Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der härteste Arbeitskampf in der Geschichte der Deutschen Bahn beendet? Von wegen! Mehdorn schlägt zurück.

Mitte Januar sieht es so aus, als sei der ungewöhnliche Arbeitskampf durch die Unterschrift der Konfliktparteien unter den Kompromissvorschlag von Minister Tiefensee ausgestanden. Zufrieden äußern sich Politiker und Medien, dass der Arbeitsfrieden wiederhergestellt ist, die Züge zuverlässig fahren, und die Lokführer nicht mehr auffallen, weil sie einfach wieder Dienst tun. Ob sie ihre soziale Lage durch ihre Hartnäckigkeit wirklich verbessert haben, ob das Ergebnis den Aufwand rechtfertigt, ja worin es überhaupt genau besteht, – das alles interessiert die öffentliche Kommentierung wenig: Hauptsache, die soziale Ordnung ist wieder in Ordnung. Auch GDL-Chef Schell zeigt sich – vorschnell, wie man inzwischen weiß – überaus zufrieden.

Aus der Zeitschrift
Gliederung

Der härteste Arbeitskampf in der Geschichte der Deutschen Bahn beendet? Von wegen! Mehdorn schlägt zurück

Mitte Januar sieht es so aus, als sei der ungewöhnliche Arbeitskampf durch die Unterschrift der Konfliktparteien unter den Kompromissvorschlag von Minister Tiefensee ausgestanden. Zufrieden äußern sich Politiker und Medien, dass der Arbeitsfrieden wiederhergestellt ist, die Züge zuverlässig fahren, und die Lokführer nicht mehr auffallen, weil sie einfach wieder Dienst tun. Ob sie ihre soziale Lage durch ihre Hartnäckigkeit wirklich verbessert haben, ob das Ergebnis den Aufwand rechtfertigt, ja worin es überhaupt genau besteht, – das alles interessiert die öffentliche Kommentierung wenig: Hauptsache, die soziale Ordnung ist wieder in Ordnung. Auch GDL-Chef Schell zeigt sich – vorschnell, wie man inzwischen weiß – überaus zufrieden über:

„Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann!“

Das kann es, wenn man es nicht auf die 19 % Reallohnverlust und die Verdopplung der Produktivität pro Beschäftigten bezieht, mit denen die Lohnforderung ursprünglich begründet wurde, sondern auf das einige Prozent schlechtere Ergebnis, das Transnet für die übrigen Bahner abgeschlossen hat: Auf die 19 Monate effektive Laufzeit verteilt, ergibt die gestaffelte Lohnerhöhung, die am Schluss 5 Monate lang auf 11% steigt, etwa 7,5 % plus eine Stunde Arbeitszeitverkürzung ab Februar 2009.

Schell und die GDL-Spitze meinen wohl, die Abstriche von dem, was man als fällige Korrektur der jahreslangen Lohnverluste errechnet hatte, vertreten zu können, angesichts des viel wichtigeren Erfolgs, den sie präsentieren können: In diesem Lohnkampf hat sich die GDL als eigenständige Tarifvertragspartei durchgesetzt. Sie hat gegen eine erbitterte Feindschaft der Kapitalseite und der konkurrierenden Mehrheitsgewerkschaft Stand gehalten. Man wollte sie nicht als tariffähige Vertretung ihrer Mitglieder anerkennen, ihren Arbeitskampf verbieten, ihre Organisation und Handlungsfähigkeit vernichten, ihre streikenden Mitglieder kriminalisieren und teilweise feuern. Die GDL hat sich nicht einschüchtern lassen. Sie hat vom höchsten deutschen Arbeitsgericht ein Recht auf Streik bestätigt bekommen – und davon Gebrauch gemacht. Sie hat demonstriert, dass sie den Zugverkehr weitgehend lahm legen kann; und sie hat in der Endphase von Seiten der Berliner Regierung eine gewisse Aufwertung als Konfliktpartei erfahren: Mehdorn muss mit ihr verhandeln.

Wie wenig dieser Erfolg wert, wie wenig sogar das Wort eigenständiger Tarifvertrag wert ist, zeigt sich einen Monat später: Die Einigung vom Januar hat die entscheidende Frage offen gelassen, die bis dahin ja das große Hindernis für jede Verständigung war. Man hat einen Vertrag über Lohn und Arbeitszeit unterschrieben, ob dieser eigenständige Tarifvertrag sich aber konflikt- und widerspruchsfrei ins allgemeine Tarifsystem der DB einfügen muss oder einfügen lässt, hat man ausgeklammert. Als Teil der Einigung hat die GDL zwar den Auftrag akzeptiert, mit den anderen Bahn-Gewerkschaften einen Kooperationsvertrag und mit der Bahn einen Grundlagen-Tarifvertrag im Sinn der Tarifeinheit des Konzerns zu vereinbaren. Ob dies nun aber heißt, man werde sehen, ob man sich da einigen kann, oder ob eine Einigung Vorbedingung dafür ist, dass die Tarifvereinbarungen wirksam werden, ist nicht geklärt worden. Handelt es sich bloß um eine Forderung der Bahn, die GDL möge sich wieder in die DGB-übliche, „vernünftige“ Kooperation von Gewerkschaften und Geschäftsleitung einbinden lassen, oder ist die Rückkehr zur deutschen Normalität Bedingung dafür, dass der Abschluss Gültigkeit erlangt? Beide Seiten vertreten dazu vollkommen unvereinbare Positionen. Daran wird deutlich, dass die Durchsetzung der GDL im Grundsätzlichen noch überhaupt nicht gelungen ist und die Gegenseite diesen Tarifpartner noch keineswegs akzeptiert. Der ganze Erfolg steht wieder in Frage; und die Lokführer werden schon wieder kämpfen müssen, um sich das zu holen, was sie schon zu haben glaubten. Bahnchef Mehdorn hat seit dem Tag seiner Unterschrift unter Tiefensees Zettel zu erkennen gegeben, dass für ihn dieser Kampf noch lange nicht zu Ende ist. Mit diesem Abschluss macht er keinen Frieden.

„Eine Niederlage nicht nur für die Bahn, sondern auch für den Standort Deutschland“

Mehdorn ist nicht bereit, wie sonst üblich, den gewonnenen Arbeitsfrieden und die Zuverlässigkeit des Fahrplans gegen die Zugeständnisse aufzuwiegen, die dafür erforderlich waren. Er hält sich ans materielle Resultat der Auseinandersetzung und ans Prinzip und findet, dass in beiden Hinsichten der außerplanmäßige Erfolg einer Minderheitsgewerkschaft eine absolute Katastrophe ist, die nicht hätte passieren dürfen. Wenn der Arbeitsfrieden einen Preis hat, den Mehdorn nicht selbst festsetzen kann, dann ist er zu teuer erkauft. Die Fortsetzung des Kampfes bis zu einer klaren Niederlage der Gewerkschaft, die seinen Laden stört, ist für ihn auch nach der vorläufigen Einigung das einzig Richtige.

Gewerkschaften, so sieht er die Sache, dürfen sich bilden und sich als Verhandlungspartner des Kapitals betätigen, damit sie die Renditeansprüche des Kapitals einsehen, die Interessen ihrer Mitglieder den betrieblichen Belangen unterordnen und ihnen diese Unterordnung als einzig realistischen Weg der Vertretung dieser Interessen verkaufen. Eine Gewerkschaft, die da aus der Reihe tanzt, gehört fertig gemacht, ihr Aufbruch gehört entmutigt, damit unrealistische Ansprüche des Arbeitsvolks und sich mit Forderungen überbietende Kleingewerkschaften gar nicht erst Schule machen – nicht nur bei der Bahn. Der Bahnchef sieht sich in einer Schlacht, die er stellvertretend für die ganze kapitalistische Nation schlägt und bei der er Anspruch auf konsequente Unterstützung durch die Staatsmacht gehabt hätte. Aber erst lässt ihn die Justiz bei seinem Versuch, den GDL-Streik zu kriminalisieren, im Stich, dann fällt ihm der öffentliche Eigentümer mit Vermittlungsbemühungen in den Rücken.

„Mehdorn kritisierte indirekt den Einsatz Tiefensees für den Tarifabschluss mit den Lokführern. ‚Einige nehmen für sich in Anspruch, zur Beendigung dieses Arbeitskampfes beigetragen zu haben‘, sagte Mehdorn, offenbar an die Adresse des Verkehrsministers gerichtet. Denen müsse jedoch klar sein, ‚was dieser Abschluss für Konsequenzen haben muss‘.“ (SZ, 15.01.)

Seine Konsequenz besteht jedenfalls darin, dass der Kampf weiter geht und er alles unternehmen wird, um den Erfolg der GDL, den er unterschrieben hat, rückgängig zu machen. Er kündigt an, dass er den Schaden für die Bahn – als das rangieren bei ihm die Einkommensverbesserungen der Lokführer – umgehend wieder in Ordnung bringen wird. Nach dem untragbaren Abschluss ist er wieder alleine der Herr im Bahnkonzern und kann und wird Arbeitszeiten, Beschäftigtenzahlen, Beschäftigungsformen und Fahrpreise so einrichten, dass dem Bahnprofit kein Nachteil aus den Zugeständnissen an die Lokführer erwächst.

„Mehdorn hatte erklärt, dass die Bahn als Konsequenz aus der Tarifeinigung mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer wahrscheinlich Arbeitsplätze abbauen und Preise erhöhen müsse ... Der Abschluss gehe weit über das wirtschaftlich vertretbare Maß hinaus. Den jährlichen Schaden bezifferte er auf 200 Millionen Euro. Für die kommenden fünf Jahre ergebe sich eine ‚Belastung in Milliardenhöhe‘. Es werde nun ‚sehr schnell‘ geprüft, wie die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns wiederhergestellt werden könne. ‚Es wird uns gelingen, aber die Konsequenzen werden für uns bitter sein.‘“ (FAZ-net, 15.1.)

Welches „Wir“ die bitteren Konsequenzen tragen muss, unterliegt angesichts der sofort präsentierten Liste der Gegenmittel keinem Zweifel:

„... ‚weitere Rationalisierungen‘, ‚Outsourcen von Arbeit‘, ‚Leiharbeit‘, ‚Verlagerung von Arbeit in Billiglohngebiete‘, ‚Entlassungen‘.“

Außerdem erklärt er den bis 2010 vereinbarten Beschäftigungspakt für tot. Er sät nach Kräften Verbitterung gegen die GDL, indem er den Opfern seiner angekündigten Maßnahmen, dem gesamten Personal und den Fahrgästen, mitteilt, bei wem sie sich zu bedanken haben, wenn er ihnen nächstens Entlassungen, Preiserhöhungen etc. präsentiert. Dass die DB sowieso jährlich die Preise erhöht, ohnehin permanent rationalisiert, Funktionen nach außen vergibt, wenn sie von Subunternehmern billiger erbracht werden als von Bahnbeschäftigten, und so fort, tut der Glaubwürdigkeit seiner Drohung keinen Abbruch; im Gegenteil. Man darf ihm abnehmen, dass er das alles auch 2008 wieder tun wird. Heuer eben als Reaktion auf den GDL-Abschluss, als Kompensation für die Kompensation, die die Lokführer für jahrelange Lohnverluste erstritten haben. Er erklärt der streikbereiten Mannschaft lauthals, dass er sich alles zurückholen wird, um sie darüber zu belehren, dass Kämpfen sich nicht lohnt und dass ihr Versuch zwecklos ist, sich gegen den Willen der Chefetage besser zu stellen: Auch eine Art, den Proletariern die Unversöhnlichkeit des Kapitals gegen jedes Lohninteresse anzusagen und ihnen die Unvermeidlichkeit des Kampfes vor Augen zu stellen, wenn sie nicht jede Verschlechterung des Verhältnisses von Lohn und Leistung schlucken wollen.

Deutschland versteht die Botschaft unbedingter Unversöhnlichkeit und erschrickt – aber nur für einen Augenblick.

Mehdorns fiese Rache nach dem Motto: Wenn du mehr Geld willst, bist Du Deinen Job los! haben die Medien registriert und unschön gefunden: Seine gestrigen Äußerungen enttarnen ihn nicht nur als schlechten Verlierer. Mehdorn spielt gezielt mit den Ängsten nicht nur der Mitarbeiter, sondern auch mit denen der Kunden. Das ist eine böse Entgleisung. (TZ, 16.01.)

Nach einem Arbeitskampf hat die feindliche Konfrontation auch mal wieder vorbei zu sein, Frieden zu herrschen – und Arbeit wieder stattzufinden. Da sind sich die Zeitungen mit dem politischen Vermittler einig:

„Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) lehnte die Pläne Mehdorns umgehend ab: ‚Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund für ein wirtschaftlich so starkes Unternehmen wie die DB AG, sofort mit der Entlassung von Beschäftigten und der Verlagerung von Arbeitsplätzen zu drohen oder gar den Beschäftigungspakt aufzukündigen‘, sagte er. ‚Der Eigentümer Bund erwartet von der DB AG, die gute Partnerschaft mit den Gewerkschaften fortzusetzen.‘“ (SZ, 15.01.)

Tiefensee erinnert daran, dass der soziale Frieden eine Produktivkraft des deutschen Kapitalismus ist, die Mehdorn nicht leichtfertig aufs Spiel setzen sollte. Wenn Gewerkschaften unternehmerische Entscheidungen mittragen und bei ihrer Anhängerschaft durchsetzen, können sogar Radikalkuren wie die Bahnprivatisierung ohne Widerstand und Ärger über die Bühne gebracht werden: Die Halbierung der Belegschaft, die Absenkung der realen Gehälter, Verlängerung der Arbeitszeit, Verschlechterung der Schichtmodelle – alles das hat Mehdorn im letzten Jahrzehnt zugunsten der Profitmaschine Eisenbahn glatt einfahren können. Da müsse er, wenn er es sich schon so gut leisten kann wie gegenwärtig, auch einmal einen Preis für den sozialen Frieden bezahlen.

Damit ist das Stichwort für den Fortgang der öffentlichen Meinungsbildung gefallen: Wie hoch ist der angemessene Preis für den sozialen Frieden und wer setzt ihn fest? Ihrer Wortmeldung dazu schickt die FAZ noch ein bisschen Kritik an Mehdorn voraus. Die gilt allerdings ausschließlich seinem schlechten Stil: Er hätte Nein sagen können, er hätte Nein sagen sollen, aber wenn er schon unterschreibt, hat er auch dazu zu stehen. Nachtreten ist unfein!

„Sein Lamento hinterlässt in der Tat einen faden Beigeschmack, hätte er doch die Zustimmung zur Einigung verweigern können. Aus Angst vor weiteren Streiks erschien aber offenbar ein teurer Kompromiss als minderes Übel. Nun wirft Mehdorn Bundesverkehrsminister Tiefensee vor, Druck auf die Bahn ausgeübt zu haben.“ (FAZ, 17.1.)

In der Sache gibt die Zeitung Mehdorn voll recht: Der Verkehrsminister hat ihn zu dem Abschluss gedrängt – und das mit dem unpassenden Standpunkt, die wirtschaftlich starke Bahn könne sich einen solchen Tarifabschluss leisten (ebd.). Diese Einstellung ist gefährlich. Selbstverständlich kennt auch die FAZ die Zahlen, die ein Münchner Boulevardblatt wie einen Rechtstitel auf Lohnerhöhung anführt:

„Im Geschäftjahr 2006 verzeichnete die DB das beste Unternehmensergebnis seit vielen Jahren. Der Umsatz stieg um 19,9 % auf 30,1 Milliarden Euro an. Den Gewinn (EBIT) konnte die DB um 1,1 auf 2,5 Milliarden Euro verbessern.“ (TZ, 16.1.)

Aber was heißt das schon? Aus einem hohen Gewinn folgt für die Löhne gar nichts!

„Die Anmaßung der Politiker, über die Gewinnverwendung des Unternehmens zu befinden, sagt viel über deren Wirtschaftsverständnis. Dabei liegt auf der Hand, dass der Konzern im Wettbewerb zurückfällt, wenn die Löhne viermal so stark steigen wie bei Konkurrenten. Die Bahn braucht den Gewinn – für die Beschäftigten, aber auch für Investitionen und Schuldenabbau. Wo das Geld wirtschaftlich am sinnvollsten angelegt ist, kann nur der Vorstand bestimmen, nicht die Politik.“ (FAZ, 17.01.)

Das ist ein klares Wort: Auch bei der Bezahlung des Geldes, von dem das Personal lebt, geht es darum, Geld im Geschäftsinteresse der Bahn möglichst sinnvoll anzulegen. Und da ist klar, dass Löhne die am wenigsten sinnvolle Anlageform des Gewinns sind: Sie kosten Gewinn und schmälern das Budget für alles, was zukünftigen Gewinn verspricht. Wie viel von den leidigen Lohnkosten allenfalls im Sinne des Unternehmens als unvermeidlich anerkannt werden muss, kann und darf niemand anderes entscheiden als der Vorstand, der dem Eigentümer schließlich für die Rendite verantwortlich ist. Wenn also Herr Mehdorn meint, dass er den sozialen Frieden billiger hätte kriegen können, dann hat er den renommierten Zeitungen zufolge absolut recht. Dafür hätte es sich gelohnt, noch Wochen oder Monate wirtschaftsfördernden Unfrieden und gestörte Fahrpläne auszuhalten. Nur der Preis, den er, der Chef, für den sozialen Frieden zu zahlen bereit gewesen wäre, wäre ein angemessener Preis gewesen. Tiefensee dagegen verfälscht mit seiner Einmischung in Mehdorns Kompetenzen diesen Preis und macht den sozialen Frieden unnötig teuer.

„Die Koalition trägt dazu bei, dass die Löhne um des lieben Friedens willen schneller steigen, als es trotz der guten Konjunktur und trotz hoher Unternehmensgewinne angemessen ist; dies wird sich rächen, wenn die Wirtschaft einmal nicht so gut läuft ... Tiefensees Zettel ist ein Beleg dafür, wie wenig das einst hehre Prinzip der Tarifautonomie noch gilt ... Es soll sicherstellen, dass der Staat nicht regelt, was nicht des Staates ist ... Gegen dieses Prinzip hat der Verkehrsminister verstoßen ... Er hat sich eingemischt.“ (SZ, 15.1.)

Das hohe Gut der Tarifautonomie, auf das die Gewerkschaften so stolz sind, findet Anhänger im Lager der Gewerkschaftsfeinde. Dass die abhängig Beschäftigten kollektiv um Lohn verhandeln und kämpfen dürfen, schätzen die journalistischen Freunde der Tarifautonomie als sicheres Mittel der Unterordnung der Arbeitskräfte unter die Ansprüche des Kapitals. Sie treten ein für die Freiheit des Lohnkampfs als Instrument, den Unzufriedenen Niederlagen beizubringen, ihre Ansprüche auf ein realistisches Maß zurückzuführen und den Preis zu senken, zu dem sie sich ihre Ausbeutung gefallen lassen. Diese Meinungsmacher sind unverschämt sicher, dass das Kapital am längeren Hebel sitzt, dass Mehdorn die GDL schon fertig gemacht hätte, dass die Lokführer kapituliert hätten, wenn die Politik nur, wie es sich im freiheitlichen Laden gehört, dem Klassenkampf seinen Lauf gelassen hätte.

Nachtrag: Es geht wieder von vorne los.

Bis zum 20. Februar gehen die Stellungnahmen der GDL-Führung, der Bahn und der nationalen Medien davon aus, dass die Einigung steht – und Mehdorns angedrohter Gegenschlag auf Basis des nun einmal geschlossenen Tarifvertrags in der Zukunft zu erwarten sei. Jetzt kommt er viel schneller: Die Bahn setzt den Kampf um die Zurückweisung der GDL-Forderungen und um die Entmutigung der Lokführer unmittelbar fort. Sie besteht auf einer Unterschrift der GDL unter einen Grundlagen-Tarifvertrag, den ihre Juristen einzig zu dem Zweck aufgesetzt haben, um über die Bedingungen, unter denen der Tarifvertrag gültig werden soll, das Ausgehandelte zu widerrufen. Dasselbe soll auf seine Weise der verlangte Kooperationsvertrag mit Transnet und GDBA leisten, den die GDL auch noch zu unterschreiben hat, ehe die Bahn die Tarifeinigung vom Januar in Kraft setzen will. In beiden Verträgen hätte die GDL zu akzeptieren, dass sie bis 2015, also für die nächsten sieben Jahre, keine Forderungen erheben darf, die die Lokführer besser stellen würden als andere Bahn-Beschäftigte; und dass sie überhaupt Lohnforderungen nur noch gemeinsam mit den anderen Bahngewerkschaften stellt, also im Grund wieder in die Tarifgemeinschaft zurückkehrt, aus der sie mit ihrem Lohnkampf ausgebrochen ist. Der Konzern würde diesen Ausbruch einmalig hinnehmen, wenn eine Wiederholung für eine lange, am besten für alle Zukunft ausgeschlossen wäre. Außerdem soll die GDL unterschreiben, dass sie nicht zuständig ist für die Löhne der Lokführer, die Rangierloks fahren, und auch nicht für die, die die Bahn nicht im Konzern, sondern in Konzern-eigenen Zeitarbeitsfirmen oder sonstigen Subunternehmen anstellt. Auf diese Weise würde ihr Tarifvertrag für immer weniger Lokführer gelten; die schlechter gestellten Billigkollegen wären dazu eine stete Bedrohung sowohl der „Privilegien“ wie der Beschäftigungssicherheit und der Durchsetzungsfähigkeit der GDLer.

Die Bahn zwingt die Lokführer dazu, um jedes Element ihrer Forderungen einzeln zu kämpfen: Nicht nur um den materiellen Inhalt des Vertrags, auch um jede kleinste Bedingung seiner Geltung: Alles hängt an der Durchsetzung als eigenständiger Vertragspartner, der auch selbst bestimmt, wen er vertritt. Während Schell gemeint hat, mit Abstrichen bei den materiellen Forderungen endlich das Hauptziel erreicht zu haben – die Durchsetzung der GDL als eigenständiger Tarifpartei –, präsentiert ihm Mehdorn nun die umgekehrte Rechnung: Die GDLer sollen die mageren Gehaltsaufbesserungen nur kriegen, wenn sie ihren Anspruch auf eigenständige gewerkschaftliche Vertretung aufgeben. Als Köder für den prinzipiellen Verzicht zahlt ihnen der Bahnchef glatt schon mal 100 Euro vorgezogen aus..