierung an, mit der er sich einleitend seine Aufgabe zurechtlegt:

„Dass eine ‚herrschende Klasse‘ einer ‚beherrschten‘ und ‚ausgebeuteten‘ Klasse gegenübersteht, mag vielleicht für einen konservativen Sozialkundelehrer, der nur ‚Bürger‘ kennt, eine Überraschung sein, viel ausgesagt ist damit jedoch nicht. Alle uns bekannten Gesellschaften sind Klassengesellschaften ... Entscheidend ist, wie Klassenherrschaft und Ausbeutung in einer Gesellschaft funktionieren.“ (13)

Die Entgegensetzung von „dass“ und „wie“ befremdet. Dass unsere Gesellschaft von Ausbeutung und Klassenherrschaft bestimmt ist, hält der Autor für einen alten Hut. Wie das funktioniert, findet er spannend. Dabei ist das Dass keineswegs Gemeingut; nicht nur konservative Sozialkundelehrer, sondern so gut wie alle Zeitgenossen nehmen Freiheit und Gleichheit des Privatsubjekts, das seinen Vorteil suchen darf und nichts hergibt, ohne eine Gegenleistung dafür einzutauschen, als überzeugenden Beweis dafür, dass Ausbeutung und schon gleich die Herrschaft einer sozialen Klasse über eine andere nicht vorliegen können. Im Kapitalismus, Heinrich sagt das selbst an anderer Stelle, liegt Ausbeutung eben nicht offen zu Tage wie bei der Sklaverei oder der feudalen Fronarbeit. Sie muss bewiesen werden; und das Urteil über diese Gesellschaft ist gesprochen, wenn sie bewiesen ist. Ihr Nachweis fällt zusammen mit der Erläuterung, wie in der wechselseitigen Benutzung freier Bürger ein einseitiges Dienstverhältnis steckt, wie also der freie Austausch ein Ausbeutungsverhältnis vermittelt. Unser Interesse ist es daher, im Wie des Funktionierens aufzuzeigen, was da funktioniert, welche Konsequenzen der herrschende ökonomische Zweck des Geld-Machens mit sich bringt, welche weiteren Zwecke und ökonomischen Formen aus ihm folgen, und welche negativen Wirkungen das für die Betroffenen hat.

Heinrich dagegen findet es entscheidend, wie Ausbeutung und Klassenherrschaft in einer Gesellschaft funktionieren, ohne dass er das Faktum selbst für beweiswürdig hält. Er will nicht die Ausbeutung als den entscheidenden Skandal herausstellen, sondern das seiner Meinung nach erstaunliche Funktionieren dieses Systems. Seine Aufmerksamkeit gilt nicht so sehr der Absurdität dieser Wirtschaftsordnung und ihrer Schädlichkeit für die große Mehrheit, sondern dem Kapitalismus als funktionierendem System. Er will aufklären, wie es dieses System trotz seines „destruktiven Potenzials“ schafft, seine (menschlichen) Elemente zu integrieren und sein Bestehen in der Welt zu sichern. Kapitalismuskritik besteht für ihn nicht in der Klärung von Argumenten, warum dieses Ausbeutungssystem abgeschafft gehört, sondern in Erläuterungen, die die Haltbarkeit der kapitalistischen Gesellschaft zum Thema haben: Ihm geht es um das Aufdecken von Mechanismen unbewusster Präformation des Handelns und Denkens durch das „System“, die dafür sorgen, dass seine Insassen zuverlässig funktionieren und nicht auf kritische Gedanken kommen. „Das System“ ist bei ihm das alles beherrschende Subjekt der kapitalistischen Welt.

Kritik des Systems, aber keine Feindschaft gegen Kapitalisten

Heinrich spricht von einer herrschenden und einer beherrschten, ausgebeuteten Klasse; kaum aber betrachtet er die beiden Klassen näher, erscheinen sie ihm in der Hinsicht, die ihn vor allem interessiert, ziemlich gleich: Ausbeuter und Ausgebeutete, Herrschende und Beherrschte sind gleichermaßen Beherrschte, Objekte nämlich eines „systemischen Herrschaftsverhältnisses“:

„Wie in den nächsten Kapiteln noch deutlicher werden wird, beruht der Kapitalismus auf einem systemischen Herrschaftsverhältnis, das Zwänge produziert, denen sowohl die Arbeiter und Arbeiterinnen als auch die Kapitalisten unterworfen sind. Daher greift eine Kritik zu kurz, die auf das ‚maßlose Gewinnstreben‘ einzelner Kapitalisten, nicht aber auf das kapitalistische System als ganzes abzielt.“ (15)

Gewiss, eine Kritik, die nur die Mäßigung des Gewinnstrebens einzelner, die es übertreiben, anmahnt, greift zu kurz; es ist unerlässlich, die Notwendigkeit der schlechten Erfahrungen der Arbeitskräfte im Kapitalismus aufzuzeigen und diese Notwendigkeit zu begründen, um die ewig enttäuschten und doch nie aufgegebenen falschen Hoffnungen auf Besserung und die dazugehörigen konstruktiven Vorschläge richtig zu kritisieren. Heinrich versteht diese Notwendigkeit aber falsch, wie das „daher“ im obigen Zitat verrät: Ihm zufolge greift die Kritik des maßlosen Gewinnstrebens einzelner zu kurz, nicht weil es gar nicht einzelne sind, die so maßlos streben, sondern weil die Kapitalisten vom System gezwungen sind, zu streben, ob sie wollen oder nicht. Heinrich stellt die Logik des herrschenden Systems von Ausbeutung und Kapitalakkumulation polemisch dagegen, dass es sich dabei um die systematische Herrschaft eines Interesses handelt; eines Interesses, das die Agenten des Kapitals tatsächlich haben, das sie als ihren ökonomischen Zweck mit aller Entschlossenheit verfolgen und dem sie die Lohnarbeitskräfte dienstbar machen. Wenn bei Heinrich „System“ und „Notwendigkeit“ fällt, dann stets im Ton einer Warnung, man solle bloß den Kapitalisten keine Vorwürfe machen: Die sind bei ihm nicht das, was Marx „Charaktermaske“ genannt hat, Repräsentanten der kapitalistischen Geldvermehrung, indem sie als private Geldbesitzer nach Vermehrung ihres Eigentums streben. Bei Heinrich sind sie, ganz wie ihre Opfer, Opfer des Systems – und können insofern nichts dafür. Eine merkwürdige Kapitalismuskritik ist das, die ihre erste Aufgabe nicht in der Aufklärung über die gesellschaftlich gültigen Ausbeutungsinteressen und -methoden sieht, sondern in der Warnung vor Anfeindung der Ausbeuter. In einer schon eintönig zu nennenden Weise landet Heinrich, wenn er die fundamentalen kapitalistischen Tatbestände durchnimmt, nach dem Referat der einschlägigen Stellen aus dem ‚Kapital‘ bei entschuldigenden Negationen: Was die Kapitalisten tun, ist keine individuelle Verrücktheit, keine Bösartigkeit, nichts Verwerfliches – alles ist vom System erzwungen und nach seinen Prinzipien korrekt.

– Der Akkumulationstrieb des Kapitals:

„Der Gewinn eines kapitalistischen Unternehmens dient nicht in erster Linie dazu, dem Kapitalisten ein angenehmes Leben zu ermöglichen, der Gewinn soll vielmehr erneut investiert werden, damit in Zukunft noch mehr Gewinn gemacht wird. Nicht Bedarfsdeckung, sondern Kapitalverwertung ist der unmittelbare Zweck der Produktion.“ (14)

Richtig: Der Kapitalist gibt sich mit so etwas Bescheidenem wie der Deckung seines durchaus luxuriösen Bedarfs nicht zufrieden, sondern zielt gleich auf die Entwicklung seiner Reichtumsquelle und auf noch größere zukünftige Profite, die er damit machen will. Das ist die Kritik der kapitalistischen Produktion: Ihr Zweck ist nicht die Konsumtion der Arbeitenden, nicht einmal bloß die der Unternehmer, sondern das stete Wachstum ihrer Zugriffsmacht auf die Quellen des Reichtums. Dem ist alle Arbeit und alle Konsumtion unterworfen. Diese „Verrücktheit“ herauszustellen, ist Heinrichs Sache aber nicht. Er tippt sie nur an, um sofort zu warnen, man dürfe den Zweck, den die Eigentümer der Produktionsmittel da ins Werk setzen, bloß nicht für ihren Zweck halten:

„Dass der Gewinn nicht in erster Linie dem Konsum des Kapitalisten dient, sondern der beständigen Kapitalverwertung, d.h. der rastlosen Bewegung des Immer-noch-mehr-Gewinnens, hört sich vielleicht absurd an. Doch geht es hier nicht um eine individuelle Verrücktheit. Die einzelnen Kapitalisten werden zu dieser Bewegung des rastlosen Gewinnens ... durch die Konkurrenz anderer Kapitalisten gezwungen.“ (14)

Die Verrücktheit ist eine des Systems; mit den Interessen seiner mächtigen Akteure, so die falsche Entgegensetzung, hat das nichts zu tun.

– Die Ausbeutung

„ist ... nicht als moralische Kategorie gemeint. Es geht nicht darum, dass den Arbeitern etwas weggenommen wird, was ihnen ‚eigentlich‘ gehört, so dass diese Wegnahme etwas Verwerfliches wäre ... Ganz im Gegenteil: Marx betont, dass – entsprechend den Gesetzen des Warentauschs – der Verkäufer der Ware Arbeitskraft genau den Wert seiner Ware erhält ... ‚Ausbeutung‘ und die Existenz ‚unbezahlter Arbeit‘ entspringen nicht aus einer Verletzung der Gesetze des Warentauschs, sondern aus ihrer Befolgung. Will man Ausbeutung abschaffen, dann geht dies nicht durch eine Reformierung der Austauschverhältnisse innerhalb des Kapitalismus, sondern nur durch die Abschaffung des Kapitalismus.“ (93f)

Es stimmt ja: Wenn man die kapitalistische Ausbeutung abschaffen will, muss man die kapitalistische Ordnung umstürzen. Was auch sonst. Warum man das aber wollen sollte, geht durch diese Art der Besprechung schon ein wenig verloren. Mag sein, dass den Arbeitskräften vom Kapitalisten, der sich ihr Arbeitsprodukt aneignet, nichts weggenommen wird, was ihnen gehört hätte; ihnen gehört das Produkt ihrer Arbeit ja sowieso nicht. Aber ist das identisch damit, dass nichts ‚Verwerfliches‘ vorliegt, wenn Leute den größten Teil ihres Arbeitstages für die Firma und kaum mehr für sich arbeiten? Wäre, statt Verwerflichkeit zu dementieren, nicht besser darauf hinzuweisen, was „Wert der Ware Arbeitskraft“ für eine Härte ist? Wenn Marx ausführt, der Arbeitslohn regle sich nach demselben Gesetz wie die Preise aller anderen Waren auch – nach dem zur Herstellung dieser Ware notwendigen Arbeitsaufwand –, dann ist damit schon gesagt, dass die Arbeitskräfte keinen Anteil an dem Reichtum haben, den sie produzieren, sondern dafür bezahlt werden, dass sie dem Kapital rentable Arbeit abliefern und am nächsten Tag wieder antreten; damit ist des weiteren gesagt, dass sie auch nur nach Maßgabe dessen bezahlt werden, was dafür unabdingbar ist.[4] Die Besitzer der Ware Arbeitskraft mögen subjektiv meinen, sie würden arbeiten, um zu leben, und sie sind ja tatsächlich genötigt, sich als Lohnarbeiter anzubieten, wenn sie leben wollen. Im Grund und Maß ihrer Bezahlung aber ist das Gegenteil ausgedrückt: Sie leben, um für die Bereicherung anderer zu arbeiten. Weil die Kapitalisten sich mit dem Kauf dieser interessanten Ware die Verfügung über unbezahlte Mehrarbeit aneignen, denken sie gar nicht daran, ihren Arbeitskräften genau den Wert ihrer Ware zu entgelten; stattdessen veranstalten sie einen beständigen Test darauf, ob diese ihren Dienst nicht auch für weniger Geld tun, ja vielleicht bei schlechterer Bezahlung noch mehr zu arbeiten und noch zuverlässiger anzutreten genötigt sind. Statt den verkehrten Eindruck zu erwecken, der „Wert der Ware Arbeitskraft“ sei eine zwar bescheidene, aber doch eine Existenzsicherung, auf die Arbeitskräfte im Kapitalismus rechnen können, wäre zu erläutern, wie verheerend die Wertbestimmung, dieses regulierende Gesetz der Preise, bei der Ware Arbeitskraft wirkt. Immerhin kommt diese Ware nicht zum Zweck ihres rentablen Verkaufs auf die Welt, kann ihre „Produktion“ bei ungünstiger Marktlage also auch nicht zurückgefahren oder eingestellt werden, bis das Angebot ausreichend verknappt ist und der Bedarf wieder „kostendeckende“ Verkaufspreise erlaubt. Ein Überangebot von aufs Geldverdienen angewiesenen Lohnarbeitern führt zum dauerhaften und schrankenlosen Verfall der Preise, die für sie gezahlt werden. Um dem Käufer den Wert seiner Ware – die notwendigen Produktionskosten des lebendigen Individuums – in Rechnung stellen zu können, muss sich der Besitzer der Ware Arbeitskraft daher mit Seinesgleichen zusammenrotten, die Arbeit einstellen und durch den wirtschaftlichen Schaden, den er der Gewinnrechnung androht oder zufügt, dem Unternehmen höhere Löhne abnötigen. Um den schäbigen Wert seiner Ware, um elementare Rücksichten auf die Reproduktionsnotwendigkeiten seiner Arbeitskraft, muss der Lohnarbeiter laufend streiten; nur unter der Bedingung des Klassenkampfs gibt es überhaupt ein Wertgesetz auf diesem Markt. Deshalb ist die Vorstellung so verkehrt, der Arbeiter bekomme genau den objektiven, angemessenen Wert seiner Ware bezahlt. Die Formulierung, mit der Marx die zynische Gerechtigkeit des Warentauschs denunziert, referiert Heinrich mit einer falschen Betonung: Seine Opposition gegen „moralische Kritik“ landet dabei, dass an den Agenten des Kapitals und ihrem Ausbeutungsgeschäft unter den gegebenen Eigentums- und Tauschverhältnissen eigentlich nichts zu kritisieren ist: Was sie treiben, ist nach den Regeln des Warentauschs absolut korrekt.

–  Die Zerstörung von Gesundheit und Leben der Arbeiter

„Aus jenem die kapitalistische Produktionsweise charakterisierenden ‚schrankenlosen Bedürfnis nach Mehrarbeit‘ macht Marx aber nun keineswegs einen moralischen Vorwurf an die einzelnen Kapitalisten. Zwar impliziert dieses Bedürfnis nach Mehrarbeit – eben weil es keine Schranke kennt –, dass das Kapital ‚rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters‘ ist, mithin auch die Zerstörung der Arbeitskraft in Kauf nimmt, doch ist dies kein individuelles moralisches Versagen des einzelnen Kapitalisten, sondern die Konsequenz aus der Logik kapitalistischer Warenproduktion. ... Dass der einzelne Kapitalist von seinem Recht als Käufer auf maximale Ausnutzung des Gebrauchswerts der gekauften Ware auch ausgiebig Gebrauch macht, dafür sorgt die Konkurrenz der übrigen Kapitalisten.“ (101)

Auch wenn er auf die ruinösen Konsequenzen der Logik der kapitalistischen Produktion zu sprechen kommt, ist Heinrich offenbar nichts wichtiger, als die ökonomisch Mächtigen aus der Schusslinie zu nehmen. Bis hin zur Zerstörung von Gesundheit und Leben des Arbeiters ist alles vom System gedeckt, von der Konkurrenz erzwungen, als unfreie Tat der Kapitalisten zu werten: Sie können im Grunde nichts dafür!

„Alle, auch diejenigen, die vom Wirken des Kapitalismus profitieren, sind Teil eines großen Räderwerks. Der Kapitalismus erweist sich als eine anonyme Maschine, die keinen Maschinenmeister kennt, der diese Maschine mit seinem Willen lenkt und den man für die von dieser Maschine angerichteten Zerstörungen verantwortlich machen könnte.“ (186)

So sieht eine abstrakte Negation des „Arbeiterbewegungs-Marxismus“ aus: Weil „der Kapitalismus“ kein Subjekt kennt, das ihn als solches „lenkt“, kennt er auch gleich gar keine Subjekte, die in diesem System – mit dem Interesse, ihren privaten Geldreichtum zu mehren – den gültigen Reichtumszweck repräsentieren und als Privateigentümer über die gesellschaftlichen Mittel gebieten, ihn zur Geltung zu bringen. Haben die alten Sozialisten Profitgier und Ausbeutung als Verletzung der Menschlichkeit und Ausdruck des bösartigsten Egoismus der Kapitalisten verurteilt, so bleibt Heinrichs Zurückweisung ganz auf der Ebene der moralischen Schuldfrage und verneint sie. Er wehrt falsche – moralische, gegen einzelne und ihre ‚Vergehen‘ gerichtete – Vorwürfe ab, aber nicht wegen ihres Fehlers, sondern um Gegnerschaft gegen die Kapitalisten und ihr ökonomisches Interesse überhaupt zurückzuweisen. Was ist überhaupt verkehrt an moralischen Vorwürfen? Soweit sie das Übel auf schlechte Charaktereigenschaften zurückführen, verharmlosen sie die Lage: Ausbeutung ist das Prinzip dieser Wirtschaft und keine individuelle Schrulle. Zweitens beruft sich der moralisch Empörte auf allgemein geteilte, in der Gesellschaft gültige Werte, sieht sich also mit dem Laden in Einklang und das Recht auf seiner Seite. Er bekräftigt in einer idealen Fassung genau die Prinzipien (die Gerechtigkeit des Tausches, die Verantwortung der Mächtigen etc.), deren zerstörerische Realität er gerade beklagt. Sein rechtliches Denken nimmt den Kapitalisten drittens nicht als Interessensgegner in den Blick, sondern als einen Verbrecher am eigentlichen Gemeinwesen, als Verletzer des Rechts und der guten Sitten. Die eingebildete Kriminalisierung der Ausbeutung resultiert viertens eher in der ideellen Ausbürgerung der Kapitalisten aus dem guten Volk sowie in ihrer Bestrafung als in der Abschaffung der Verhältnisse, in denen die kapitalistische Menschenschinderei wirtschaftlich vernünftig ist.

Dieser moralischen Anklage raffgieriger Charaktere begegnet Heinrich mit dem abstrakten Gegenteil: Er entlastet die Kapitalisten auf derselben Ebene und beruft sich dafür auf eine Bemerkung von Marx in der Einleitung zum 1. Band:

„Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, insoweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ [5]

Marx macht deutlich, dass er sich für die Erklärung der ökonomischen Rollen und nicht für das Verhältnis der Personen zu ihren gesellschaftlichen Positionen interessiert, dass er sie also nur in Betracht zieht, soweit sie Personifikationen des Kapitals und Vertreter von Klasseninteressen sind und tun, was aus ihrem Akkumulationszweck folgt. Schuld und Verantwortung sind nicht sein Thema. Er hält nur so viel fest: Die wirklichen Kapitalisten agieren bei der Verfolgung ihrer Geschäfte in jedem Fall als „der Kapitalist“, d.h. gemäß den Prinzipien der Geldvermehrung, die er analysiert, mögen sie sich philanthropisch davon distanzieren oder nicht. Heinrich aber thematisiert gerade umgekehrt das Verhältnis der Person des Kapitalisten zur Charaktermaske Kapitalist und stellt sie in einen falschen Gegensatz: Er wirft die hochmoralische Frage auf, ob die herrschende Klasse ihr Tun will oder ob sie bloß muss, ob sie Schuld trägt oder unschuldig ist – und kommt zu seinem theoretischen Freispruch: Die Rädchen im Räderwerk können nicht anders, als die ihnen vom System aufgezwungene Rolle auszufüllen.

Diese Rädchen sind aber, wie ihre Arbeitskräfte auch, selbstbewusste Menschen, die vielleicht kein angemessenes, aber sehr wohl ein Bewusstsein von dem haben, was sie tun. Die Mitglieder der herrschenden Klasse wissen sich überhaupt nichts Besseres, als ihr Leben als Personifikation des Kapitals zu verbringen. Das ihnen gehörende oder anvertraute Vermögen soll so viel wachsen, wie eben möglich. Dieser Zweck wird ihnen nicht erst von außen, durch die Konkurrenz aufgenötigt. Umgekehrt ist es: Weil alle Kapitalisten mit ihrem Eigentum das Ziel größtmöglicher Kapitalverwertung verfolgen, mit diesem Zweck der Bereicherung also in die Konkurrenz eintreten, nötigen sie einander die Messlatte des Erfolgs dabei auf. Zum Getriebenen, wenn man die Formulierung gelten lässt, wird der Kapitalist nur durch den bedauerlichen Umstand, dass er mit seinem Ausbeutungswillen nicht allein auf der Welt ist. Auch andere Kapitalisten wollen einen möglichst großen Markt für ihre Rendite benutzen – und bestreiten ihm daher den seinen. Der Zwang der Konkurrenz, dem er ausgesetzt ist, ist nichts als die Rückwirkung seines eigenen Interesses, das auch andere Kapitalisten verfolgen. Der eine ist vom anderen genauso „gezwungen“ wie umgekehrt. So machen Kapitalisten den jeweiligen Stand ihrer Konkurrenzmittel zum Sachzwang für einander: Weil sie mit den Ergebnissen der Ausbeutung in ihren Fabriken auf dem Markt reüssieren wollen, müssen sie ebenso produktiv, rentabel und rücksichtslos operieren wie ihresgleichen, bei – wie Heinrich immer wieder zitiert – Strafe des Untergangs als Kapitalist.[6] Marx hat den Einsatz der jeweils notwendigen Mittel des Erfolgs, die ein Kapitalist besitzen oder sich zugänglich machen muss, im Auge, wenn er davon redet, dass die Akteure die Erfordernisse ihres Bereicherungszwecks als äußeren Zwang der Konkurrenz zu spüren bekommen, an dem manche scheitern. Die komische Figur eines bescheidenen Kapitalisten, der von der Konkurrenz gegen seinen Willen zum Profitmaximieren gezwungen wird (Heinrich, 106f), kommt in Marx’ Überlegungen nicht vor. Die wirklichen Kapitalisten übrigens äußern neben allfälligen Klagen über die Nöte der Konkurrenz bisweilen ja auch echten Stolz darauf, gar nicht gezwungen, sondern ihren Konkurrenten voraus zu sein und den Markt zu beherrschen.

Privatinteresse und Systemzweck fallen bei den konkurrierenden Agenten des Kapitals also zusammen. Auszubaden haben die Konkurrenz andere. Die ökonomischen Interessen der Fabrikherren und die Macht, sie durchzusetzen, definieren die traurige Rolle der Lohnarbeiter. In der Verfolgung ihres Interesses gegeneinander kalkulieren Kapitalisten die dienstbaren Geister, über deren Schicksal sie entscheiden, als Betriebsmittel und Kosten; sie zu verbilligen und zu größerer Leistung anzutreiben, ist das Mittel ihres Erfolgs in der Konkurrenz. So viel wissen die tätigen Unternehmer schon vom Ausbeuten. Die Lohnarbeiter müssen also deren Macht brechen und deren Interesse wegräumen, wenn sich für sie etwas ändern soll. Kapitalismus-Kritik ist die Einsicht in die Unversöhnlichkeit dieses Antagonismus; sie legt den Opfern der Produktionsweise mit Gründen nahe, sich diesem Kampf zu stellen, anstatt in alle Ewigkeit von einer scheinbaren Gemeinsamkeit aus Klage über ihre schlechte Behandlung zu führen. Heinrichs Systemtheorie dagegen belehrt sie darüber, dass sie als vom „System“ Gezwungene mit ihren Ausbeutern im gleichen Boot sitzen.

Wert und abstrakte Arbeit: Gesellschaftlich erzeugte Abstraktionen – oder: keine Kritik an der miesen Rolle der Arbeit, die Wert schafft

 Ähnlich unkritisch wie das Geschäft der Kapitalakkumulation würdigt Heinrich die wertschaffende Arbeit, die dafür in Dienst genommen wird. Diesem Kernstück des Kapital Band I – er zitiert Marx’ Diktum von der abstrakten Arbeit als dem Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht(KI, 56) – gibt Heinrich in seinen Einführungen großes Gewicht; sein Verständnis davon ist gleichwohl unzureichend, weil er den Gegenstand so ganz über den Leisten seiner Botschaft vom Systemzwang und von der abstrakten Vergesellschaftung schlägt.

„Viele Verkürzungen des traditionellen, ‚weltanschaulichen‘ Marxismus wurden insbesondere in den letzten Jahrzehnten kritisiert. Dabei wurde Marx nicht mehr, wie in der traditionellen Perspektive, einfach als der bessere Ökonom aufgefasst, sondern in erster Linie als Kritiker der über den Wert vermittelten und damit „fetischisierten“ Vergesellschaftung. Diese neue Lektüre der ökonomiekritischen Marxschen Texte bildet die Grundlage der vorliegenden Einführung.“ (10)

Programmatisch grenzt er Marx als Kritiker des Werts gegen den (besseren) Ökonomen Marx ab – eine ganz unpassende Entgegensetzung, mit der der Kommentator mehr über seine Perspektive als über das kommentierte Original verrät: Was ihn an der Marxschen Kritik interessiert, ist nicht eigentlich deren Gegenstand: die kapitalistische Wirtschaft – Arbeit, Produktion, Verteilung des Reichtums sowie die Zwecke, die da herrschen –, sondern das, was er in sie hineinliest: Kapitalismus ist eine falsche, indirekte, verdinglichte Art zu leisten, was seiner Auffassung nach Gesellschaften leisten müssen, um Bestand zu haben: „Einen gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen den Menschen“ zu stiften.

„Die Darstellung der spezifisch gesellschaftlichen Form der Arbeit ... macht den eigentlichen Kern der Marxschen Arbeitswertlehre aus... Marx stellt die viel fundamentalere Frage, in welcher Weise in einer Gesellschaft von Privatproduzenten ein kohärenter gesellschaftlicher Zusammenhang hergestellt wird.“ (M. Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, 3. Aufl., Münster 2003, S. 208) „Mit der Werttheorie will Marx eine bestimmte gesellschaftliche Struktur aufdecken, der die Individuen folgen müssen, egal was sie sich dabei denken.“ (44)

Was Heinrich über Wert und die wertschaffende Arbeit zu sagen hat, erfüllt bei ihm die Funktion, die „gesellschaftliche Struktur“, der die Individuen folgen müssen, zu erläutern, und gerät dadurch schief. Zunächst aber ist es richtig, und in der Geschichte der Marx-Rezeption nicht selbstverständlich, den „Wertbegriff“ und seine „Substanz“, die Arbeit, nicht als Hypothesen aufzufassen, die erst noch zu beweisen wären – etwa durch den völlig verkehrten Nachweis, dass Waren genau zu ihren Werten ausgetauscht werden. Heinrich geht wie Marx [7] von dem Faktum aus, dass der materielle Reichtum der Gesellschaft erstens aus produzierten Gütern besteht, die im Kapitalismus zweitens für den Tausch hergestellt werden. Warenproduzenten erzeugen Gegenstände des gesellschaftlichen Bedarfs; sie produzieren für fremdes Bedürfnis, aber nicht, um es zu befriedigen, sondern um die Angewiesenheit anderer auf ihre Erzeugnisse auszunützen. Wer sein Produkt feilbietet, will Gegenwert sehen – und zwar möglichst viel. Im Austausch stellt sich heraus, wie viel Tauschwert, wie viel Eigentum einer mit seiner produktiven Anstrengung zustande gebracht hat. Über die Konkurrenz der Anbieter und der Nachfrager wird ermittelt, wie viel Bedarf ein Hersteller für sein Erzeugnis finden, wie viel Angewiesenheit er ausnützen kann; denn nur im Maß ihrer Angewiesenheit erkennen die Kunden produktive Bemühungen anderer qualitativ und quantitativ als Teil der gesellschaftlichen Arbeit an, indem sie eigenes Produkt dafür hergeben. Dem Produzenten wird also im Tausch nicht die Arbeit, näher die Arbeitszeit, die er individuell aufgewendet hat, entgolten; vielmehr erfährt er im Gegenwert, den er für seine Ware erzielt, wie viel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit er in seiner Ware vergegenständlicht hat – mag seine wirkliche Arbeit länger oder kürzer dauern. In einer Gesellschaft konkurrierender Privatproduzenten, die sich nicht auf verabredete Weise die Arbeit teilen, sondern deren jeder auf eigene Faust den gesellschaftlichen Bedarf auszunutzen sucht, macht sich der notwendige Zusammenhang der Teilarbeiten eben auf die Weise geltend, dass sie erst am fertigen Produkt – im erzielten Tauschwert – aufeinander bezogen und auf gesellschaftlich notwendige Arbeit reduziert werden. Im Wert halten die Privatproduzenten den Zweck ihrer Arbeit in Händen: Kaufkraft, gesellschaftlich gültige Zugriffsmacht auf fremdes Produkt und fremde Dienste.

Mit diesen Einsichten polemisiert Heinrich gegen die Marx-Adaption des Realen Sozialismus, der er ein „substantialistisches“ Missverständnis des Werts und der wertschaffenden Arbeit vorwirft. Diese Marxisten haben nichts, jedenfalls nichts Kritikwürdiges dabei gefunden, dass Arbeit Wert schafft. Das hielten sie für eine Selbstverständlichkeit; ihr Interesse galt der Frage, ob der Arbeiter, der Schöpfer des Werts, auch einen gerechten Gegenwert für seine Leistung erhält. Sie haben daher nie verstanden, dass erstens Arbeitsprodukte Wert nur haben unter der Bedingung und als Ergebnis des Konkurrenzkampfs von Privatproduzenten, und dass daher zweitens die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeit, die vom Käufer durch den Kaufakt anerkannt wird, nicht identisch ist und nicht identisch sein kann mit der vom Produzenten wirklich aufgewendeten Menge Arbeit. Die berechtigte Polemik gegen diese bürgerlich denkenden Marxisten, die den Wert als eine Methode gerechter gesellschaftlicher Leistungs-Abrechnung schätzen, mündet bei Heinrich aber in den unfruchtbaren Streit darum, ob der Wert eine Eigenschaft der einzelnen Ware oder eine ihr nur im Austauschverhältnis zu anderer Ware zukommende „gespenstige Gegenständlichkeit“ sei. Darum aber geht es nicht. Es sollte vielmehr um den Inhalt dessen gehen, was Wert ist, nicht darauf, ob er schon der einzelnen Ware zu eigen oder erst im Austausch an ihr „wirklich“ ist: Selbstverständlich ist der Tauschwert – die Zugriffsmacht der einen Ware auf andere – eine Potenz, die sich erst im Austausch erweist und bewährt; allerdings erwirbt die für den Austausch produzierte Ware diese Qualität nicht durch den Austausch. Diese Potenz ist andererseits kein Ausdruck der auf die Ware wirklich verwendeten Arbeit, sondern ihr Verhältnis zur gesellschaftlich notwendigen Gesamtarbeit, kann sich also auch nicht als Eigenschaft der einen Ware unmittelbar an ihr selbst, sondern nur im Austausch gegen andere Ware beweisen. Der „substantialistischen Auffassung“ vom Wert, die aufgewendete individuelle Arbeit und Wert gleichsetzt, schleudert Heinrich seine selbst sehr formelhafte Position entgegen: Die Wertgegenständlichkeit ist keine natürliche, sondern eine rein gesellschaftliche Eigenschaft der Ware. Diese abstrakte Auskunft – etwas „rein Gesellschaftliches“ – hält er für eine, ja für die entscheidende Aufklärung über die Natur des Werts und den Wertcharakter des Arbeitsprodukts als Ware. Dieselbe Abstraktion bietet er dann auch als den Begriff der Arbeit an, die den Wert schafft, jenen viel beschworenen Springpunkt des ganzen Verständnisses:

„Um zu verstehen, was es mit dem spezifisch gesellschaftlichen Charakter Waren produzierender Arbeit auf sich hat, müssen wir uns mit der Unterscheidung von „konkreter“ und „abstrakter“ Arbeit auseinandersetzen. In den meisten Darstellungen der Marxschen Werttheorie wird diese Unterscheidung zwar kurz genannt, aber in ihrer Tragweite häufig nicht erfasst.“ (45f)

Heinrich meint sie in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen, wenn er definiert: Der spezifisch gesellschaftliche Charakter der abstrakten Arbeit ist ein rein gesellschaftlicher und nicht von Natur. Punkt. Da kommt nichts mehr.

„Abstrakt menschliche Arbeit war ... als Resultat der das Austauschverhältnis charakterisierenden Reduktion der verschiedenen konkret nützlichen Arbeiten auf gleichartige Arbeit eingeführt worden. Diese Reduktion ist kein Akt von individuellen Warenbesitzern, sondern ein sich im Tausch vollziehender gesellschaftlicher Prozess. Abstrakt menschliche Arbeit als Resultat dieses gesellschaftlichen Reduktionsprozesses drückt keine physiologische Eigenschaft von Arbeit aus, sondern eine rein gesellschaftliche Eigenschaft.“ (Heinrich II, 102)

Was ist denn nun der Gehalt der Abstraktion? Worauf wird die Arbeit für den Tausch im Tausch reduziert? Weil Heinrich ihn nicht versteht, wird er kritisch gegen Marx: Terminologische Unsauberkeit oder Schlimmeres vermutet er, wo der Autor des ‚Kapital‘ erklärt, dass die Arbeit, die im Tausch mit anderer Arbeit gleichgesetzt wird, als „abstrakte Arbeit“ gegensätzlich zur konkreten, nützliche Dinge produzierenden Arbeit zu bestimmen ist: Wertbildend ist die Arbeit in einer Hinsicht, in der von ihrer Zweckmäßigkeit und konkreten Nützlichkeit abgesehen ist, denn darin unterscheiden sich die verschiedenen im Tausch gleichgesetzten Arbeiten ja. Abgesehen von ihrer Zweckmäßigkeit aber ist Arbeit reduziert auf ihre negative Seite, auf das, was sie den Menschen kostet: Kraft, Verausgabung, Mühsal; da zählt ausgerechnet das an der Arbeit, was der Arbeitende vernünftigerweise zu vermindern sucht.

„Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Tätigkeit und daher vom nützlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, dass sie eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneiderei und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Tätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit.“ ... „Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn.“ (KI, 58 u. 61)

Mit der Bestimmung dessen, was gesellschaftlich an der Arbeit zählt, wenn von der im Gebrauchscharakter der Waren vergegenständlichten Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit der Arbeit abstrahiert wird, sieht Heinrich Marx hinter die ihm unterstellte Erkenntnis des „rein gesellschaftlichen Charakters der Waren produzierenden Arbeit“ zurückfallen:

„Allerdings ist die Eigenschaft von Arbeit, an der Marx ihren wertbildenden Charakter festmacht, die Verausgabung von Arbeitskraft im physiologischen Sinn keineswegs an Warenproduktion gebunden. Jede Arbeit, sei es die eines Sklaven oder die eines Robinson auf einer einsamen Insel, ist stets Verausgabung im physiologischen Sinn (oder Verausgabung von ‚Hirn, Muskel, Nerv, Hand‘...) und andererseits konkret nützliche Tätigkeit. Problematisch ist, dass Marx eine solche überhistorische Eigenschaft von Arbeit zur Charakterisierung abstrakt menschlicher Arbeit heranzieht.“ (Heinrich II, 101)

Ihm entgeht, dass Marx die wertbildende Arbeit keineswegs mit einer überhistorischen Eigenschaft charakterisiert, die auf Arbeit immer und überall zutrifft, sondern mit dieser Kennzeichnung ihre Besonderheit und damit eine menschenfeindliche Irrationalität der kapitalistischen Wirtschaft aufspießt. „Verausgabung von Arbeitskraft im physiologischen Sinn“ ist ein abstraktes, untergeordnetes Moment jeder Arbeit – man muss sich konzentrieren, anstrengen, Kraft ausüben. In der Waren produzierenden Gesellschaft wird dieses abstrakte Moment zum alles entscheidenden Kriterium der gesellschaftlichen Geltung der Arbeit, zum Maß und Gradmesser des von ihr geschaffenen Wertes. Wo es um kapitalistischen Reichtum geht, wird also praktisch von der Nützlichkeit abstrahiert, kommt es auf die Leistungen der konkreten Arbeit, nützliche Güter zu produzieren, nie als solche an. Weil stattdessen Verausgabung menschlicher Lebenskraft, also Anstrengung und Mühsal, synonym ist mit neu geschaffenem Reichtum, herrscht in der Waren produzierenden Gesellschaft ein unstillbares Bedürfnis nach immer mehr Verausgabung von Arbeit. Nur durch ein Mehr an Arbeitsmühe kann der wertmäßige Reichtum, die mit den produzierten Waren produzierte Zugriffsmacht auf fremdes Eigentum, wachsen – und darauf kommt es an; denn in dieser Verfügungsmacht, und nicht in der Masse nützlicher Produkte, besteht kapitalistischer Reichtum.

„Ein größres Quantum Gebrauchswert bildet an und für sich größren stofflichen Reichtum. Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichtums ein gleichzeitiger Fall seiner Wertgröße entsprechen. Diese gegensätzliche Bewegung entspringt aus dem zwieschlächtigen Charakter der Arbeit. Produktivkraft ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher konkreter Arbeit und bestimmt in der Tat nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produktiver Tätigkeit in gegebnem Zeitraum. Die nützliche Arbeit wird daher reichere oder dürftigere Produktenquelle im direkten Verhältnis zum Steigen oder Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Produktivkraft die im Wert dargestellte Arbeit an und für sich gar nicht ... Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der die Fruchtbarkeit der Arbeit und daher die Masse der von ihr gelieferten Gebrauchswerte vermehrt, vermindert also die Wertgröße dieser vermehrten Gesamtmasse, wenn er die Summe der zu ihrer Produktion notwendigen Arbeitszeit abkürzt.“ (KI, 61)

Hier wird deutlich, was mit dem Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert gemeint ist: Mit dem Wirkungsgrad der Arbeit wird die Gesellschaft nach der Seite der Gebrauchswerte immer reicher; Zufriedenheit stellt sich darüber im Kapitalismus aber nicht ein, weil der Tauschwert durch die Ersparung von Zeit und Mühsal bei der Produktion keine Steigerung, womöglich sogar eine Verminderung erfährt.

Heinrich sieht durch diese Erläuterung lediglich ein Verständnisproblem aufgelöst, „das scheinbare Paradox, dass eine gewachsene Gebrauchswertmasse einen gesunkenen Wert ausdrücken kann: dann nämlich, wenn aufgrund einer Produktivkraftsteigerung die gewachsene Gebrauchswertmasse in einer geringeren (gesellschaftlich notwendigen) Arbeitszeit hergestellt werden kann als die ursprüngliche Gebrauchswertmasse.“ (Heinrich II, 99)

Er merkt nicht, dass er hier das wirkliche Paradoxon des kapitalistischen Reichtums am Wickel hat. Weil die konkrete, Gebrauchswerte schaffende Arbeit der abstrakten, den Wert schaffenden Arbeit subsumiert ist, weil es auf die Produktion von neuem Wert ankommt und der Gebrauchswert dafür nur Mittel ist, wird die Mühsal niemals weniger, mag die fürs Leben der Gesellschaft notwendige konkrete Arbeit auch längst auf ein unerhebliches Minimum zurückgeführt worden sein. Der „Heißhunger“ dieser Gesellschaft nach – abstrakter – Arbeit ist nie gestillt.[8]

Fetisch und Mystifikation: Wie das irrationale System durch die Erzeugung eines vernünftigen Bildes von sich die Menschen aller Klassen zum Funktionieren bringt

Heinrich fasst Ware, Wert, Geld als „Strukturen“ sachzwanghafter, nachträglicher, abstrakter Vergesellschaftung auf, der die Individuen folgen müssen, ob sie wollen oder nicht. Seine Kapitalismuskritik ist daher selbst sehr abstrakt, sie gilt einer diesen Zwängen entspringenden gesellschaftlichen Unfreiheit. In diesem Geist macht er wie alle neueren Marxkenner von „Fetisch“ und „Mystifikation“ viel her, ja er erhebt sie zu den eigentlichen Zentralkategorien der Marxschen Theorie.[9]

Sehen wir zunächst, was Marx mit der Metapher vom Fetischcharakter der Ware, des Geldes, des Kapitals sowie mit dem Ausdruck „Mystifikation des wirklichen Verhältnisses“ sagen will, mit denen er seine Einsichten in die ökonomischen Formen der kapitalistischen Wirtschaft zuspitzt: In ihr geht es praktisch so irrational zu wie auf dem Feld der religiösen Fantasie. In diesem Sinn gleicht die Ware einem Fetisch, weil sie als produzierter Gebrauchswert noch eine von ihren physischen Qualitäten unabhängige, „metaphysische“, gesellschaftliche Qualität hat: den Wert, die Eigenschaft, sich gegen andere Ware in bestimmter Proportion auszutauschen, also Zugriff auf fremdes Eigentum zu eröffnen. Das gesellschaftliche Verhältnis der Warenproduzenten zueinander existiert für diese als sachliche Eigenschaft und gesellschaftliche Macht ihrer Produkte.

„Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Privatarbeiten sind ... Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb des Austauschs. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (KI, 87) „(Die Wertgrößen der Waren) wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigene gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“ (KI, 89)

Wie die Wilden in gewissen Religionen sich vor dem selbst geschnitzten Talisman fürchten und mit ihm Macht über andere ausüben, so stehen die Menschen in unserem aufgeklärten Zeitalter unter der Kontrolle ihrer eigenen ökonomischen Hervorbringungen. Dieser von Marx ausdrücklich so genannte Vergleich fügt seinem Befund sachlich nichts hinzu, er unterstreicht nur die Absurdität dieser Art zu wirtschaften, die man nicht als selbstverständlich durchgehen lassen soll:

„Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden.“ (KI, 86f)

Die Eigentümlichkeit der Ware wird erst recht schlagend im Fetischcharakter des Geldes: Es ist dinglich existierende ökonomische Macht, die man in der Hosentasche herumträgt. Mit einigen Gramm Edelmetall zu Marx’ Zeit, heute – nicht weniger absurd – mit papierenen Zetteln, eignen sich freie Privateigentümer fremdes Produkt und fremde Dienste an. Die Macht des Geldes ist drittens die Grundlage des Kapitalfetischs: Eine entsprechend große Summe davon vermittelt nämlich die Macht, sich die Arbeitskraft anderer zu kaufen, also über anderer Leute Zeit und Mühen zu kommandieren und sie nur für den Zweck arbeiten zu lassen, dem Unternehmer einen Überschuss über seinen Kapitalvorschuss hinaus zu produzieren. Wer ein entsprechendes Vermögen besitzt, nennt einen Automaten sein eigen, der ihm immerzu seine eigene Vergrößerung einspielt. So richtig fertig ist der Kapitalfetisch, wenn das Kapital als Geldkapital auftritt, das Zins abwirft und wächst – ohne dass die Quelle dieses Zuwachses, die Verwendung des Kapitals in einem Ausbeutungs- und Wertbildungsprozess, noch in Erscheinung treten würde. Dass Geld an und für sich auch schon mehr Geld ist, dass seine Größe mit der Zeit wie von selbst wächst, hält man in dieser Gesellschaft für eine nicht weiter erklärungsbedürftige Selbstverständlichkeit.

Am Ende seiner drei Bände kritisiert Marx schließlich als zusammenfassende Mystifikation der kapitalistischen Ökonomie die den Nationalökonomen geläufige „trinitarische Formel“ von drei selbständigen Quellen für die drei Sorten von Einkommen im Kapitalismus: Kapital wirft Zins, Grundeigentum Grundrente und Arbeit Arbeitslohn ab. Während es tatsächlich die Verfügungsmacht des Eigentümers ist, die es dem Kapitalisten erlaubt, seinen Arbeitern Mehrwert abzuringen, während es zweitens das Eigentum an Grund und Boden ist, das es dem Grundbesitzer erlaubt, einen Teil des vom tätigen Kapitalisten herausgewirtschafteten Mehrwerts in seine Tasche zu lenken, während ihr jeweiliges Eigentum für diese Eigentümer tatsächlich also nur das Mittel ihres Zugriffs auf den Reichtum ist, den die Arbeitskräfte unter kapitalistischer Regie produzieren, gelten Kapital und Grundeigentum dieser Gesellschaft im Rückschluss als lauter Produktionsfaktoren, deren (Zusammen-) Wirken selber die Teile des Wertprodukts hervorgebracht haben soll, in die das kapitalistische Produkt tatsächlich nur aufgeteilt wird. Man nimmt es erstens als normal hin, dass auch die Arbeitsmittel und die natürlichen Arbeitsbedingungen „arbeiten“ und deswegen ein Recht auf „Einkommen“ haben, das dann natürlich nicht diese Produktionsfaktoren, sondern deren Eigentümer verzehren; und für ebenso selbstverständlich gilt zweitens, dass nicht die Arbeit das gesamte Arbeitsprodukt schafft, sondern dass die Lohnarbeit nur einen Teil ihres Arbeitsprodukts als ihr eigentümliches Wertprodukt hervorbringen soll, während der Rest dem produktiven Wirken von Kapital und Boden zugerechnet wird. Durch die Verdrehung des jeweiligen Aneignungstitels in die Quelle des Wertteils, der angeeignet wird, werden die Gegensätze der sozialen Klassen in ein Ergänzungsverhältnis von Vertretern der verschiedenen materiellen Bedingungen jeder Produktion – Arbeit, Arbeitsmittel und Erde – verwandelt; was sie sich anzueignen vermögen, gilt als Resultat des Beitrags, den ihr Produktionsfaktor zum Gesamtprodukt beigetragen hat. In der behaupteten Beziehung dreier selbständiger Einkommensquellen auf ihren jeweiligen Ertrag ist die wahre Quelle des kapitalistischen Reichtums verschwunden, seine Entstehung damit „mystifiziert“; in dem Verhältnis des Kapitals als einer aus sich selbst wirksamen Geldquelle zum Zins als ihrem Produkt z.B. fällt alle Vermittlung fort, und ist das Kapital auf seine allgemeinste, aber darum auch aus sich selbst unerklärliche und absurde Form reduziert. (KIII, 825f)

Heinrich zitiert zwar die Stelle über die „trinitarische Formel“, an der Marx von der Vollendung der Verselbständigung und Verknöcherung der verschiedenen gesellschaftlichen Elemente des Reichtums gegeneinander und von der verzauberten, verkehrten, auf den Kopf gestellten Welt spricht, wo Monsieur le Capital und Madame la Terre als soziale Charaktere und zugleich unmittelbar als bloße Dinge ihren Spuk treiben (KIII, S. 838), entnimmt ihr aber nicht, wie absurd diese „Welt“ ist und wie sehr die Widersprüchlichkeit ihres scheinbaren Zusammenhangs nach Erklärung ruft, sondern das genaue Gegenteil: Er liest daraus, wie natürlich und vernünftig den in diesen Verhältnissen lebenden Menschen die kapitalistische Produktion und Verteilung des Reichtums vorkommen muss. Ihn interessiert an Fetisch und Mystifikation nicht das Verkehrte und die Kritik, die Marx damit an seinem Gegenstand übt, sondern eine System stabilisierende Leistung, die er ihnen zuschreibt. Immer wo die beiden Stichworte fallen, deckt Heinrich eine erfolgreiche Selbstverschleierung des kapitalistischen Systems auf, die dafür sorgt, dass die in den Verhältnissen Befangenen sich über seinen wahren Charakter täuschen. Sein Interesse und seine Erläuterungen gelten nicht den Fehlern und Widersprüchen des bürgerlichen Bewusstseins, die Marx überall, wo er von Fetisch spricht, anprangert, sondern einer Notwendigkeit des Irrtums, den ganz und gar das Objekt, über das geirrt wird, verursachen soll.

„Im Kapital ist keineswegs mehr (wie noch im kommunistischen Manifest) davon die Rede, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus so ohne weiteres zu durchschauen seien. Ganz im Gegenteil geht es dort an zentralen Stellen um die ‚Mystifikation‘ dieser gesellschaftlichen Verhältnisse. Was Marx im ‚Kapital‘ als Fetischismus und Mystifikation bezeichnet, sind Verkehrungen, die ... aus der Struktur der bürgerlichen Gesellschaft und der diese Struktur beständig reproduzierenden Handlungen entspringen.“ (180f)

Im Sinn der Lehre von der selbst produzierten Schwerdurchschaubarkeit des kapitalistischen Systems drückt Heinrich in verkehrter Weise darauf, dass es sich bei „Fetischismus“ um mehr handeln (muss) als nur ein falsches Bewusstsein ... der Fetischismus (muss) auch einen tatsächlichen Sachverhalt ausdrücken. (71) Was heißt da „mehr“? Zunächst charakterisiert Marx mit seiner Anleihe bei der Religion ja sowieso die Verrücktheit der ökonomischen „Sachverhalte“; die Kritik dieser Verrücktheit ist selbstverständlich zugleich eine Kritik des falschen Bewusstseins derer, die dabei mitmachen und das alles normal finden. Das „mehr“, das Heinrich anpeilt, meint aber gar nicht den objektiven Sachverhalt, sondern nichts anderes als Bewusstsein, aber eben vorgestellt als ein unausweichliches, vom Willen und Bewusstsein der Akteure schon wieder unabhängiges, durch die „Struktur“ erzwungenes und in diesem verkehrten Sinn objektiv notwendiges, durch Kritik und bessere Einsicht gar nicht korrigierbares falsches Bewusstsein:

„Fetischismus (wie Frühere ihn verstanden haben) wäre dann eine Form von ‚falschem Bewusstsein‘, das die wirklichen Verhältnisse‘ bloß verschleiert. Wenn dem so wäre, dann müsste mit der Aufklärung über die wirklichen Verhältnisse auch dieses falsche Bewusstsein verschwinden.“ (69)

So wird es ja auch sein, wenn ein ‚Bewusstsein‘ einen Fehler macht und die Welt verkehrt sieht. Bei Heinrich dagegen soll es vom Objekt, das es sich per Erfahrung und Nachdenken theoretisch aneignet, so umfassend falsch gepolt sein, dass es selbst gar keinen Fehler und Irrtum mehr enthält, auf den es zu stoßen wäre. Wie vor ihm andere hält er das notwendig falsche Bewusstsein für eine Leistung des Objekts – und nicht für eine Tat des Verstandes – und als vom Objekt diktiertes Denken für dermaßen notwendig, dass nichts Falsches an ihm mehr übrig bleibt.

Notwendig ist das falsche Bewusstsein der im Kapitalismus Befangenen aber nicht in einem erkenntnistheoretischen, sondern nur in einem praktischen Sinn. Nicht, dass das kapitalistische System ein Bild von sich zeichnete, das nicht oder kaum zu durchschauen wäre, ist der Quell des falschen Bewusstseins, sondern dass die Lohnarbeiter – um nur die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft herauszugreifen, die eine Kritik ihres falschen Bewusstsein brauchen – gezwungen sind, die ökonomischen Einrichtungen, die dafür gar nicht gemacht sind und auch nicht taugen, als Mittel ihres Lebensunterhalts zu behandeln. Und auch da gilt es noch zu unterscheiden: Erst einmal ist der Mensch durch die politische Ordnung und die Eigentumsverhältnisse praktisch genötigt, sich auf die Wirtschaft und die eigene Rolle in ihr als Mittel seines Lebensunterhalts zu beziehen. Er muss sich unter diesen Bedingungen um einen Erwerb kümmern, muss sich also für dessen Anforderungen zurechtmachen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Notwendigkeit gilt auch für den Kapitalismuskritiker, der unter dem Regime des Kapitals lebt. Keineswegs aber ist es deswegen unausweichlich, den Markt, das Geld und die Lohnarbeit für Lebensmittel, also für insgesamt vernünftige Einrichtungen zu halten. Diese Sicht stellt sich erst ein, wenn einer die praktische Nötigung, der er ausgesetzt ist, zu seiner Sache macht, sich den Willen zulegt, mit den gesellschaftlichen Bedingungen zurecht zu kommen und ihnen sein persönliches Glück abzuringen, und deshalb diese Bedingungen dann auch theoretisch als nützliche Einrichtungen und wirkliche Lebensmittel ansehen will. Wer Geld verdienen oder sparen will, wer einen Arbeitsplatz in einem Unternehmen sucht, akzeptiert gerne Ratschläge, wie man das am besten bewerkstelligt; für Erklärungen dessen, was Geld und Kapital sind, hat er nichts übrig. Sie helfen beim täglichen Zurechtkommen nicht weiter, sind vielmehr immer auch ein Angriff auf den Willen, mit diesen gesellschaftlichen Bedingungen zurechtzukommen. Allerdings erfahren die Lohnabhängigen an allen Ecken und Enden, wie wenig diese Ökonomie ein Mittel für sie ist. Ihr falsches Bewusstsein ist daher keine ein für alle Mal fertige Sicht, sondern ein verbissenes, nie abgeschlossenes Ringen darum, ihren praktischen Willen zum Zurechtkommen aufrecht zu erhalten und die allfälligen Härten und Enttäuschungen konstruktiv zu verarbeiten. Die Vorstellungen über das ihnen – eigentlich und gerechterweise – Zustehende, aber von ihren Anwendern nie wirklich Zugestandene verweisen darauf, dass von einem objektiven Urteil nicht die Rede sein kann, wenn sich die Geschädigten über die Verhältnisse beklagen, die sie mitmachen und ertragen. Das ideologische falsche Bewusstsein macht denn auch jede Menge logische Schnitzer und hegt sehr widerleg- und überwindbare Irrtümer, sofern der Kritisierte überhaupt bereit ist, sich von seiner praktischen Verwiesenheit auf die kapitalistischen Verhältnisse so weit zu distanzieren, dass er einen Gedanken darüber wagt, woran er sich da eigentlich beteiligt und warum er in ihnen nicht zu dem kommt, worauf er ein Anrecht zu haben meint.

Heinrich, der sich beim Reden über die „struktur“bedingten Mystifikationen ohnehin nicht dafür interessiert, wie – also auch wie klassenspezifisch – widersprüchlich die Auffassungen über Ware, Geld und Kapital jeweils ausfallen, macht für das „notwendig falsche Bewusstsein“ einen eigentümlichen Grund aus: Die in der bürgerlichen Gesellschaft Befangenen sehen ihre Verhältnisse falsch und halten für Selbstverständlichkeiten jeder Produktion, ja für Naturnotwendigkeiten, was nur Notwendigkeiten des Kapitalismus sind; das aber nicht etwa, weil sie irgendeinen intellektuellen Fehler machen würden. Oder anders: Sie machen den merkwürdigen Fehler, die Dinge so aufzufassen, wie sie „auf ihrer Handlungsebene“ tatsächlich sind. Sie täuschen sich nicht und handeln rational innerhalb des vorgegebenen Rahmens.

„Die Rationalität ihrer Handlungen ist immer schon eine Rationalität innerhalb des mit der Warenproduktion gegebenen Rahmens. Werden die Absichten der Handelnden (also das, was sie ‚wissen‘) zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht, dann wird das, was die Einzelnen ‚nicht wissen‘, d.h. der ihrem Denken und Handeln vorausgesetzte Rahmen, von vornherein aus der Analyse ausgeblendet.“ (76)

Wo hat er nur her, dass die Handelnden von den gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen ihres Wirtschaftens nichts wissen? Es ist doch bekannt, dass sie über den Ordnungsrahmen durchaus feste Meinungen hegen – verkehrte eben. Sie gehen mit den ihnen präsentierten Existenzbedingungen berechnend um, und behandeln dabei sowohl die ökonomischen Umstände wie die sie garantierende politische Ordnung, als wären beide für sie und ihren Lebensunterhalt gemacht. Dass sie das nicht sind, bekommen sie zu spüren: Für die Insassen der Ordnung gehen Absicht und Resultat, Zweck und Mittel ihrer ökonomischen Bemühungen nicht auf. Es gibt eben nicht zwei Rationalitäten: eine innerhalb des mit der Warenproduktion gegebenen Rahmens, auf deren Basis die drinnen rational kalkulieren und handeln und die Welt so sehen, wie sie auf ihrer Handlungsebene tatsächlich aussieht; und daneben eine zweite Rationalität, derer sich Marx befleißigt, wenn er den Handlungsrahmen thematisiert, dem die Insassen unbewusst folgen.

Heinrich tilgt den Widerspruch des „notwendig falschen Bewusstseins“, indem er wissenschaftsmethodisch Ebenen trennt. Drinnen machen die Akteure alles richtig, verfolgen rationale Ziele und merken nichts von dem irrationalen Rahmen, in dem sie sich bewegen. Von außen, aber auch nur von außen ließe sich die Irrationalität wohl erkennen. Aber wer ist schon draußen? Mit seinen zwei Ebenen trennt er die gesellschaftliche Objektivität ganz und gar von den individuellen Handlungen, Motiven und Gedanken. Auf dieser Basis gibt es, theoretisch jedenfalls, keinen Übergang von der verkehrten Welt der im Kapitalismus Befangenen zu einer objektiven Sicht: Kritik bekommt einen transzendentalen Charakter.

Mit seiner Theorie der getrennten (Bewusstseins-)Welten zielt Heinrich kritisch auf die sogenannten „Weltanschauungs-Marxisten“, die von der Hoffnung auf einen unausweichlichen Fortschritt des „revolutionären Bewusstseins“ ihrer Adressaten beseelt waren. Gegen deren Erwartung, die Klassenlage und die Erfahrung der Ausbeutung werde den Arbeitern schon von selbst die Augen öffnen und ihnen praktisch außer Revolution keine Handlungsoption lassen, besteht Heinrich nun aber nicht darauf, dass schon noch ein Übergang vom kapitalistisch erzwungenen Interessensstandpunkt (am Lohn, Arbeitsplatz, Erfolg des Unternehmens, von dem man mit seinem Arbeitsplatz abhängt) und der entsprechenden Parteilichkeit auf eine objektive Sicht der Ökonomie und der eigenen Rolle in ihr erforderlich ist, geschweige denn dass er sich mit den im ‚Kapital‘ massenhaft aufgeschriebenen Argumenten an die Begründung und Propagierung dieses Übergangs machen würde. Er bespricht die „fetischisierte Vergesellschaftung“ als den Trick des Systems, seinen menschlichen Elementen seinen bloß historischen, also veränderbaren Charakter zu verheimlichen, d.h. ein so einsichtiges Bild von sich zu zeichnen und sie so vollkommen ins Räderwerk immanenter Handlungsmotive und Sachzwänge zu verstricken, dass sie Ausbeutung und Klassenherrschaft gar nicht mehr erkennen können. Vollkommen zufrieden damit, der blöden Hoffnungstheorie seiner verblichenen Gegner mit Marx entgegentreten zu können, macht er die Kritik des falschen und die Beförderung eines „revolutionären“ Bewusstseins, das auf Umsturz der Verhältnisse aus ist, nicht zu seiner Sache, sondern bespricht einen solchen Umsturz eigenartig abgeklärt als einen historischen Zufall, der eintreten kann oder auch nicht:

„(Gegen Hoffnungen auf einen revolutionären Automatismus) liefert das ‚Kapital‘ doch die Elemente, um zu verstehen, warum revolutionäre Entwicklungen so selten sind, warum die ‚Empörung‘, von der im Zitat die Rede ist, nicht gleich zum Kampf gegen den Kapitalismus führt: Mit der Analyse des Fetischismus, der Irrationalität der Lohnform und der trinitarischen Formel hatte Marx gezeigt, wie die kapitalistische Produktionsweise ein Bild von sich selbst hervorbringt, in welchem die gesellschaftlichen Beziehungen verdinglicht sind, wo kapitalistische Produktionsverhältnisse anscheinend aus den Bedingungen jeder Produktion entspringen, so dass es dann auch nur um Veränderungen innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse gehen kann. Eine revolutionäre Entwicklung kann sich ergeben, sie ist nicht ausgeschlossen, aber die ist alles andere als ein zwangsläufiges Resultat.“ (200f)
„... auch die Arbeiter und Arbeiterinnen (genauso wie die Kapitalisten) sind in ihrem spontanen Bewusstsein im Warenfetisch befangen ... Von einer privilegierten Erkenntnisposition der Arbeiterklasse kann daher keine Rede sein – allerdings auch nicht davon, dass der Fetischismus prinzipiell undurchdringlich wäre.“ (77)

Das ist ja tröstlich: Das Durchschauen der fetischisierten Vergesellschaftung ist nicht wahrscheinlich; es ist auch gar nicht zu sehen, wie das gehen sollte; es ist aber auch nicht prinzipiell unmöglich. Für diese coole Botschaft, soviel steht fest, hat der alte Marx sein Leben in der British Library nicht verplempert. Seine Kritik der politischen Ökonomie war nicht an eine akademische Gemeinde gerichtet, die Unwahrscheinlichkeit und Möglichkeit revolutionärer Entwicklungen abschätzen möchte, sondern an eine revolutionäre Arbeiterbewegung, der er auf die Sprünge helfen wollte. Er hatte eine Arbeiterschaft im Blick, die sich zur Wehr setzen musste, weil sie unter dem Regime des Kapitals nicht leben konnte. Den zur Gegenwehr genötigten und entschlossenen Lohnarbeitern sollte die Notwendigkeit ihrer Lage unter der gegebenen Eigentumsordnung so gründlich klar werden, dass sie auch wirklich gegen die Ursachen ihres Elends kämpfen und sie beseitigen. Er warf ihnen und ihren Gewerkschaften das Unzureichende ihres Kampfes um einen Lohn vor, von dem sie leben können, – angesichts dessen, was der Lohn ist und wofür er bezahlt wird. Er hegte durchaus nicht die aparte Auffassung, seine Adressaten hätten eine „privilegierte Erkenntnisposition“; er meinte nur, sie hätten gute Gründe, diese Ordnung umzustürzen – für die erforderliche Erkenntnis tat er praktisch, was er konnte.

Zu diesem Umsturz ist es nicht gekommen; nicht weil die revolutionären Arbeiter, vom Fetisch geschlagen, die Verhältnisse wunder wie vernünftig gefunden hätten, sondern zu allererst dank des Wirkens der Staatsgewalt. Sie hat Klassenkämpfe niedergeschlagen und Klassenkampforganisationen unterdrückt; eine langsam lernende Obrigkeit hat andererseits nicht wenig unternommen, um die Bewegung auf einen konstruktiven, staastragenden Weg zu bugsieren: In dem Maße wie die Arbeiterschaft – nicht zuletzt durch Gewalt belehrt – ihre Unterordnung unter Staat und Kapital als Vorbedingung ihrer Existenz anerkennt und ihren Dienst zu leisten verspricht, also nichts anderes will, als unter dem Regime des Kapitals leben und überleben können, ringt sich die Staatsgewalt dazu durch, das Überleben der Arbeiterklasse und ihre Befähigung zu ihren Diensten, auf die der Laden ja angewiesen ist, zu einem Staatsziel zu erheben und soweit zu berücksichtigen, wie die vorrangigen Staatsziele das zulassen. Unter dem Druck der Staatsmacht und mit sozialpolitischen Angeboten von Bismarck bis Hitler gelockt hat die Arbeiterbewegung Marx’ Lektion in den Wind geschlagen und sich politisiert, d.h. den Erfolg der kapitalistischen Nation als Vorbedingung ihrer Ansprüche, also den Vorrang der Nation vor ihren materiellen Interessen anerkannt. Das ist durchaus im Sinn der sogenannten „systemimmanenten“ Arbeiterinteressen an Lohn und Freizeit weder einleuchtend, noch zweckmäßig, vielmehr ein grandioser Fehler.

Der Staat – als politische Herrschaft kaum mehr nötig; als bestimmte Weise, den gesellschaftlichen Zusammenhang zu vermitteln (202) aber schon

Heinrich sieht da keinen Fehler, nur die Zweckrationalität systemimmanenter Interessen. Innerhalb des kapitalistischen Rahmens, den sie nicht in Frage stellen, verfolgen die integrierten Lohnarbeiter ihre Interessen ganz vernünftig und bekommen Heinrich zufolge in etwa, worauf sie Anspruch erheben. Auf Basis der „fetischisierten Vergesellschaftung“ findet er es ganz logisch, dass nicht nur die Nutznießer dieser Gesellschaft, sondern auch die Ausgenutzten auf das System setzen und brav den Sachzwängen der „systemischen Herrschaft“ folgen.

Allerdings verspürt er das Bedürfnis, sich und seinen Lesern zu erklären, wo die Macht des Systems, diese übermächtige, von den Einzelnen nicht zu kontrollierende Gesellschaftlichkeit (73) herkommt, von der sich die Millionen dirigieren lassen, obwohl sie anders könnten. Die tauschenden Personen sind in ihren Handlungen zwar frei, als Warenbesitzer müssen sie aber den ‚Gesetzen der Warennatur‘ folgen. (61) Das klingt tautologisch – und ist es auch. In dieser Tautologie findet Heinrich die gesuchte Erklärung:

„Diese sachliche Herrschaft, die Unterwerfung unter „Sachzwänge“, existiert aber nicht etwa, weil die Sachen an sich bestimmte Eigenschaften besitzen würden, die diese Herrschaft hervorbringen, oder weil der gesellschaftliche Verkehr diese sachliche Vermittlung zwingend erfordern würde, sondern nur deshalb, weil sich die Menschen in einer besonderen Weise auf diese Sachen beziehen – nämlich als Waren.“ (73)

Als Auskunft über Grund und Quelle der sachlichen Herrschaft genommen, ist das ein Zirkel: Die Dinge haben Macht über die Menschen, aber nur, weil die ihnen Macht geben. Nachdem sie das einmal getan haben, müssen sie ihnen folgen – außer sie tun es nicht mehr, dann haben diese auch keine Macht mehr über sie. Eine ganze Gesellschaft mit ihrer Arbeit, ihrer Armut und ihrem „destruktiven Potenzial“ – eine unnötige Selbstentfremdung des Menschen; die einerseits gar nicht und andererseits ganz leicht zu korrigieren ist.

Für sich genommen zeugt diese Auskunft über „sachliche Herrschaft“ allerdings davon, dass Heinrich nicht versteht, wie viel politische Gewalt im „stummen Zwang der Verhältnisse“ steckt. Sich auf die Sachen als Waren beziehen – das ist nichts, was jemand so einfach aus freien Stücken tun oder lassen würde, oder, wenn er denn wollte, von sich aus könnte. Dieses Sich-Beziehen bedeutet schließlich, dass die Gesellschaftsmitglieder die Elemente des materiellen Reichtums als ihr Eigentum gegeneinander reklamieren bzw. als das anderer respektieren. Es heißt, anerkennen, dass Dinge des Bedarfs, obwohl vorhanden, dem Bedürftigen unverfügbar, weil fremdes Eigentum sind. Nur wo eine Staatsmacht die exklusive private Verfügung über produzierte und natürliche Reichtümer verordnet und den Respekt vor diesem Ausschluss erzwingt, werden Arbeitsprodukte zu Waren, entfalten die Eigenschaft, Tausch- und Zugriffsmittel auf Produkt und Leistung anderer zu sein, und verwandeln sich dadurch in Träger „verdinglichter Macht“. Wert ist gar nichts anderes als dieser quantitativ bestimmte Eigentumscharakter des Arbeitsprodukts. Die politische Gewalt, die das Eigentum stiftet, ist Basis und Garant dieser ökonomischen Macht, und somit Quelle des viel beschworenen Fetischs.

Heinrich sieht das umgekehrt: Weil die fetischisierte Vergesellschaftung klappt und die Bürger sich von den Sachzwängen dirigieren lassen, scheint ihm die politische Gewalt nur für die historische Genese der kapitalistischen Ordnung konstitutiv zu sein, nicht jedoch für ihren einmal eingerichteten Bestand. Den gewährleistet der Selbstlauf der „systemischen Herrschaft“, so dass die Gewalt des Staates nur noch eine Rest- und Nebenrolle spielt als außerhalb der Gesellschaft stehende Rückversicherung der Ordnung, die kaum mehr eingreifen muss.

Erst dann (wenn die ursprüngliche Akkumulation abgeschlossen und der Kapitalismus etabliert ist) genügt für die ‚Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter‘ der ‚stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse‘, so dass die staatliche Zwangsgewalt nur noch in Ausnahmefällen nötig ist. (210)

„Das aus der Produktion hervorwachsende Herrschaftsverhältnis zwischen den Klassen ist in der bürgerlichen Gesellschaft also ein ganz anderes als in allen vorbürgerlichen Gesellschaften. Unter kapitalistischen Umständen ist die unmittelbare politische Gewalt zur Aufrechterhaltung der ökonomischen Ausbeutung nicht notwendig: Es genügt, wenn der Staat als eine jenseits der Gesellschaft stehende Gewalt gewährleistet, dass sich die Mitglieder der Gesellschaft als Privateigentümer verhalten.“ (208)

Was heißt da „nur noch“ und „es genügt“? Im Kapitalismus tritt die Staatsgewalt anders auf als in vorbürgerlicher Zeit, aber sicher nicht weniger. Eher trifft das Gegenteil zu: So umfassend präsent wie durch die Herrschaft des Rechts, das mit gewaltbewehrten staatlichen Setzungen die Gesellschaft bis in ihre hintersten Winkel im Griff hält, war die Staatsmacht früherer Epochen nie gewesen. Allgegenwärtig und wachsam sorgt der Staat mit seinem Gewaltmonopol dafür, dass sich die Mitglieder der Gesellschaft als Privateigentümer verhalten: Das – Heinrich hält das für ein „nur“ – ist ein komplettes Herrschaftsprogramm. Die Obrigkeit legt die Eigentumslosen auf die Rolle von Eigentümern fest und nötigt ihnen den Respekt vor dem wirklichen Eigentum auf, das ihnen als Macht des Kapitals gegenübersteht. In der Produktion kommandiert der Kapitalist mit der ökonomischen Macht seines Eigentums über die Arbeiter nur deshalb, weil eine politische Herrschaft außerhalb der Produktion ihm die Macht dazu verschafft.[10] Und das erfordert bekanntlich ein ganzes Arsenal von gar nicht stummen Vorschriften, Regelungen und Eingriffen der öffentlichen Gewalt, den Schutz des Kapitals, die Festlegungen von Rechten und Pflichten der von ihm Abhängigen, die Beaufsichtigung und öffentliche Betreuung der daraus resultierenden Kollisionen und Schädigungen an Arbeitskraft und Natur und nicht zuletzt die Erlaubnisse und Verbote gewerkschaftlicher und politischer Betätigung.

Wieder bewährt sich Heinrichs Vorstellung von den zwei getrennten Ebenen des kapitalistischen Getriebes: Im Prinzip, von außen sozusagen, ist ihm klar, dass die politische Macht ihre Bürger gerade durch die Gleichbehandlung als Privateigentümer, d.h. durch die Abstraktion von ihrer materiellen Lage, auf ihre ökonomischen Klassenrollen festlegt. Und wenn er den Staat einen ideellen Gesamtkapitalisten nennt, der mit seiner Politik das Interesse an einer möglichst profitablen Akkumulation (des nationalen Kapitals) verfolgt (211) und dieses Staatsinteresse gegen alle Privatinteressen durchsetzt, dann weiß Heinrich auch, dass dieses Staatsprogramm für die einen ein Dienst an ihrem Bereicherungs- und Akkumulationsinteresse ist, die anderen aber zum Dienst am fremden Bereicherungsinteresse zwingt. Die gegensätzliche Indienstnahme des Volkes für das nationale Kapitalwachstum setzt ein souverän handelndes Gewaltmonopol voraus, das den diversen Interessen ihr Recht zuweist oder abspricht, und sie auf das für den Erfolg des nationalen Kapitalismus nützliche Maß zurechtstutzt. Sogar das spricht Heinrich noch irgendwie aus; dennoch mag er auf der ‚Handlungsebene‘ der Subjekte, sozusagen vom Inneren des System aus gesehen, staatliche Herrschaft und den Gebrauch von Gewalt nicht oder kaum mehr entdecken; und das ausgerechnet mit Verweis auf das Faktum, dass sich nicht nur die herrschende, sondern auch die ausgenutzte Klasse das Regiert-Werden gefallen lässt und auf es seine Hoffnungen richtet. Weil er ein funktionierendes Gewaltmonopol vor sich hat, das sich Respekt verschafft hat, sich also im Normalfall nicht erst gegen selbständige Gewalt in der Gesellschaft durchsetzen muss, erkennt er die Präsenz der Gewalt nicht mehr, auf der die kapitalistischen Verhältnisse beruhen.

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Zum Schluss, auf der letzten der 230 Seiten seiner „Einführung“ in die Kritik der politischen Ökonomie ringt sich Heinrich nach und gegen mancherlei Bedenken zu einem Bekenntnis durch: Es gibt genug gute Gründe, den Kapitalismus abzuschaffen und zumindest zu versuchen, ihn durch einen ‚Verein freier Menschen‘ zu ersetzen. Das ist ehrenwert. Die guten Gründe aber, die er dann nennt – und es werden die stärksten sein, die ihm einfallen –, zeigen eines: Dafür hat er das ausführlich kommentierte Kapital von Marx nicht gebraucht und dafür hat es ihm auch nichts gebracht. Er zählt die klassenlosen „Übel“ auf, die problembewusste und gute Menschen ganz ohne Marxlektüre schlimm finden; allgemein beklagte Missstände, unter denen die Ausbeutung der arbeitenden Mehrheit gar nicht vorkommt, vielmehr lauter Wirkungen dieser Wirtschaftsweise, die ihren eigenen Bestand bedrohen: Soziale Verheerungen, die der globale Kapitalismus durch Krisen und Arbeitslosigkeit anrichtet, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, immer neue Kriege. „Soziale Verheerung“ – schon dieser Maßstab des Kritikwürdigen verrät die Sorge um das existente soziale Gefüge, das der zerstörerische Kapitalismus immer wieder bedroht – ist zu fürchten, wenn die Akkumulation von immer mehr Kapital einmal nicht mehr klappt. Kritik verdient die Produktionsweise nicht für das Funktionieren ihres Zwecks, sondern für ihre periodischen und zeitweiligen Krisen und die außergewöhnliche Not, die sie dann der Gesellschaft aufzwingt. So richtig verheerend und verurteilungswürdig ist nicht die Benutzung der Arbeitskräfte als Quelle fremden Reichtums, sondern ihre Nichtbenutzung: Erst das Elend der Arbeitslosen, die vom Privileg, ausgebeutet zu werden, ausgeschlossen und als Reichtumsquelle nicht gefragt sind, liefert „gute Gründe, den Kapitalismus abzuschaffen“. Nicht, dass die Menschen fürs Kapital leben, spricht für seine Abschaffung, sondern erst der Umstand, dass manche vom Dienst am Kapital nicht einmal leben können. Nicht der normale Gang der kapitalistischen Wirtschaft, sondern kapitalistisch verursachte Groß-Katastrophen – vom Klima bis zum Krieg –, die „alles“ zu zerstören drohen, gebieten ein Umdenken.

Die Ausbeutung zu kritisieren, ist nicht dasselbe wie die „soziale Frage“ aufzuwerfen; zwischen beidem liegen Welten. Feindschaft gegen diese Ordnung und die Sorge ums Gelingen von Gesellschaft sind unverträglich. Mit Marx hat Heinrich, was die Kritik des Kapitalismus betrifft, letzten Endes nicht viel anfangen können.

[1] Jan Hoff u.a., Das Kapital neu lesen – Beiträge zur radikalen Philosophie, Münster 2006, zitiert als: Hoff.

[2] Michael Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Schmetterling Verlag Stuttgart, 3. Aufl. 2005. (Seitenangaben nach Zitaten ohne nähere Quellenangabe stammen aus diesem Buch.)

[3] Michael Heinrich, Wie das Marxsche Kapital lesen? Stuttgart 2008. Dieser noch zitatreichere und textnähere Kommentar über die beiden ersten Kapitel des ‚Kapital‘ Band 1 legt weniger als die „Einführung“ Wert auf die Abgrenzung zum sogenannten Weltanschauungs-Marxismus, unterscheidet sich in Argument und Beweisabsicht ansonsten nicht von der älteren „Einführung“. (Zitate daraus unter: Heinrich II)

[4] Grotesk gerät die Manier, die kapitalistische Realität aus dem Selbsterhaltungsbedürfnis des Systems im Gegensatz zum Kapitalinteresse zu erklären, wo Heinrich begründet, warum der Lohn stets auf den Gegenwert für die notwendigen Lebensmittel beschränkt bleibt: Innerhalb des Kapitalismus ist die besondere Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft notwendig: Würden die Arbeiter und Arbeiterinnen nicht nur den Wert der Lebensmittel erhalten, die sie am Markt kaufen müssen, dann wären sie längerfristig nicht mehr eigentumslos und könnten sich vom Zwang zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zumindest teilweise frei machen. (92) In der Wirklichkeit werden die Arbeitskräfte nicht knauserig bezahlt, weil sie andernfalls zu reich würden und dem System die Lohnarbeiter ausgingen, sondern weil sie überhaupt nur bezahlt werden, um dem Unternehmen einen Gewinn zu erarbeiten – und dafür sind sie um so nützlicher, je weniger Lohnkosten sie verursachen.

[5] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S.16; im folgenden zitiert als KI

[6] Karl Marx, Das Kapital, Band 3, MEW 25, S. 255; im folgenden: KIII

[7] Er zitiert den klärenden Brief von Marx an Kugelmann vom 11. Juli 1868: Das Geschwätz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft. Dass jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, dass die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedene und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Dass diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. ... Und die Form, worin sich diese proportionale Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als Privataustausch der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der Tauschwert dieser Produkte. (MEW Bd. 32, S. 552f)

[8] Schon auf der abstrakten Ebene von Ware und Wert, also noch ehe der Warenproduzent im Fortgang des ‚Kapital‘ so ins Auge gefasst wird, wie er in dieser Wirtschaft allgemein auftritt – aufgeteilt nämlich in einen Unternehmer, dem die Produktionsmittel gehören und der fremde Arbeit anwendet, und in die gekaufte Arbeitskraft, die die Arbeit macht –, kritisiert Marx das Maß des Reichtums dieser Gesellschaft, das die Ausbeutung der Arbeitenden schon ankündigt. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time das Maß des Reichtums. Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den Reichtum selbst als auf Armut begründet und die disposable time nur existierend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeit oder Setzen der ganzen Lebenszeit des Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter, Subsumtion unter die Arbeit. Die entwickeltste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher, jetzt länger zu arbeiten, als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohesten Werkzeugen tat. (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 604.) Wie die Wirklichkeit der für den Wert in Dienst genommenen Arbeit im einzelnen aussieht; was es also heißt, dass Verausgabung von „Hirn, Muskel, Nerv“ den Reichtum schafft, behandelt Marx in späteren Kapiteln über die Fabrik. Auch da irrt Heinrich, wenn er meint: Abstrakte Arbeit kann überhaupt nicht ‚verausgabt‘ werden. Abstrakte Arbeit ist ein im Tausch konstituiertes Geltungsverhältnis. (49)

[9] Zu der Aufwertung, die Marx’ Stichworte „Fetisch“, „notwendig falsches Bewusstsein“ und „Charaktermaske“ heute erfahren, zu den Fehldeutungen, denen sich diese Aufwertung verdankt, zu den politischen Standpunkten, aus denen sie hervorgehen, hat sich diese Zeitschrift vor über 10 Jahren anlässlich von Robert Kurz und anderen geäußert, denen Heinrich in dieser Hinsicht näher steht, als ihm lieb sein dürfte. Siehe: „Was sich mit Marx doch alles anstellen lässt“, GegenStandpunkt 4-96, S. 73-102.

[10] Es wächst keine Herrschaft so einfach aus der Produktion hervor, wie die oben zitierte Vorstellung nahelegt. Herrschaft überhaupt ist keine Wirkung von Ausbeutungsverhältnissen in der Produktion, sie ist vielmehr deren dauerhafte Voraussetzung und Lebensbedingung. Die Anschauung vom „aus der Produktion hervorwachsenden Herrschaftsverhältnis“ stellt die Sache auf den Kopf. Es hilft auch nichts, dass Heinrich hier, wie oft, Marx zitiert. Der argumentiert an der betreffenden Stelle, dass die Art der Herrschaft, die besonderen Herrschaftsformen und Methoden durch die jeweiligen ökonomischen Formen der Ausbeutung gegeben sind: Es ist jedesmal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den unmittelbaren Produzenten ..., worin wir das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion und daher auch der politischen Form des Souveränitäts- und Abhängigkeitsverhältnisses, kurz der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden. (KIII, 799)