Leserbrief
Warum wir nicht mit einem „durchdachten planwirtschaftlichen Konzept“ für den Kommunismus werben

Wer nach einer vernommenen Kritik nach dem „Positiven“ bzw. den „Alternativen“ und deren Durchsetzbarkeit fragt, der tut so, als sei er mit der Kritik einverstanden, will aber in Wahrheit die praktischen Konsequenzen nicht haben, die sich aus der Kritik ergeben. Wer dem Kapitalismus seine Versorgungsleistungen zugute hält, der kann und will sich Alternativen dazu nicht vorstellen, der ist sich sicher, dass „Planung“ nicht geht, obwohl kapitalistische Unternehmen ihre Produktion bis ins letzte Detail planen – für den Profit eben. Wer nach der Attraktivität eines kommunistischen Angebots fragt, der verwechselt Kapitalismuskritik mit der Wahlwerbung einer alternativen Elite und versteht sich als demokratischer Untertan.

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Systematischer Katalog

Leserbrief
Warum wir nicht mit einem „durchdachten planwirtschaftlichen Konzept“ für den Kommunismus werben

Liebe Gegenstandpunktler,

wenn ich das, was ich bisher von euch gelesen habe, richtig verstehe, lehnt ihr konstruktive Gesellschaftskritik ab, weil sie ein System zu verbessern trachtet, das abgeschafft gehört. In euren Artikeln führt ihr den Nachweis, dass die gesellschaftlichen Übel systembedingt sind und der Staat, Keynesianismus, Weltbank, UNO, etc. keine Abhilfe schaffen.

Da ihr euch offensichtlich auf Kapitalismuskritik beschränkt, seid ihr doch sicher in Diskussionsveranstaltungen häufig mit Äußerungen konfrontiert, wie: „Könnt ihr nur kritisieren!“ oder „Was ist denn eure Alternative!“ und auf Einwände dieser Art zielt meine Frage: Warum äußert ihr euch eigentlich nicht (mehr?) zum Thema Planwirtschaft und versucht, die Kritik der meisten Wirtschaftswissenschaftler an ihr, wie ‚Planwirtschaft sei eine ineffiziente Mangelwirtschaft‘ etc. zu widerlegen? Dass es in der DDR nicht gelang, die Bausubstanz zu erhalten und dort für die Herstellung von Gütern ein zigfaches an Arbeitskraft aufgewendet werden musste, was in der BRD dafür erforderlich war, lässt sich ja nicht bestreiten und auch die sozialen Vorteile der DDR können nicht vergessen machen, dass die Produktionsmittel im Vergleich zur BRD rückständig waren. Vor Kurzem war in der „Zeit“ ein Artikel, der vermutlich an die Adresse der Globalisierungskritiker und „Ostalgiker“ gerichtet war und ihnen vor Augen führen sollte, wie schlecht die untergegangene Alternative zum Kapitalismus funktioniert hat und dass Planwirtschaft per se eine Fehlkonstruktion sei. Auch ein „Merkur“-Heft aus dem letzten Jahr mit dem unzutreffenden Titel „Kapitalismus oder Barbarei“ legt Ähnliches nahe. Wäre es da nicht von Vorteil, denjenigen, welche die kapitalistische Wirtschaftsweise für inhuman, aber leider alternativlos halten, mit guten Argumenten beweisen zu können, dass es eine bessere Produktionsweise gibt, oder anders gefragt: Büßt nicht auch die zutreffendste Kapitalismuskritik an Überzeugungskraft ein, wenn man keine positive Alternative anzubieten hat?

Ich vermute mal, dass ihr es für sinnlos und elitär haltet, in der Art einer selbst ernannten Avantgarde Pläne für eine ferne Zukunft zu erstellen, solange die Systemgeschädigten nicht an Klassenkampf denken, würde aber einwerfen, dass ein durchdachtes planwirtschaftliches Konzept einer solchen Bewegung ja auch Auftrieb geben könnte.

Solange Sozialismus / Planwirtschaft mit dem System der DDR oder der Sowjetunion gleichgesetzt werden und nicht dargelegt wird, was die Fehler des „real existierenden Sozialismus“ waren und wie sie in einem neuen Anlauf zu beheben wären, werden sich wohl lediglich einige ehemalige Bürger dieser Staaten, die nun der unsozialen Marktwirtschaft preisgegeben sind, noch positiv auf Planwirtschaft beziehen wollen.

Antwort der Redaktion

Wir tun nicht, was du vermisst, weil wir es nicht nur für sinnlos, sondern für widersinnig halten, Zweifel an der Möglichkeit einer Alternative zur kapitalistischen Ausbeutung dadurch ausräumen zu wollen, dass wir die Schönheiten oder die guten Chancen einer befreiten Gesellschaft ausmalen. Leute nämlich, die die „Überzeugungskraft der zutreffendsten Kapitalismuskritik“ daran überprüfen möchten, ob wir ihnen etwas Alternatives bieten können, was ihnen gefällt und realistisch erscheint, verwerfen unsere Kritik – und zwar auf eine ebenso grundsätzliche wie unehrliche Art; mögen sie sich darüber im Klaren sein oder nicht.

1.

Wer nach vernommener Kritik fragt, ob etwas anderes als das Kritisierte überhaupt geht, lässt die Analyse der Ursachen der „systembedingten gesellschaftlichen Übel“ stehen, als ob er sie teilen würde. Wäre es so, könnte er aber nicht mehr vernünftig daran zweifeln, dass Anderes als das kritisierte Schlechte möglich ist. Immerhin sind die angegebenen Ursachen keine Naturnotwendigkeiten, sondern beruhen auf gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die keineswegs so sein müssen, wie sie sind. Umgekehrt: Wer an der Realisierbarkeit einer Alternative zweifelt, ist nicht davon überzeugt, in den dargelegten gesellschaftlichen Gründen von Zuständen, deren Unzuträglichkeit er zugibt, deren wirkliche Gründe erfahren zu haben. Der ist im Gegenteil davon überzeugt, dass es dafür noch einen ganz anderen Grund als die herrschenden Gewaltverhältnisse geben muss; irgendeine noch nicht erfasste Notwendigkeit, die den kritisierten Zuständen ihre Festigkeit verleiht. Der bestreitet also die Stichhaltigkeit unserer Argumente. Man kommt nicht darum herum, darüber zu streiten.

Wer nach vernommener Kritik fragt, wo „das Positive“ bleibt, der tut gleichfalls so, als ob die Kritik schon in Ordnung ginge, ihre praktischen Konsequenzen jedoch lägen noch ganz im Dunkeln. Das ist nicht ehrlich. Jeder bestimmten Kritik ist schon anzusehen, auf welche Alternative sie hinaus will. Wer die Übel der Zeit, die ja nicht nur wir kritisieren, z.B. darauf zurückführt, dass in der freien Konkurrenz immer die Großen die Kleinen fressen, der plädiert für fairen Wettbewerb, Monopolkontrolle, Anti-Trust-Gesetzgebung und einen gesunden Mittelstand. Wer die Schuld an denselben Missständen einem Wachstumswahn, dem unspezifischen „Immer-Mehr-Wollen“ des modernen Menschen zuschreibt, der plädiert für ein Heil im Verzicht und gibt sich als ökologischer Weltverbesserer zu erkennen. Und wenn wir erklären, dass die Armut und die unsichere Existenz der Lohnarbeiter eine notwendige Konsequenz ihrer Rolle als Kostenfaktor Arbeit und diese Rolle eine Konsequenz des Zwecks ist, für den im Kapitalismus einzig und allein produziert wird, nämlich um aus Geld mehr Geld zu machen, dann hört wohl jeder den Aufruf heraus, der darin steckt: Die Leute, die in ihrer ganzen Existenz zum Instrument des Kapitalwachstums gemacht sind, müssen dieses Hindernis ihres Nutzens abschütteln, d.h. die Macht der Träger des Profitinteresses brechen und sich die Freiheit erobern, ihre Arbeit so zu organisieren, dass es in der endlich um ihren Bedarf und ein gutes Leben für sie geht. So viel Alternative versteht jeder, der unsere Ausführungen zur Kenntnis nimmt. Ob sie Zustimmung verdienen, hängt ganz an der Frage, ob die Ursachen der berühmten Übel korrekt bestimmt sind oder nicht. Wer aber jenseits einer Kontroverse über die bestimmten Ursachen mit der Frage anrückt, ob wir überhaupt eine Alternative hätten, will einfach die praktischen Konsequenzen nicht, die er heraushört, und kleidet diesen Unwillen in den höflichen Zweifel, ob das Angestrebte denn realistisch sei.

Wir müssen allerdings zugeben, dass es als völlig normal gilt, Kritik nicht auf ihre Richtigkeit, sondern auf die Realisierungschancen eines darin präsentierten Alternativvorschlags zu befragen, so als wären die das Kriterium der Stichhaltigkeit der vorgebrachten Argumente. Was als „berechtigte“, „vernünftige“ Kritik bei uns unterwegs ist, versteht sich selber so. Deswegen wird da auch vornehmlich mit einem Bild besserer Zustände „argumentiert“, das sich von einem unkritischen Abbild der gegebenen Verhältnisse möglichst wenig unterscheidet, nur eben in dem einen Punkt, dass das jeweils kritisierte Übel darin nicht mehr vorkommt. Die „Analyse“, die dazu üblicherweise präsentiert wird, erschöpft sich in der Regel in der Behauptung, dieses Übel bräuchte es gar nicht zu geben; mit einigem gutem Willen, mit mehr Power auf Seiten der Geschädigten und weniger Korruption und Pflichtvergessenheit auf Seiten der Verantwortlichen wäre die Sache schon in Ordnung zu bringen. Das muss noch nicht einmal verkehrt sein – wenn sich da nämlich geschädigte Konkurrenzinteressen zu Wort melden, die im Prinzip anerkannt und in herrschenden Konkurrenzverhältnissen prinzipiell gut aufgehoben sind und deren Erfolg tatsächlich nichts weiter im Wege steht als entweder ein anderer Konkurrent, gegen den man mehr eigene Machtmittel mobilisieren muss – wobei es so gut wie immer auf das eine gesellschaftliche Machtmittel Nummer Eins, genügend Geld, ankommt –, oder eine Prioritätensetzung der politischen Gewalt, der Oberaufsicht über den Gang der Konkurrenz, die nach den Maßstäben der herrschenden Gerechtigkeit auch mal anders ausfallen kann. Eine „Mittelstandsvereinigung“ z.B., die alle Übel dieser Welt auf die Kreditvergabepraxis des großen Finanzkapitals zurückführt und als Alternative eine heile Welt propagiert, in der der Finanzminister Zinssubventionen fürs Kleingewerbe auswirft, hat gute Chancen, mit ihrer „Systemkritik“ Recht zu bekommen, wenn sie den Finanzminister nur von der Gewichtigkeit ihres Konkurrenzinteresses und der Finanzierbarkeit der beantragten Beihilfen überzeugt. Ein wenig anders steht es mit all den Interessen, die durch das System der Konkurrenz selber ganz grundsätzlich geschädigt werden – so bescheidene Interessen z.B. wie das an menschenfreundlichen Lebensbedingungen für eine lohnabhängige und großenteils für Lohnarbeit noch nicht einmal gebrauchte Weltbevölkerung. Wer da mit einer Kritik aufwartet, die sich damit begnügt, von den herrschenden Verhältnissen einige notwendige verheerende Folgen zu subtrahieren, und dazu aufruft, alle Menschen guten Willens sollten unter den gegebenen Verhältnissen mit ihrem guten Willen diese Subtraktionsaufgabe praktisch lösen, der liegt daneben und gaukelt sich und seinen Schützlingen oder Adressaten die Machbarkeit einer Alternative vor, die so wirklich nicht zu haben ist. Umgekehrt: Wer es mit der Durchsetzung systematisch geschädigter Interessen ernst meint – wozu freilich gehört, dass man sich von der Systematik der herrschenden Verhältnisse einen richtigen Begriff macht und nicht bloß ein anklagendes Bild –, der kommt nicht umhin, die Geschädigten davon zu überzeugen, dass sie innerhalb dieses Systems und mit den darin gebotenen Chancen, sich in der Konkurrenz durchzusetzen und von den politischen Machthabern besser betreut zu werden, keine realistischen Aussichten haben. In allen anderen Fällen mag ein Wunschbild von besseren Zuständen für wirksame Kritik schon ausreichen; in einer Welt der Konkurrenz braucht man ja wirklich nur den Konkurrenten zu identifizieren und mit den vorgeschriebenen Mitteln, Appelle an die Obrigkeit inklusive, gegen ihn vorzugehen, um zwar noch lange keinen Erfolg, aber realistische Erfolgsaussichten zu haben. Kritik im ernsten Sinn funktioniert logisch andersherum. Der ist mit einem Idealbild schönerer Zustände überhaupt nicht geholfen. Die kennt nur ein Kriterium: bis zu dem Grund vorzudringen, von dem her – wenn wir uns mal der blumigen Metapher von Marx bedienen dürfen – ‚die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen‘ sind. Das ist ihr „Machbarkeitskriterium“.

2.

Zeitgenossen, die den Beweis einfordern, dass die „an sich humane Idee des Kommunismus“ auch „möglich“ ist, haben die Kritik des kapitalistischen Wirtschaftens offenbar als so etwas wie das Märchen vom Schlaraffenland verstanden, bei dem sich schon fragen lässt, ob es das denn geben kann, dass dem müden Fresser die gebratenen Tauben gleich ohne Arbeit ins Maul fliegen. Wie kluge Kinder das Märchen befragen sie die Kritik darauf, ob die Abschaffung der Ausbeutung denn mit „der Realität“ verträglich sei. An dieser nur scheinbar naiven Prüfung kann die schöne Idee einer besseren Gesellschaft nur scheitern. Denn „die Realität“, an der sie sich zu bewähren hätte, ist haargenau die von uns kritisierte kapitalistische, die den Prüfern so vertraut und selbstverständlich ist. Auf das Gedankenexperiment, ob „Wirtschaften“ auch anders gehen könnte als hierzulande, lassen sie sich nur ein, um sich davon zu überzeugen, dass „es“ letztlich doch nicht anders gehen kann.

Das fängt damit an, dass sie dem Kapitalismus seine Versorgungsleistungen zugute halten, zu denen sie sich schon mal überhaupt keine praktikable Alternative vorstellen können: Wie soll man denn anders an das Benötige kommen, als indem man mit Geld einkaufen geht? Mit der Frage fallen schlagartig alle schlechten Erfahrungen weg, die der normale Mensch mit dem Einkaufen zu machen pflegt: dass einem der Zugriff aufs Benötigte, obwohl vorhanden, erst einmal verwehrt ist; dass der Zugriff, den das eigene Geld dann doch eröffnet, notorisch äußerst beschränkt ausfällt; dass dieses Geld erst einmal verdient sein will, was oft gar nicht klappt und, wenn es klappt, den Menschen ziemlich fertig macht… An allen Ecken und Enden stößt man darauf, dass die viel gepriesene „Marktwirtschaft“ alles andere als eine Versorgungs-Veranstaltung ist. Dass „Versorgung“ in dieser Wirtschaft nicht anders zu haben ist als per Geld-Verdienen und Einkaufen-Gehen, ist kein Gütesiegel für die „Marktwirtschaft“, sondern ein Armutszeugnis für die so zuwege gebrachte Versorgung. „Der Markt“ „koordiniert“ nicht mal irgendwas, schon gleich nicht die gesellschaftlichen Bedürfnisse mit der Produktion: Was er an „Koordination“ zu Stande bringt, ist das triviale Abfallprodukt einer Konkurrenz, die alles eliminiert, was sich nicht zu behaupten vermag, so dass im Endeffekt alle die irgendwie zusammenwirken, die sich durchsetzen. Wenn Unternehmer um die zahlungsfähige Nachfrage der Kundschaft konkurrieren, dienen sie nicht deren Bedürfnissen, sondern machen sie sich zunutze; Bedürfnisse, die über kein Geld verfügen, kommen gar nicht erst in Betracht. Daran könnte man sich ja noch erinnern, wenn man schon fragt, ob das Wirtschaften auch ohne Armut gehen könnte. Und Qualität erzwingt der Markt auch nicht: Vom Premium-Produkt bis zum kompletten Schund stufen die Unternehmen ihr Warenangebot vielfach ab – und alles davon ist ökonomisch sinnvoll, sofern es geeignet ist, das Geld auch der ärmeren Kundschaft in ihre Kassen zu lenken.

Nun gibt es Leute, die auch diese Feststellungen nicht kritisieren würden, aber darauf bestehen, dass ein Plan – 1 Plan! – die Bedürfnisse und Produktion einer kompletten Gesellschaft noch viel weniger koordinieren könnte, weil sich so viele divergierende Interessen doch gar nicht planmäßig ermitteln und kombinieren ließen. Interessanterweise lassen sich diese Zweifel, ob wirtschaftliche Abläufe und kooperative Zusammenhänge im Voraus planbar seien, so gar nicht verunsichern von einem Blick in die Realität, auf die der Zweifler sonst so entschieden pocht: Kapitalistische Firmen planen ihre Produktion, ihre Materialbeschaffung und ihren Warenausstoß bis ins kleinste Detail. Wie ein Uhrwerk funktioniert nicht nur ein Betrieb, sondern die ganze Produktionskette mit Lieferanten und Abnehmern, ‚Just in time‘ – halt für den Profit, für den hierzulande alle Arbeit verrichtet wird. Für einen anderen Zweck als ausgerechnet für den Konkurrenzkampf ums Geld der Gesellschaft soll Planung aber schlechterdings nicht machbar sein!

Dass die planmäßige Verfolgung dieses Zwecks, und zwar durch eine ganze Klasse konkurrenzgeiler Eigentümer samt Managern, Armut und Verschwendung, Überarbeit und Arbeitslosigkeit in einem grotesken Neben- und Durcheinander hervorbringt, würde mancher Skeptiker einer gescheiten Planwirtschaft im Übrigen auch noch nicht einmal leugnen; allerdings nur, um für seinen fiktiven Realismus eine dritte unschlagbare Position aufzubauen: Man erklärt die eingestandenen Absurditäten der „Marktwirtschaft“ für rational, nämlich passend für das irrationale Mängelwesen Mensch, und alle Zwänge des Geldverdienens und Sich-Einteilens für heilsam, nämlich im Hinblick auf den angeborenen schlechten Charakter der Menschheit: Anders als per „Zuckerbrot und Peitsche“ könnte „Wirtschaften“ doch, wie alle Erfahrung lehrt, gar nicht funktionieren. Würden die Konsumenten nicht hamstern und endlos Güter wegtragen, wenn sie nicht dafür bezahlen müssten? Würden die Hersteller ohne den Zwang der Konkurrenz Qualitätsware liefern, und zwar von den Gütern, die gebraucht werden; ja würden sie überhaupt produzieren und nicht faulenzen? Wer würde noch sparen, investieren und aufwendige Technik zur Verfügung stellen, wenn ihm dafür kein Entgelt winkt? Wer würde noch lernen, fordernde Berufe ergreifen, Verantwortung übernehmen, wenn ihm dafür nicht das zwei- bis zweihundertfache des Normallohns geboten wird? Wer so fragt, der hat eine wahrhaft erstklassige zirkuläre Beweisführung im Sinn. Der setzt nämlich alle Elemente der kapitalistischen Ökonomie voraus und stellt die unerfüllbare Forderung, man sollte ihm sagen, wie das denn anders gehen sollte. Er unterstellt die fortdauernde Armut und Trennung der Konsumenten von den Gegenständen ihres Bedarfs, so dass sie wohl die Magazine plündern würden, wenn einmal kein Aufpasser davor stünde. Ebenso unterstellt er Produzenten, die alles andere wollen, als die Mittel der Bedürfnisbefriedigung herzustellen, so dass sie zu ihrem Dienst am Bedarf durch ein Profitchen gelockt und gezwungen werden müssen. Usw. Mit dem Dienstpersonal des kapitalistischen Eigentums lässt sich tatsächlich nicht viel anderes anstellen als seine Indienstnahme fürs kapitalistische Eigentum – wer hätte das gedacht!

Um ihre zirkuläre Beweisführung plausibel zu machen, scheuen manche Anti-Kritiker nicht einmal davor zurück, sich selber zu Kronzeugen einer Menschennatur zu erklären, die Unvernünftiges will und nur auf Zwang reagiert: Sie bekennen sich zu einem Bedürfnis nach extremem Luxus – Autos für eine halbe Million Euro und handgeknüpfte Teppiche, die 8000 Arbeitsstunden kosten –, nur um sicher zu gehen, dass sie uns zum Eingeständnis der ökonomischen Notwendigkeit einer Unterdrückung von Bedürfnissen verleiten – bei einer so gierigen Menschheit! Dabei merken diese Schlaumeier offenbar nicht einmal, dass die „Menschennatur“, auf die sie sich da berufen, soweit nicht sowieso völlig fiktiv, selber das Produkt des kapitalistischen Geschäftssinns ist, der die absurdesten Bedürfnisse überhaupt erst hervorbringt; durch sein auf Gelderlös angelegtes Warenangebot nämlich, ohne das der gierigste Zeitgenosse gar nicht wüsste, wonach er eigentlich gieren soll. Auf der anderen Seite sehen sie vornehm darüber hinweg, dass derselbe Geschäftssinn die Masse der Menschheit gar nicht von solchen blödsinnigen Bedarfsartikeln ausschließt, sondern von ziemlich bescheidenen Gütern, die allemal im Überfluss zu haben wären. Die Zwänge der Armut beginnen ganz woanders als bei den kindischen Beispielssammlungen eines wirtschaftswissenschaftlichen Proseminars zum Thema „Knappheit“: bei Bedürfnissen, die wirklich noch ein bisschen was mit der menschlichen Natur zu tun haben – nach organisierter Existenzsicherheit z.B., nach möglichst viel freier Verfügung über die eigene Lebenszeit und Kondition… Doch von der Realität wollen die antikommunistischen „Realisten“, die die gesellschaftliche Gewalt des Kapitalismus für menschennatürlich halten, partout nichts wissen. Stattdessen wissen sie haargenau: „Der Mensch“ ist egoistisch, arbeitet nur unter Zwang, sucht seinen Vorteil auf Kosten anderer. Zweckmäßige Kooperation zur Versorgung aller Beteiligten können und wollen sie sich nur vorstellen als das abstrakte, moralische Gegenteil ihres kapitalistischen Privategoismus; nämlich als nicht entgoltenes, also auch nicht lohnendes Arbeitsopfer fürs große Ganze. So viel Selbstverleugnung trauen sie allenfalls Ordensschwestern und anderen Spinnern zu, aber nicht „dem Menschen“, den sie nur allzu gut kennen.

3.

Die Frage nach einer funktionstüchtigen Alternative zum Kapitalismus drückt also keine Wissbegier aus, sondern die unerschütterliche Gewissheit, dass Kommunismus, als menschenfreundliche Idee betrachtet, nicht geht, nicht funktionieren kann, weil er der Privateigentümer-Natur „des“ Menschen widerspricht. Damit ist einem solchen Menschenkenner aber auch umgekehrt gleich klar – und insofern ist die Erkundigung nach „eurer Alternative“ vollends verlogen –, was fällig ist, wenn Kommunisten trotzdem mit ihrer Sache ernst machen: Dann schaffen die die Zwänge der „Marktwirtschaft“ nicht etwa ab, sondern exekutieren sie glatt selber. Und auf einmal ist genau der Zwang, den man soeben gar nicht genug als notwendig und menschennatürlich hinstellen konnte, ein Graus und ein Verbrechen. Was die Feinde der Planwirtschaft am „Markt“ über alles schätzen, nämlich dass er eine allgemeine Beschränkung und Erpressung und Nötigung organisiert, der niemand entgehen kann, exakt das unterstellen sie den Kommunisten als ihr Gewerbe und finden es da a priori abscheulich. Kaum hören sie „Plan“, verstehen sie „Zwang“ und entdecken Gewalt, wo ihr wundervoll funktionierender Kapitalismus „bloß“ lauter Sachzwänge bereit hält, die jetzt auf einmal niemandem etwas Böses tun. Kaum deutet mal jemand an, dass die gesellschaftlichen Produktions- und Verteilungsbedingungen durchaus selber einmal Gegenstand vernünftiger Überlegung werden und von den betroffenen Menschen selber zum Objekt ihrer freien Entscheidung gemacht werden sollten, warten sie prompt mit der vernichtenden Frage auf: Und wer diktiert dann, wenn nicht mehr „der Markt“? Wer darf bei euch entscheiden, welches Bedürfnis befriedigt werden soll und welches nicht – euer Politbüro, ein Erziehungsdiktator, Stalin? Gerade noch haben sie die wunderbare Freiheit, sich auf dem „freien Markt“ tummeln zu dürfen, als eine einzige Technologie der Einschränkung und Drangsalierung der Menschheit denunziert – um diese als Notwendigkeit der Menschennatur zu rechtfertigen –; jetzt verteufeln sie die Kommunisten, weil die der Menschheit diese wundervolle Freiheit rauben wollen!

Und dann sollen wir die Schönheiten eines planwirtschaftlichen Supermarkts ausmalen?!

4.

Du versprichst dir einiges von einer Kritik am neulich kaputt gegangenen System der „Hebelwirtschaft“ im Osten, das tatsächlich die Konkurrenz mit dem Kapitalismus um eine gerechtere, menschen- und vor allem arbeiterfreundlichere und dabei effektivere Art der Beschränkung und Ausnutzung der lohnabhängigen Menschheit aufgenommen hat. Nun, bitte sehr, das ist sie schon.[1] Meinst du wirklich, das hilft was?

Vielleicht hilft es eher was, die von dir sehr affirmativ zitierte geläufige Verurteilungen des „realen Sozialismus“ mal genauer zu betrachten. Da kommt nämlich tatsächlich der fiktive, unehrliche Test auf Realitätstauglichkeit zu Ehren, mit dem die ideologischen Anwälte der „Marktwirtschaft“ an dem gegnerischen System überhaupt nichts erklären, sondern bloß an einem konstruierten Gegenbild ihr eigenes feiern.[2] Tatsächlich wollte man im Osten anders wirtschaften als im kapitalistischen Westen und hat auch anders gewirtschaftet; damit sollen die Staatsparteien drüben gescheitert sein. Das stimmt nicht. Auch dieses System war „möglich“ und auf seine Art effizient – seinen westlichen Feinden jedenfalls viel zu sehr. Die haben nicht auf ein sicheres Scheitern gewartet, sondern einen kalten Krieg gegen es geführt und es in einen historisch einmaligen Rüstungswettlauf tot zu rüsten versucht. Am Schluss ist der so genannte Reale Sozialismus nicht „an der Realität gescheitert“, sondern von seinen Machern, den kommunistischen Parteien des Ostblocks, weggeschmissen worden; und das nicht, weil die Bürger wegen der Mangelwirtschaft rebelliert hätten, sondern weil die Staatsführungen ihre Machtmittel und Ressourcen mit denen des Feindes im Westen verglichen und beschlossen hatten, das kapitalistische System zu kopieren, das aus seinem Volk einfach mehr Reichtum für den Staat herausholt. Das Entscheidende, was in der östlichen Planwirtschaft nicht gut genug „funktioniert“ hat, war die Ausbeutung des Volkes zugunsten des Staates. Dieser Abgang wirft ein bezeichnendes Licht auf die Ziele, die diese Sozialisten ausgesprochen tatkräftig realisiert haben – deswegen habe sie sich ja auch das unsägliche Kompliment gemacht, keine bloß ideellen, sondern reale Sozialisten zu sein. Sie wollten allen Ernstes eine überlegene Alternative zum Kapitalismus aufziehen, die an allen Leistungsparametern kapitalistischer Nationen besser abschneiden würde als das Original. Ihre Revolution haben sie mit dem Ziel gemacht, der ungerechten Behandlung der Werktätigen durch die Fabrikherren ein Ende zu bereiten und einen Staat der Werktätigen aufzubauen, der mit der Ineffizienz des Kapitalismus aufräumen, seine Krisen abschaffen und dem nationalen Aufbau die unnütze Last des Luxuskonsums der Reichen sowie die Arbeitsunterbrechungen des Klassenkampfs ersparen würde. Die Macher dieses „realsozialistischen“ Staates wollten den Kapitalismus in Output, Wachstumsgeschwindigkeit und Arbeitsproduktivität ein- und überholen; und als sie sich endlich davon überzeugt hatten, dass sie das auf ihre Weise nicht schaffen würden, haben sie das Interesse an ihrer sozialistischen Alternative verloren. Was immer ihr System den Werktätigen an Konkurrenz und Lebenskampf erspart hatte, interessierte nur noch in einer Hinsicht: Das eben hätte die „Effizienz“ verhindert, auf die es ihnen ankam. Unter der Parole der „Überwindung der Stagnationsphase“ haben sie dann nicht ihr System verbessert, sondern alles abgeschafft, was vom einst kritisierten Kapitalismus abwich. – Und aus all dem ziehen die ideologischen Anwälte der „Marktwirtschaft“ den einzigen „Schluss“ und berufen sich dafür mit Begeisterung auf die fatale Selbstkritik der abgetretenen Staatssozialisten: wie verkehrt es war, sich überhaupt vom kapitalistischen Vorbild entfernt zu haben.

Wenn du nun Argumente dafür hören möchtest, dass eine Planwirtschaft nicht so schlecht sein muss wie die „ineffiziente Mangelwirtschaft“ im Osten, weil auch du „nicht bestreiten“ magst, dass die DDR ihre Altbausubstanz nicht erhalten konnte und in Sachen Arbeitsproduktivität dem Westen weit unterlegen war, dann gehst du auch von der Voraussetzung aus, dass eine Wohnkultur wie im goldenen Westen und weltrekordmäßige Produktivitätsziffern das Maß aller Dinge wären, an dem auch jede Planwirtschaft sich müsste messen lassen. Deswegen müssen wir dich daran erinnern, welche ökonomische Realität sich hierzulande mit dem Etikett „Sanierung der Bausubstanz“ schmückt: Wenn Spitzenmieten zu kassieren sind, also etwa für staatliche Repräsentation, für edle Verkaufsräume in den Stadtzentren, für Arztpraxen und Kanzleien und für schon sehr betuchte Mieter, halten die Eigentümer feiner alter Häuser diese in Schuss. Leute, die ihre Miete aus Lohn und Gehalt zahlen müssen, fürchten üblicherweise den Schönheitssinn der Vermieter, die ihnen in sanierten Objekten fürs Wohnen-Dürfen ein Drittel und mehr ihres Einkommen abnehmen. Aus demselben Grund ergänzen kapitalistische Großstädte ihre edel sanierten kommerziellen Zentren durch einen Gürtel mehr oder weniger heruntergekommener Wohnviertel für die Normalverbraucher – und Slums für diejenigen, die auch normale Mieten nicht bezahlen können. Ebenso lässt du beim Thema Arbeitsproduktivität den Rückstand des Ostens unbesehen als Einwand gelten und akzeptierst den westlichen Vorsprung als selbstverständliche Messlatte korrekter Produktivität. Wiederum kümmerst du dich weder um den Zweck, für den sie hier so stetig und heftig hochgetrieben wird, noch um die realen Folgen. Die Produktivität der Arbeit interessiert den kapitalistischen Unternehmer nur, weil er eine immer größere Leistung aus der bezahlten Arbeitsstunde seiner Arbeitskräfte herausholen und dadurch bezahlte Arbeit sparen will – also als Mittel zur Steigerung der Rentabilität seines Kapitals. Er senkt seine Stückkosten und sorgt so dafür, dass die einen Arbeitskräfte überflüssig werden und jedes Einkommen verlieren, die anderen, die noch benötigt werden, immer kleinere Teile des von ihnen geschaffenen Produktwerts als Lohn nach Hause tragen. Mit dieser Jagd nach Vorsprüngen in der Arbeitsproduktivität zwingen Kapitalisten ihren Konkurrenten das jeweils gültige Produktivitätsniveau auf und entwerten deren Produktionsmittel; d.h. sie erzwingen den Ersatz von Maschinen und Automaten durch modernere, lange ehe die alten als Arbeitsmittel verschlissen sind. So ergänzen kapitalistische Konkurrenten ihre radikale Sparsamkeit im Umgang mit der bezahlten Arbeit um eine gigantische Verschwendung schon verrichteter Arbeit. Beides – und auch der damit verbundene Zwang, als Kapital immer größer zu werden oder unterzugehen – folgt aus der Konkurrenz der Kapitalisten um die Aneignung von Profit; nichts davon ist ein Naturgesetz, das eine Planwirtschaft nachzuahmen hätte.

Der Reichtum einer kommunistischen Gesellschaft besteht jedenfalls nicht in dem Widersinn eines produktiven Eigentums, das sich von etwas so Absurdem wie der produktiven Armut der Masse der Bevölkerung nährt; das auf die Art wachsen muss, um überhaupt Bestand zu haben, und mit seinem Wachstum auch noch das unproduktive Elend flott wachsen lässt; das mittlerweile überhaupt das menschliche und sachliche Inventar des gesamten Globus in ruinöser Weise in Anspruch nimmt – und manchen kapitalistischen Blödsinn, manche Mode werden die Leute auch nicht mehr so wichtig finden, dass sie Arbeit dafür aufwenden wollen, wenn sie das erst selbst entscheiden können…

5.

Wenn Leute, die du mit einem „durchdachten planwirtschaftlichen Konzept“ mobil machen möchtest, uns jetzt immer noch fragen, welche bessere Alternative wir ihnen zu bieten hätten, dann müssen wir mal dagegen fragen: Haben die sich eigentlich ihr Dasein im Kapitalismus aus dem großen Warenhauskatalog der Systeme herausgesucht? Haben sie womöglich nur deswegen nicht für den Sozialismus votiert, weil der entsprechende Prospekt nicht rechtzeitig bei ihnen eingegangen ist? Oder haben sie womöglich doch mal was von einer Staatsmacht gehört, die überhaupt keine Systemalternativen zulässt, sondern ihre Bürger gesetzlich darauf festlegt, sich in den verordneten Existenzbedingungen der Geldwirtschaft zu bewähren, also zu verschleißen? Und wenn sie sich schon vorstellen können – oder wenigstens so tun, als ob –, dass eines Tages die Macht des Kapitals gebrochen und eine neue Ordnung errichtet wird, womöglich sogar von ihnen selbst – von wem denn sonst? –: Wollen sie sich dann wirklich unmittelbar hinterher von einer neuen Obrigkeit sagen lassen, was sie zu tun haben und was ihnen zusteht?

Anders gesagt: Wer nach der Attraktivität des kommunistischen „Angebots“ fragt, der verwechselt Kapitalismuskritik mit der Wahlwerbung einer alternativen Elite, die verspricht, es dem werten Bürger besser zu richten als diejenigen, die die Macht innehaben. Der missversteht sich selbst als den umworbenen Wähler, der im Warenhaus der polit-ökonomischen Systeme entscheiden darf, welches er lieber in Auftrag geben will – bei anderen, die dann für die Lieferung zuständig sind. Der denkt als Untertan, über den herrschende Instanzen entscheiden, und hat beschlossen, genau das zu bleiben: demokratischer Untertan, dem nur die Wahl zwischen zwei Sorten Herrschaft bleibt – die aber schon. Solchen Leuten können wir nur sagen: Die freie Auswahl bietet ihnen niemand. Entweder sie erkämpfen sich die Freiheit, sich ihre politökonomischen Lebensbedingungen vernünftig einzurichten, oder sie haben in der Frage weiterhin nichts zu melden.

[1] Mehr dazu in dem Buch Von der Reform des Realen Sozialismus zur Zerstörung der Sowjetunion, GegenStandpunkt Verlag München 1992, vor allem das erste Kapitel; oder in den Artikeln „Mit Hebeln geplant“, MZS 7/8,1985 und „Polemik gegen die Generallinie der KPDSU“ MSZ 10/11, 1987; auf CD-ROM. Einschlägiges ist auch in den „Abweichenden Meinungen zur ‚deutschen Frage‘“ von Peter Decker und Karl Held aus dem Resultate-Verlag nachzulesen: DDR kaputt, Deutschland ganz, München 1989, sowie Der Anschluß, München 1990.

[2] Eine Kritik der ideologischen Kniffe des früher beliebten ideologischen Systemvergleichs enthält der Artikel „Marktwirtschaft – Was ist das?“ aus der Zeitschrift MSZ 3,1991, heute auf CD-ROM, die beim GegenStandpunkt Verlag zu bestellen ist.