Zur politischen Ökonomie des Erdöls
Ein strategisches Gut und sein Preis

Um ein x-beliebiges Geschäft, um eine Ware wie jede andere geht es beim Erdöl nicht. An seinem Preis – wo auch sonst, in der Weltmarktwirtschaft! – wird das offenbar: an dem enormen Einfluss, den er hat; an der Wichtigkeit der ökonomischen Subjekte, die unter ihm leiden; an der Prominenz der Instanzen, die sich um ihn sorgen; an seinem Zustandekommen, bei dem dieselben politischen Instanzen und Wirtschaftssubjekte schon wieder eine maßgebliche Rolle spielen; am Umgang mit ihm, den Händler und Verbraucher, Öl-Multis und ‚Ölstaaten‘ sowie, schon wieder, die großen kapitalistischen Weltwirtschaftsmächte pflegen. Offensichtlich ist dieser Preis etwas weit Wichtigeres als bloß die Geldsumme, bei der sich Angebot und Nachfrage zufällig über den Weg laufen. Und auf dem Markt, auf dem er sich bildet, geht es um ganz andere Dinge als ein wenig Ein- und Verkauf – eher schon um eine ganze Abteilung Imperialismus heute.

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Gliederung

Zur politischen Ökonomie des Erdöls
Ein strategisches Gut und sein Preis

„Der Euro-Raum ist dank seiner Stabilitätspolitik und der robuster gewordenen Wirtschaft für die Bewältigung der neuen Ölpreis-Krise gerüstet. Bedingung sei aber, dass Lohnforderungen moderat und die Finanzpolitik solide bleiben, mahnt die europäische Zentralbank.“ (Handelsblatt, 10.11.)

Ein Argument gegen den Lohn – und gegen Staatsschulden, was nach derzeit gültiger Lesart und Haushaltsrechnung auch nur ein anderer Ausdruck für Sozialausgaben zu Gunsten der Lohnabhängigen ist – gibt ein steigender Ölpreis am Ende also auch noch her: Weil Petroleum immer teurer wird, muss Arbeitskraft umso billiger bleiben. Aber auf den Schluss läuft im Kapitalismus ja sowieso alles hinaus. Am Ölpreis dagegen hängt anscheinend noch mehr: Sein Anstieg bekommt umstandslos das Etikett „Krise“, stellt einen Belastungstest für die Wirtschaft des gesamten Euro-Raums dar, „belastet den Aufschwung“ (FAZ, 10.11.), bedroht „nicht nur die Weltkonjunktur, sondern (wirft) auch die geplante Entschuldung der Dritten Welt“, bekanntlich ein Herzensanliegen des Weltkapitalismus und der Handelsblatt-Redaktion, „aus dem Gleis“ (HB, 25.9.) – ziemlich viel Effekt für genau einen Warenpreis. Sollte tatsächlich das ganze Produktionsverhältnis, das mit seiner Effektivität und seinen überragenden menschenrechtlichen Qualitäten den ganzen Erdball erobert hat, mitsamt seinen edelsten Vorhaben zur Armutsbekämpfung ins Schleudern geraten, bloß weil das Fass Öl 30 statt 15 Dollar kostet?

Nicht bloß hysterische Journalisten sehen das so. Die höchsten Instanzen der marktwirtschaftlich geordneten Staatenwelt persönlich machen sich Sorgen und beschließen, als G7 in Prag versammelt, gemeinschaftliche „‚Maßnahmen‘ zur Senkung der Ölpreise“ (HB, 25.9.). Dabei sind sie selber gar keine Ölhändler, stattdessen die machtvollsten Anwälte der Freiheit der Märkte, der Deregulierung und des ungehinderten Wettbewerbs als Prinzipien jeder ökonomisch sinnvollen und sozial gerechten Preisbildung auf dem Globus. Und mit ihren „Maßnahmen“ zielen sie noch nicht einmal auf die Maßnahmen, mit denen sie tatsächlich, und nicht zu knapp, zur Steigerung der effektiven Ölpreise beitragen. Was das betrifft, so bestehen sie im Gegenteil auch und gerade angesichts steigender Rohölkosten auf einem Vorgehen, das sonst nur bei manchen gesundheitsschädlichen Genussmitteln zur Anwendung gelangt: durch administrative Verteuerung des Endprodukts den Verbrauch bremsen! Das hindert sie andererseits überhaupt nicht, gegen die Preispolitik der von ihnen selbst zu einer solchen ermächtigten Ölkonzerne den schweren Vorwurf zu erheben, sie würden so ungefähr das komplementäre Verfahren anwenden: durch Bremsung der Zufuhr den Rohstoff verteuern! Da nehmen also die Herren der Mineralölsteuer das Rohprodukt Öl vor künstlicher Verteuerung in Schutz; vor Konzernen, die ihren Konkurrenzkampf um Umsatz und Marktanteile ausgerechnet mit Verknappung ihrer Ware führen; um selber per staatlichen Zugriff auf den Preis für eine Verknappung des Ölverbrauchs zu sorgen. Geht so Marktwirtschaft im Energiebereich?

Nein, so geht sie nicht, denn das ist noch gar nicht alles. Die „Maßnahmen“, mit denen die G7 ihr Scherflein zur Preissenkung beim Mineralöl beitragen wollen, bestehen in Ermahnungen an die Adresse der Lieferstaaten; Mahnungen, die öffentlich die nicht weiter öffentlich gemachten Erpressungsmanöver gegen jeden einzelnen dieser Staaten sowie gegen deren löchriges Verkaufskartell, die OPEC, begleiten: Die sollen gefälligst mehr fördern, rascher liefern, weniger verlangen, also ihre Ressourcen verschleudern und auf Staatseinnahmen verzichten. Das wäre dann wohl der „Welthandel zum Nutzen aller Beteiligten“, den die sieben wichtigsten ‚Industrieländer‘ zum überstaatlichen Weltgrundgesetz erklärt haben. Für dessen Gültigkeit, nicht nur, aber vor allem in Sachen Welt-Ölmarkt, stehen sie im Übrigen in ihrer Eigenschaft als strategische Allianz mit ihrem erklärten Willen ein, bei Bedarf an allen Ölquellen und jeder Öltransportroute mit den nötigen militärischen Mitteln zu intervenieren.

Um ein x-beliebiges Geschäft, um eine Ware wie jede andere geht es beim Erdöl also nicht. An seinem Preis – wo auch sonst, in der Weltmarktwirtschaft! – wird das offenbar: an dem enormen Einfluss, den er hat; an der Wichtigkeit der ökonomischen Subjekte, die unter ihm leiden; an der Prominenz der Instanzen, die sich um ihn sorgen; an seinem Zustandekommen, bei dem dieselben politischen Instanzen und Wirtschaftssubjekte schon wieder eine maßgebliche Rolle spielen; am Umgang mit ihm, den Händler und Verbraucher, Öl-Multis und ‚Ölstaaten‘ sowie, schon wieder, die großen kapitalistischen Weltwirtschaftsmächte pflegen. Offensichtlich ist dieser Preis etwas weit Wichtigeres als bloß die Geldsumme, bei der sich Angebot und Nachfrage zufällig über den Weg laufen. Und auf dem Markt, auf dem er sich bildet, geht es um ganz andere Dinge als ein wenig Ein- und Verkauf – eher schon um eine ganze Abteilung Imperialismus heute.

1. Öl – ein strategisches Gut

a) Künstlich erzeugte Energie ist das Antriebsmittel des gesamten materiellen Lebensprozesses einer modernen Gesellschaft, durch nichts zu ersetzen und, weil beständig verbraucht, ohne Unterbrechung neu bereitzustellen. Ihr Preis geht direkt und indirekt in sämtliche Rechnungen der kapitalistischen Ökonomie ein; er bestimmt – nicht allein, aber wesentlich – die Kapitalmasse – nämlich deren kontinuierlich aufzubringenden Teil –, die zur einfachen und erweiterten Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums notwendig ist; sein Anstieg kann die Konkurrenz der Kapitalisten so verschärfen, wie man es von Krisen kennt. So macht sich in den Kosten für Energie die Unentbehrlichkeit dieses Gebrauchswerts fürs Geldverdienen und Gewinnemachen, mitten im Kapitalismus also die Notwendigkeit kontinuierlicher und ausreichender Versorgung mit diesem bestimmten Wirtschaftsgut geltend – und umgekehrt: Dass das ökonomische Leben der Gesellschaft auf industriell bereitgestellte Energie angewiesen ist, macht sich im kapitalistischen Getriebe als ganz besonders wichtige Preisfrage bemerkbar und begründet einen unbedingten Anspruch auf wenn schon unvermeidliche, dann zuverlässig niedrige Energiekosten. Billig und verlässlich mit Energie versorgt zu werden, ist ein vitales Interesse kapitalistisch wirtschaftender Gesellschaften.

Ökologen können für jedes Produkt eine „Energiebilanz“ aufstellen – und haben damit in einer Weise recht, wie sie selbst es möglicherweise gar nicht einmal sehen: Produktion ist zweckmäßiger Einsatz von Energie. Und die wird schon längst nicht mehr aus der körperlichen Betätigung der Produzenten gewonnen; mit menschlichem Kraftaufwand allein ist kein Produktionsprozess mehr zu betreiben. Dasselbe gilt für den Transport von Waren und Menschen sowie in etlichen Klimazonen für eine aushaltbare Raumtemperatur; was nach moderner Nomenklatur unter „Dienstleistungen“ fällt, funktioniert gleichfalls nicht ohne das künstlich gewonnene Produkt aus Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit. Dieses Wirtschaftsgut ist unverzichtbar und nicht zu substituieren; es wird immer und überall benötigt, durch seinen Gebrauch verbraucht und muss deswegen beständig neu erzeugt werden. Seine Bereitstellung ist die gegenständliche Bedingung schlechthin für den gesamten materiellen Lebensprozess – von Gesellschaften, die diesen Prozess nun allerdings nach den Regeln einer völlig anderen Bilanz als einer ökologischen abwickeln. In den real maßgeblichen Bilanzen, nämlich den Gewinn- und Verlustrechnungen der kapitalistischen Unternehmen und der „volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“, die der ideelle Gesamtkapitalist als Haushälter seiner Gesellschaft vornimmt, stellt Energie einen ihrer ubiquitären Verwendung entsprechend bedeutenden Kostenfaktor dar.

– In die Bilanz eines einzelnen Unternehmens gehen die Energiekosten als ein Posten unter anderen ein. Im Einzelfall vielleicht noch nicht einmal als übermäßig bedeutender. Doch sie fallen kontinuierlich an – sie gehören zum zirkulierenden Teil des konstanten Kapitals und wachsen regelmäßig mit, wenn ein „innovativer“ Unternehmer mit neuer Maschinerie die bezahlte Arbeit produktiver macht und sich die Bezahlung etlicher Arbeitskräfte erspart –; kein Unternehmen kann sie vermeiden; Ausweichmöglichkeiten gibt es nicht. Veränderungen des Energiepreises schlagen prompt und direkt auf den Kapitalaufwand für Fortführung und Erweiterung des Unternehmens durch; eine Erhöhung macht die Geschäftstätigkeit unweigerlich teurer, i.e. vergrößert den notwendigen Kapitalvorschuss, mindert die Profitrate und bremst das Unternehmenswachstum. So kommt mitten im schönsten kapitalistischen Herumwirtschaften, das sich doch sonst in fast allen Belangen von der Abhängigkeit von besonderen Naturgegebenheiten und bestimmten technischen Voraussetzungen erfolgreich frei gemacht hat, die Tatsache zur Geltung, dass der kapitalistische Betrieb außer Kredit eben auch Energie als Antriebsmittel braucht. Umgekehrt: Die nicht außer Kraft zu setzende physikalische Notwendigkeit, einem Betrieb kontinuierlich Energie zuzuführen, tritt im kapitalistischen Unternehmen als Kostenfaktor, als Problem der Preiskalkulation, schließlich als Risiko für die Profitrate in Erscheinung.

– In der Summe ergibt sich daraus eine gesamtwirtschaftliche Problem- und nationale Interessenlage. Der Energieverbrauch der Gesellschaft – zum geschäftlichen Gebrauch kommt der private Konsum hinzu – addiert sich zu einem Gesamtbetrag, der einerseits als Teil des Bruttosozialprodukts völlig in Ordnung geht: Der Bilanzposten muss sein, damit das gesellschaftliche Leben überhaupt vom Fleck kommt und die Wirtschaft als ganze funktioniert, also wächst; und kapitalistisch verdient wird daran auch. Eben deswegen enthält gerade dieser Posten andererseits ein besonderes Risiko: Weil eine kontinuierliche Energieversorgung einfach unverzichtbar ist für ein funktionierendes Erwerbsleben, ist der allgemeine Gelderwerb auch ganz besonders empfindlich für den Preis, der dafür zu zahlen ist. Jede Schwankung nach oben verteuert gleich alles, beeinträchtigt die durchschnittliche Profitrate, also das Wachstum der nationalen Ökonomie insgesamt. Und so, wie eine Senkung dieses Kostenblocks dem ganzen Kapitalstandort gut bekommt, ganz ebenso trifft sein Anstieg den ganzen Betrieb und kann glatt dazu führen, dass der kapitalistische Konkurrenzkampf um Marktanteile umschlägt in lauter Überlebenskämpfe um die Verteilung des Schadens aus einer allgemeinen Rezession des nationalen Geschäftsgangs – er kann Krisen auslösen. Es ist daher ein nationales Anliegen von erstrangiger Bedeutung, dass der Energiepreis erstens kalkulierbar, zweitens niedrig ist, drittens aber die kontinuierliche Versorgung mit diesem Wirtschaftsgut durch ihrerseits kapitalistisch kalkulierende Anbieter sicherstellt. Oder umgekehrt: Die kapitalistischen Nationalökonomien hängen mit ihrem Maschinen-, Geräte- und Fuhrpark, ihren Energie verschlingenden Produktions- und Zirkulationsprozessen, schließlich den Notwendigkeiten und Gewohnheiten eines „Endverbraucher“-Daseins existenziell von beständiger Belieferung mit jeder Menge Energie ab; und weil das wie alles im Kapitalismus seinen Preis hat, ist der für sie von essentieller Bedeutung.

b) Auf Grund seiner natürlichen Eigenschaften ist Mineralöl der ideale Energierohstoff für die kapitalistische Ökonomie. Der gesicherte freie Zugriff darauf ist für die zuständigen Staatsgewalten daher von größter Wichtigkeit. Da sie – wie die Dinge nun einmal liegen – nur im Ausnahmefall in ihrem eigenen Hoheitsgebiet über längerfristig ausreichende Quellen verfügen, haben sie sich um eine zuverlässig kooperationswillige Herrschaft über die auswärtigen Lagerstätten zu kümmern – keine geringe Anforderung an ihre Fähigkeit, weltweit politischen Einfluss auszuüben.

Petroleum ist an vielen Lagerstätten in großen Mengen greifbar; zu Produktionskosten, die im Großen und Ganzen weit unter dem Aufwand für die Beschaffung anderer Energieträger – wie etwa der Steinkohle – liegen; und es ist ziemlich leicht für fast alle Einsatzzwecke nutzbar zu machen: ein Glücksfall unter allen Energiequellen, die zur Befriedigung des kapitalistischen Bedarfs bislang ausfindig gemacht und entwickelt worden sind. Das Objekt der Begierde lagert freilich in der Hauptsache außerhalb jener nationalen Grenzen, innerhalb derer das kapitalistische Wachstum zu Hause ist, das im Erdöl sein optimales Antriebsmittel hat; auch im Ausnahmefall der USA, die mit heimischer Ölförderung die Kapitalakkumulation auf Petroleumbasis erst in Gang gebracht haben, übersteigt der Verbrauch längst die nationale Förderung und richtet sich der Bedarf auf Ölquellen außerhalb des Staatsgebiets.[1] Der gesicherte Zugriff derer, die ihn brauchen, auf diesen idealen Energie-Rohstoff ist folglich eine zwischenstaatliche Affäre.

In der sind die Rollen eindeutig verteilt. Die Staatsgewalten, die einen Standort lebhaftester Kapitalakkumulation zu betreuen haben, wissen ihren nationalen Reichtum, also sich selbst mit ihrer Macht von einer zuverlässigen Ölzufuhr abhängig; und das halten sie nur aus, wenn sie die Bedingungen der Zufuhr selber im Griff haben. Sie bestehen folglich den Förderländern gegenüber auf einer Verwaltung, die einerseits ihren Laden unter Kontrolle hat und andererseits sich selber der Kontrolle ihrer großen Partner unterstellt; wo der Abtransport des Öls Nachbarländer tangiert, gilt für deren Führungen dasselbe. Mittel der Wahl, um dieses doppelte Ansinnen durchzusetzen, sind Waffen: die Lieferung von Gerät, mit dem die Staatsgewalt vor Ort sich unangefochten durchzusetzen und zu behaupten vermag und das sie zugleich quasi sachzwangmäßig auf den Partner verpflichtet, der sie so ausstattet. Wo Staaten so heruntergekommen sind, dass sie nicht einmal zu einem diesem Zweck gemäßen Gewalteinsatz fähig sind, oder wo die lokale Herrschaft den auswärtigen Zugriffsmächten zu unzuverlässig erscheinen, als dass man ihr Kriegsmaterial anvertrauen möchte, sorgen auch schon mal inoffizielle Privatarmeen oder Söldner im Dienst engagierter Ölgesellschaften für hinreichend sichere Verhältnisse an den Lagerstätten. Die „Projektion“ eigener militärischer Macht ersparen sich die großen Anwälte einer friedlichen Weltordnung damit keineswegs: Die Ausrüstung von Gewalthabern „vor Ort“ ergänzen sie konsequenterweise durch die beständige Fortentwicklung ihrer Fähigkeit und ihre jederzeitige Bereitschaft, ihre souveränen Partner nötigenfalls auch gegen deren Willen zur Kooperation zu zwingen. Auch die Weltmeere bedürfen durchgreifender Überwachung; die Sicherheit der Transportrouten können die ‚Verbraucherländer‘ auf keinen Fall den Lieferländern oder irgendwelchen Dritten überlassen. Lagerstätten und Transportwege des Erdöls sind deswegen wichtige Objekte des weltweiten militärischen Engagements der kapitalistischen Großmächte; an ihnen orientiert sich ganz wesentlich der strategische Blick demokratischer Befehlshaber auf die Weltkugel.

c) Die großen ‚Verbraucherländer‘ setzen ihre politische und militärische Macht strategisch dafür ein, einen Weltmarkt für Erdöl zu etablieren und abzusichern, auf dem sich kapitalistische Unternehmen nach Maßgabe ihrer kapitalistischen Rentabilitätsrechnungen betätigen. Die Verfahrensweisen des Kommerz, das profitorientierte Kaufen und Verkaufen, soll Dauerhaftigkeit und Zuverlässigkeit der Zufuhr zum ökonomischsten Preis garantieren. Den Lieferländern kommt hierbei die Rolle von hoheitlichen Grundeigentümern zu, die von dem Erlös leben, der ihnen für ihren Bodenschatz zugestanden wird.

Die Öl verbrauchenden großen Nationen lassen es an Gewalt gegen die ‚Ölstaaten‘ nicht fehlen. Ihre Kriegsdrohung gilt universell; wenn deren abschreckende Wirkung versagt, ist ihnen ihre Ölversorgung durchaus einen Krieg wert. Dabei geht es ihnen heutzutage nicht um ein so eng begrenztes Ziel wie die Erbeutung von Lagerstätten; auch deren gewaltsame Okkupation findet allenfalls hilfsweise, zur Abwehr von Störungen statt. Ziel aller Gewaltverhältnisse, die sie eröffnen, ist die Einrichtung eines weltweiten Marktes, auf dem Erdöl als regulärer Geschäftsartikel gehandelt wird. Dieser Handel, das ist damit schon klargestellt, ist seinerseits – übrigens wie die Konkurrenzveranstaltung namens „Weltmarkt“ überhaupt! – also alles andere als ein simpler Warentausch, der, weil allseits vorteilhaft, zwanglos vonstatten gehen könnte. Damit er wunschgemäß funktioniert, sind die großen ‚Verbraucherländer‘ eben nicht bloß als Einkäufer auf dem Welt-Ölmarkt präsent, sondern auch als strategische Kontrollmächte. Gleichwohl lassen sie es sich als große zivile Errungenschaft hoch anrechnen, dass sie ihren bedingungslosen, jederzeit zu jedem Gewalteinsatz breiten Zugriff auf die für sie unentbehrliche Ressource Öl partout marktwirtschaftlich abwickeln.[2] Mit aller Gewalt stellen sie sicher, dass ihre Ölversorgung in die Bahnen des marktwirtschaftlichen Kommerz – Ware gegen Geld, Geld gegen Ware, um mehr Geld zu verdienen – kommt und nach dessen eigenen Kriterien abgewickelt wird. Denn so und nur so, meinen sie, können sie sich gewiss sein, dass sie kontinuierlich, dauerhaft und preiswert, ganz geschäftsmäßig eben, mit ihrem energetischen Hauptlebensmittel beliefert werden.

Der entscheidende Punkt ist dabei die sachgerechte Herrichtung der Machthaber über auswärtige Erdöl-Lagerstätten, denen deswegen ja auch der Einsatz eines beträchtlichen strategischen Drohpotentials gilt: Aus ihnen müssen verlässliche Kontrahenten werden, die den Zugriff auf ihren Bodenschatz in der geschäftsmäßigen Form der Bezahlung als die Art und Weise akzeptieren, wie sie am kapitalistischen Weltmarkt partizipieren, und die darauf ihre ökonomische Existenz gründen. Ihnen wird der Status von Grundherren verpasst, die, weil – und so weit – sie als politische Souveräne ihr Staatsgebiet unter Kontrolle haben, ökonomisch als Grundstückseigentümer figurieren, denen als solchen ein Anteil am Erlös aus dem Verkauf der Waren zusteht, die fremde Interessenten und Unternehmer aus ihrem Boden herausholen. bzw. ihnen als „Bodenschatz“ abnehmen. Sie brauchen gar nicht, wie das jeder anständige bürgerliche Souverän tut, von ihrem eigenen Volk und einer einheimischen Wirtschaft zu leben und sollen das auch gar nicht, sondern sie werden von außen bezahlt; mit einer Art absoluter Grundrente, wie sie innerhalb einer kapitalistischen Klassengesellschaft dem Privateigentümer einer Bodenfläche zusteht, wenn er diese einem kommerziellen Nutzer, dem Pächter, zum Gebrauch überlässt. Grundlage dieser Quasi-Grundrente für ‚Ölstaaten‘ ist freilich nicht das ökonomische Privatverhältnis zwischen Kapitalisten- und Grundbesitzerklasse, in dem das gesetzlich geschützte Eigentum dem Grundherrn das Recht und die Macht verleiht, für die Benutzung des von ihm monopolisierten Stücks Erdoberfläche durch andere einen Tribut zu kassieren. Hier ernennen Staaten, die das Erdöl brauchen und sich verfügbar machen wollen, zu eben diesem Zweck auswärtige Landesherren zu Gutsbesitzern der besonderen Art; dieses politische Verhältnis ist die Grundlage der Bezahlung nach Gutsherrenart. Deswegen sind auch bei dieser politischen Grundrente – anders als sonst in der Geschäftsbeziehung zwischen Grundeigentümer und Pächter – die am Erdöl interessierten kapitalistischen Mächte die Herren des Verhältnisses; die Öl besitzenden Staaten werden in ihren politökonomischen Status eingewiesen und auf die Erfüllung der Regeln eines freien Welthandels hin kontrolliert. Großzügig teilen die Urheber und Aufseher des Weltmarkts ihren Zulieferern das Recht zu, vom Gebrauch, den ihre kapitalistischen Nationalökonomien von den auswärtigen Ölvorkommen machen, auch ein wenig zu profitieren; sie gewähren denen ein politisches Einkommen. Damit gestatten sie ihren selbstgeschaffenen Geschäftspartnern sogar den Versuch, als anerkannte Souveräne über ihr ölhaltiges Land einen Streit um die Höhe ihrer Revenue zu eröffnen. Unabhängig von dessen Ausgang ist damit aber erst einmal das Eine garantiert: Der Staat, der um die Höhe seiner Alimentierung von außen feilscht, hat die ihm zugedachte Rolle als Gegenpart auf dem Welt-Ölmarkt, den die kapitalistischen Mächte haben wollen, angenommen; der hat es grundsätzlich als seine politökonomische Bestimmung akzeptiert, den eigenen Bodenschatz feil und so für auswärtige Interessen verfügbar zu halten. Es ist dieser Dienst, der den ‚Ölstaaten‘ mit ihrem Anteil am Nutzen des Öls vergütet wird. Diese Vergütung geht als erster Bestandteil in den Ölpreis ein. Dieser Preis hält, umgekehrt, in seinem ersten Bestandteil den schönen Erfolg fest, dass auswärtige Machthaber sich dafür hergeben, als souverän über ihren Ölquellen thronende Korrespondenten des globalen Ölgeschäfts zu fungieren, das von den großen Kapitalstandorten ausgeht. Ein Stück imperialistischer Ordnung wird zur Rechengröße in einer Kalkulation, die die politischen Regisseure des Welt-Ölmarkts den kompetenten Managern des kapitalistischen Geschäftslebens überlassen. Die schauen, dass sie billig wegkommen, und widmen sich im Übrigen kalkulatorisch und praktisch den Produktionskosten, die bei der Beschaffung und Aufbereitung ihres Rohstoffs anfallen.

Über das Öl und seinen Preis steht damit schon mal so viel fest: Es geht um eine elementare Preis- und Versorgungsfrage – oder umgekehrt: Versorgungs- und deswegen Preisfrage – der Geldvermehrungswirtschaft, die die maßgeblichen Mitglieder der Staatengemeinschaft so erfolgreich betreiben. Um die Frage zu ihrer Zufriedenheit zu beantworten, verlangen und verschaffen sich diese Mächte Zugriff auf die Erdöl-Ressourcen der Welt, sichern diesen mit überlegener Gewalt strategisch ab, organisieren ihn als globales Geschäft und weisen die ‚Ölstaaten‘ in die passende Funktion eigennützig engagierter Erfüllungsgehilfen ein. Dass deren Herrscher den Status politischer Quasi-Grundrentner akzeptieren und insoweit die Sache verlässlich geregelt ist, ist das Erste, was der Ölpreis bezahlt: Er fixiert ein wichtiges Stück imperialistischer Verfügungsmacht in der sachlichen Gestalt einer Ware-Geld-Relation.

2. Öl – ein exquisiter Handelsartikel

a) Der Welt-Ölmarkt ist – von den maßgeblichen Staaten so gewollt, eingerichtet und behütet – das Betätigungsfeld großer Kapitalgesellschaften, die als kommerzielle Agenten eines vitalen Interesses der mächtigsten Nationen auftreten. Den Lieferländern gegenüber vertreten sie den Energiebedarf der kapitalistischen Nationalökonomien mit der materiellen Wucht ihres Vermögens: Außer dem Geld für die Abgeltung des Eigentumsrechts der fremden Staatsgewalten an ihrem Bodenschatz bringen sie nach Bedarf alls Nötige für dessen Förderung und Abtransport mit. Als Gegenleistung dafür verlangen sie Zugriffsrechte, und zwar möglichst die alleinigen, auf die Ölvorräte des jeweiligen Landes. Nach der anderen Seite hin nehmen sie ihre Aufgabe der sicheren und billigen Energieversorgung, die ihnen mit der Lizenz, am allgemeinen Energiebedarf zu verdienen, zugefallen ist, gleichfalls in der einzig adäquaten Weise wahr: Sie ziehen an den zahlungsfähigen Kapitalstandorten eine komplette Energiewirtschaft auf und konkurrieren damit um die Beherrschung der nationalen Energiemärkte.

In allen Nationen, in denen kapitalistisch produziert und akkumuliert wird, findet die Versorgung mit Energie mittlerweile als kapitalistisches Geschäft statt. Staatliche Energiebewirtschaftung ist allenfalls noch für den Notstandsfall vorgesehen; für normale Zeiten haben die maßgeblichen Staaten einander derlei „Eingriffe“ sogar verboten. Dabei war staatliches Engagement bis neulich noch gar kein „marktwidriges“ Verbrechen gegen das Menschenrecht auf freie Geschäftemacherei, sondern zweckmäßig und nötig, um Kapital in der für eine weltumspannende Geschäftstätigkeit auf dem Energie- und speziell dem Mineralölsektor erforderlichen Größenordnung überhaupt zu Stande zu bringen.

Die Firmen, die als erste groß genug waren, um das alle Grenzen überschreitende Geschäft mit dem Öl zu betreiben, hatten eine Zeit lang als Multis den schlechten Ruf, viel zu viel Macht, noch dazu ohne demokratische Legitimation und Kontrolle, bei sich zu konzentrieren und ganze Staaten auf der einen Seite, die Verbraucher in den ‚Verbraucherländern‘ auf der anderen Seite erpresserisch auszunutzen. Viel von diesem Vorwurf hat sich – ohne dass die Sachlage eine andere geworden wäre – dadurch erledigt, dass die öffentliche Meinung sich mittlerweile unter der Überschrift „Globalisierung“ darauf geeinigt hat, die vorgestellte Bedrohung der Autonomie von Nationen und kleinen Leuten durch den weltumspannenden Kommerz für ein allgemeines Phänomen und weniger für eine Gefahr als für eine Herausforderung an eine zeitgemäße Staatskunst zu halten. Tatsächlich trifft allerdings weder in ihrer alten noch in ihrer neuen Fassung die Unterstellung zu, beim „globalisierten“ Geschäft, und schon gleich bei dem der großen Ölkonzerne, handelte es sich um Fälle von „unkontrollierter“ Machtkonzentration jenseits aller staatlichen Zuständigkeit und in Widerspruch zur Tugend demokratischer Selbstbestimmung im freiheitlichen Gemeinwesen. Die Multis haben die Lizenz der großen demokratischen Mächte. Sie alle haben mit handfester staatlicher Hilfe die Größe erreicht – die amerikanischen früher, europäische später –, die sie zu ihrem besonderen, per se multi-nationalen Geschäft überhaupt befähigt. Und dieses Geschäft ist ohne die Entfaltung von ganz viel Macht, nämlich ohne die in den Konzernzentralen konzentrierte Kontrolle über Lieferanten und Absatzmärkte gar nicht zu betreiben. Denn immerhin geht es um das Programm, einen Versorgungsauftrag von erstrangiger Wichtigkeit, einen Dienst nicht an irgendwem, sondern an den ehrgeizigsten Kapitalstandorten der Welt, dadurch zu erfüllen, dass er als lohnendes Geschäft abgewickelt, also klotzig daran verdient wird. Die Multis dürfen und sollen bei der Ölbeschaffung mit erpresserischer Verhandlungsmacht auftreten und als Öllieferanten den Energiebedarf der ganzen Gesellschaft zum Vehikel ihres Gewinns machen – denn das und nur das ist, nach dem maßgeblichen Ermessen der maßgeblichen Mächte, die optimale Garantie für eine verlässliche preiswerte Energieversorgung. Die Multis handeln nur konsequent und ganz im Sinne dieser verpflichtenden Erlaubnis, wenn sie um die Beherrschung des Energiemarkts nach seinen beiden Seiten hin konkurrieren.

Das machen sie so:

  • Auf der einen Seite, den Lieferländern gegenüber, bauen sie sich auf als kompetente Sachwalter eines unwidersprechlichen Rechtsanspruchs: Als Aufkäufer von Öl und darüber hinaus von weitreichenden Lizenzen zur Ölförderung haben sie das Recht einer höheren Gewalt im Rücken, und mit der Macht ihres Kapitals sind sie materiell jederzeit in der Lage, die Rechtsansprüche ihrer Auftraggeber auf alles, was da an Energie unter fremdem Boden lagert, auch tatsächlich vollständig einzulösen. Schon über die Lagerstätten wissen sie weit besser Bescheid als die zuständigen Gebietshoheiten selber: Sie bringen Explorationstechniken zum Einsatz, die den Techniken der strategischen Supervision des Erdballs durch die Weltmächte abgeschaut sind oder den Weg bereiten. Mit ihren Forschungsergebnissen gehen sie auf die lokalen Regierungen zu und konfrontieren sie mit Angeboten, die die nicht ablehnen können. Als Gegenleistung verlangen sie Lizenzen, mit denen sie sich gegen die Konkurrenz möglichst langfristig Vorräte sichern. Die Investitionen in Bohrgerät und Pipelines übernehmen sie sowieso; wenn nötig, stehen sie auch für die Infrastruktur gerade, die sie brauchen, von Zufahrtsstraßen über Hafenanlagen bis zu Wohnblocks für die besseren Angestellten, und lassen sich dafür in Ölkontingenten zum Nulltarif bezahlen. Bei der Ausbeutung der erschlossenen Felder sparen sie dann schließlich – an der richtigen Stelle, so dass Umweltschützern das Material für den Vorwurf völliger „Verantwortungslosigkeit“ nie ausgeht. Die in den Rang guter Geschäftspartner erhobenen Länder sind anschließend nicht mehr wiederzuerkennen.
  • Auf der anderen Seite, in den ‚Verbraucherländern‘, nehmen die engagierten Konzerne ihren Geschäftsauftrag ebenso ernst. Sie bauen und betreiben Raffinerien; sie installieren Transport- und Vertriebswege; sie organisieren den Verkauf en gros und en détail. Damit treten sie, überaus erfolgreich übrigens, in Konkurrenz zu den Anbietern von Energie aus anderen Quellen, aber nicht nur das. Sie eröffnen selber Märkte für ihre Produkte; sie stacheln kapitalistische Unternehmer zu technologischen Neuentwicklungen an – ganz wesentlich auf dem Verkehrssektor: ihre Symbiose mit der Autobranche ist in der Hinsicht wohl die kapitalistische Erfolgsgeschichte des Jahrhunderts[3] –; sie erkunden, was sich aus Petroleum außer Energie sonst noch alles machen lässt, und begründen neue Branchen in der chemischen Industrie. Sie tun also einiges für die Ausweitung der Nachfrage, die sie dann auf ihre Zahlungsfähigkeit hin testen und ausnutzen. So stellen sie auch nach der Seite des Verkaufs hin klar, dass die sachgerechte Bedienung des Energiemarkts identisch ist mit dem Streben nach seiner Beherrschung: Um die geht ihr Konkurrenzkampf. In dem beschränken sie sich keineswegs auf ihren klassischen fossilen Energieträger. Öl steht in ihrer Geschäftsstrategie für Energie überhaupt; eben deswegen muss es überhaupt nicht immer und nur Öl sein, womit sie ihr Geschäft machen. Als Energieversorger sind die Ölmultis mit ihren „innovativen“ Abteilungen mit dem monopolistischen Zugriff auf Alternativen zum bestehenden Energiemarkt beschäftigt, noch ehe es diese gibt.

b) Der Kampf der Multis um die Monopolisierung des Energiegeschäfts liefert den zweiten, für seine Höhe maßgeblichen Bestimmungsgrund des Ölpreises. Ihre Konkurrenz lässt ihn um die kalkulierten Bereitstellungskosten des mit dem vergleichsweise größten Aufwand produzierten Kontingents, das sich noch mit Gewinn an die zahlungsfähige Nachfrage losschlagen lässt, schwanken. Die so zu Stande kommenden Preisbewegungen sind die Grundlage für eine unermüdliche heftige Spekulation auf vermutete Zwischenstände. Mit der ihr eigenen zirkulären Logik bringt diese Spekulation Tag für Tag den an der Börse notierten Barrel-Preis für Rohöl hervor.

Die Zeiten, als sieben große US-Gesellschaften den amerikanischen Inlandspreis diktieren und als Berechnungsbasis für den Rohölpreis auf der ganzen Welt durchsetzen konnten, sind vorbei. Heute konkurrieren eine nach wie vor überschaubare Anzahl multinationaler Großkonzerne sowie eine Vielzahl vergleichsweise kleiner, oft nur auf Zwischenstufen des Ölgeschäfts aktiver, nicht selten von den ‚Ölstaaten‘ selbst gegründeter Firmen gegen einander mit einem und um einen Abgabepreis, dessen Kalkulation nicht zufällig Ähnlichkeiten mit der – von Marx erklärten – Differentialrente aufweist. In der machen sich natürliche Vorzüge der Bodenbeschaffenheit in der Agrarwirtschaft für den Bodeneigentümer bezahlt; denn der Preis der Agrarprodukte richtet sich tendenziell nach dem Kostpreis der unter den ungünstigsten Umständen produzierten, aber noch benötigten und dementsprechend bezahlten Gütermengen und lässt bei den anderen einen Extragewinn entstehen, auf den der Grundeigentümer Anspruch erheben kann. Nach dem gleichen Muster können einem jeden kapitalistischen Geschäft, gleich welcher Art, aus der besonderen Eignung des Grundstücks, auf dem es stattfindet, im Vergleich zu anderen Grundstücken oder Standorten ertragswirksame Vorteile erwachsen: Sondergewinne, die nach marktwirtschaftlicher Rechenweise dem Grundstück zuzurechnen sind und gerechterweise dessen Eigentümer zustehen. In analoger Weise bringen die Ölhändler in ihrer Preiskalkulation die Gestehungskosten in Anschlag, zu denen sie die selbsterzeugte Nachfrage nach ihrem Stoff zu decken vermögen: nicht etwa den Durchschnitt ihrer Kostpreise, die je nach Kapitalaufwand und Arbeitskräfteeinsatz für die Förderung aus verschiedenartigen Lagerstätten und den Abtransport sehr unterschiedlich ausfallen, sondern den höchsten einzelnen Beschaffungspreis, den sie für die vollständige Abschöpfung der zahlungsfähigen Nachfrage errechnen. Letztere ändert sich natürlich, in Abhängigkeit vor allem von den Konjunkturen der kapitalistischen Weltwirtschaft und des entsprechenden Bedarfs an Antriebsenergie; dem entsprechend kommen Kontingente aus unterschiedlich kostenträchtiger Förderung zum Zuge. Auch unabhängig von Nachfrageschwankungen beeinflusst die Ausbeutung alter und die Erschließung neuer Felder die Beschaffungskosten der letzten noch lohnend verkäuflichen Ölmenge. Wie auch immer: In jedem Fall entsteht durch die billiger erzeugten Quantitäten Extraprofit. Der fällt allerdings keineswegs so ohne weiteres als echte Differentialrente an die ‚Ölländer‘, wie innerhalb der kapitalistischen Klassenverhältnisse der Grundherr sie von seinem Pächter einfordern kann. Im Verhältnis zwischen den mächtigen ‚Verbraucherländern‘, als deren kommerzielle Repräsentanten die Multis mit ihrem Geschäftsinteresse auftreten, und den Herrschern über ölhaltige Landstriche gilt zwar prinzipiell das Recht auf Eigentum; eben darauf bestehen die maßgeblichen Welthandelsmächte selber. Doch damit ist noch gar nichts weiter zugestanden, schon gar kein Anrecht auf Verteilung der Erlöse nach dem Vorbild von Pachtverhältnissen innerhalb einer kapitalistisch produzierenden Nation. Das Eigentum der Ölförderstaaten an ihrem Öl zählt praktisch, in Geld, nur so viel, wie die Seite, die ihnen das Eigentumsrecht gewährt, zulässt. Die Ölstaaten müssen um ihren Anteil streiten, wenn sie vom kapitalistisch kalkulierten, die höchsten Gestehungskosten abdeckenden Endpreis für Rohöl etwas haben wollen. Ob sie überhaupt etwas davon kriegen und wie viel, ist der Form nach Verhandlungssache, dem Inhalt nach Gegenstand eines permanenten Verteilungskampfes. Da versucht dann die eine Seite ihre hoheitliche Verfügungsmacht über ihre Ölquellen auszuspielen; die andere operiert mit der Marktmacht, über die sie auf Grund ihrer Kapitalgröße verfügt, und mit der Unterstützung der Regierungen der Nationen, in deren vitalem Interesse es liegt, den staatlichen Grundeigentümern möglichst wenig Geld zuzugestehen. Ziel der Lieferländer ist es, einen Abgabepreis möglichst oberhalb oder im Bereich der jeweils höchsten mit Gewinn realisierbaren Produktionskosten durchzusetzen; dann würden sie in der Tat die gesamte „Differentialrente“, die der Gunst der in ihren Ländern jeweils vorliegenden geologischen Verhältnisse entspringt, selber kassieren. Verhandlungsziel der Ölgesellschaften ist spiegelbildlich die Aneignung des gesamten Extraprofits. Wie auch immer dieser Streit jeweils ausgeht[4]: Sache der Multis bleibt es, einen für sie lohnenden Preis „am Markt durchzusetzen“; das ist dann einer, für den allemal sie mit ihren höchsten Produktionskosten für die absetzbare Ölmenge den Maßstab setzen und unter den sich die Abgabepreise der Ölländer auf alle Fälle drunter sortieren. Um einen entsprechenden Betrag herum, der selber je nach Produktionsbedingungen und Konjunkturlage höchst unterschiedlich ausfällt, lässt ihre Konkurrenz untereinander den Ölpreis dann schwanken.

„Volatil“ nennt man die Resultate einer solchen Preisbildung; und diese Eigenschaft des Ölpreises ruft bei den Kaufleuten, die ihn zahlen müssen, gerade weil sie diesen Kostenfaktor einfach nicht aus ihren Bilanzen eliminieren können, ein starkes Interesse an längerfristiger Absicherung gegen unvorhergesehene Schwankungen hervor. Da die Marktwirtschaft alle ehrlichen Kapitalistenbedürfnisse bedient, treffen sie sogleich auf Geldkapitalisten, die sich mit dem Angebot aufdrängen, gegen ein kleines Entgelt jedes Preisrisiko zu übernehmen, also z.B. Öl auf Termin zu einem festen Preis zu verkaufen, so dass wenigstens mit einer festen Größe gerechnet werden kann. Solche Versicherungsgeschäfte liegen auch ganz im Interesse des Kapitalstandorts insgesamt an einem Energiepreis, der einigermaßen langfristig und zuverlässig vorgibt, was die Nation sich ihren Verkehr, ihre Heizung und, dies vor allem, den Antrieb ihres Wirtschaftswachstums kosten lassen muss. Das Geldkapital hat also freie Bahn, um sich in der Spekulation zu engagieren, die nun mal die unvermeidliche andere Seite des Versicherungsgeschäfts darstellt. Und da jede Spekulation wieder so viel Risiko schafft, wie sie auf der anderen Seite absichert, also unweigerlich zum Gegenstand neuer Spekulationsgeschäfte wird, baut sich über dem Handel mit wirklichem Öl ein ganzer Turm von abgeleiteten Kontrakten auf – eine Quelle und echte Bereicherung der Abteilung „Derivate“ im Kreditüberbau des modernen Kapitalismus. Die Agenten dieses Geschäftszweigs nehmen die paar sachlich dingfest zu machenden Bestimmungsgründe des Ölpreises – zu den genannten kommen noch die im nächsten Abschnitt zu behandelnden Konsequenzen der politischen Bewirtschaftung des Energiesektors hinzu – als Bündel von Einflussgrößen zur Kenntnis, von denen sie noch ganz viele andere kennen; darunter nicht zuletzt die von ihnen selbst antizipierten und dadurch erzeugten Tendenzen der Preisentwicklung. Gerade die kommen ihnen sogar am allerwichtigsten vor. Und weil sie die Dinge nicht nur theoretisch auf den Kopf stellen, sondern viel Geld dafür einsetzen, Recht zu behalten, machen die spekulativen Köpfe, so gut und so schlecht es eben geht, den Ölpreis samt daran hängendem Energiegeschäft zum Anhängsel ihrer Engagements. Ganz kriegen sie die sachliche Reihenfolge zwischen ihrer Spekulation und dem, worauf sie spekulieren, zwar nicht zum Verschwinden; was sie wirklich bestimmen, ist am Ende dann doch nicht der Ölpreis, sondern bloß dessen fortwährendes Gewackel. Der Unterschied interessiert sie aber herzlich wenig; für sie und die restliche kompetente Geschäftswelt besteht der Ölpreis sowieso bloß darin, dass er schwankt. Und eins ist ihnen wirklich nicht zu bestreiten: Dass von Tag zu Tag oder sogar von einer Stunde auf die andere ein global gültiger Einheitspreis fürs Barrel Öl immer neu entsteht und darin wirklich alles, vom jüngsten Krieg über den letzten Tankerunfall bis zur schlechten Laune des US-Präsidenten, mit ein paar Cents Preisschwankung gerecht und angemessen widergespiegelt wird, das ist ihr Werk – allerdings ebenso, dass dieser Preis nun noch viel rascher und heftiger schwankt als alles, was die Ölkonzerne mit ihren „volatilen“ Konkurrenzergebnissen schon von allein hinkriegen würden. Das kommt eben davon, wenn Geldkapitalisten ihre Kollegen gegen Risiken für die Profitrate versichern: Am Ende ist das Risiko für die Geschäftswelt und die Nation insgesamt noch viel größer als zuvor. Aber dafür weiß man immer, was das Öl gerade eben gekostet hat.

c) Der Ölpreis lautet weltweit auf US-Dollar. Seit amerikanische Geschäftemacher das Petroleum als ideales Antriebsmittel des kapitalistischen Wachstums zu Ehren gebracht und weltweit durchgesetzt haben, und nachdem ein Weltkrieg und ein Kalter Krieg den Imperialismus der USA entfesselt haben, hängt das wichtigste gegenständliche Lebensmittel der Weltwirtschaft unzertrennlich mit dem wichtigsten Zugriffsmittel des Weltgeschäfts zusammen. Bis auf Weiteres jedenfalls noch.

Das Geschäft im großen Stil mit Erdöl ist von Amerika ausgegangen. Die darin engagierten Unternehmen hatten guten Grund, für ihr sehr rasch die ganze Welt umspannendes Treiben kein anderes Geschäftsmittel als ihr angestammtes nationales zu verwenden; und die neu entstehenden ‚Ölstaaten‘ hatten erst recht allen Grund, dieses Geld anzunehmen: Das ökonomische und strategische Kräfteverhältnis in der Staatenwelt sicherte der US-Währung unangefochtene universelle Gültigkeit. Für die Ölfirmen war sie damit die einzige Geldform, die den Erfordernissen ihres universellen Engagements entsprach; die ‚Ölstaaten‘ bekamen das Mittel für ihren Einstieg in die Weltwirtschaft in die Hand, wozu ihre eigene Währung überhaupt nicht taugte.

Den Status der „Öl-Währung“ ist der US-Dollar bis heute nicht los geworden; aus den gleichen guten Gründen. Nach wie vor bietet diese Geldsorte, auch im Vergleich mit den paar konkurrierenden Weltwährungen, die beste Gewähr, über universell verwendeten und verwendbaren Kredit zu verfügen – nicht zuletzt die Masse der außerhalb der USA zirkulierenden „Petrodollars“ hat diesen Vorrang der US-Währung ziemlich stabilisiert. Das bleibt ein entscheidendes Argument für eine Branche, die ihren Geschäftsartikel von überall her beschafft, überall hinschafft und damit am Geschäftsgang überall auf der Welt verdient; und es bleibt ebenso überzeugend für Lieferstaaten, die nach wie vor in ihrem eigenen Lokalgeld über kein, mit dem Dollar aber über ein uneingeschränkt brauchbares Kauf- und Geschäftsmittel verfügen. Nach wie vor steht außerdem die Macht, die dieses Weltgeld beglaubigt, für die strategische Sicherheit gerade, die der globale Ölmarkt braucht; die Weltläufte – die von Amerika aus gelenkten schon gleich – erinnern alle Beteiligten auch immer wieder an diese elementare Geschäftsbedingung einer imperialistischen Ansprüchen genügenden Bewirtschaftung des Mineralöls. Und was könnte klarer für ein Geschäftsmittel sprechen, als dass es der gleichen „Quelle“ entstammt wie die Gewalt, auf der der Gang der Geschäfte selber beruht! Für die diversen Teilnehmer am Ölhandel, große wie kleinere Firmen und private wie staatliche, ist das allemal von größerem Gewicht als alle Schwankungen des Dollarkurses im Verhältnis zu anderen Währungen.

Vom Standpunkt der imperialistischen Konkurrenz sieht die Sache allerdings ein wenig anders aus. Und für den Rest der Staatenwelt, die für ihren Ölbedarf US-Devisen braucht und nicht hat, ist das eine Härte, die allerdings keinen Multi gnädig stimmt.

Über das Öl und seinen Preis lehrt das zivile Geschäftsgebaren der so farbenfroh firmierenden Ölhändler also so viel: So, wie die kapitalistischen Großmächte das Nötige tun, um die Welt – neben allem andern – auch noch zum Ölmarkt herzurichten, so lässt das durch sie lizenzierte, zum Engagement herausgeforderte und protegierte Kapital nicht locker, bis es der Welt diese Bestimmung auch unübersehbar aufgedrückt hat. Es quetscht aus dem Globus alle Energieressourcen heraus, mit denen ein Geschäft zu machen ist, und tut das so, dass es und sonst keiner von diesem Geschäft profitiert. Wo es, nach der anderen Seite hin, als Energieversorger auftritt, da tut es alles, um das Erwerbsleben der Menschheit und das dazugehörige Privatleben gleich auch noch in den Dienst seines speziellen Geschäftsinteresses zu stellen: Bereicherung am Verbrauch von Energie. Das alles geht als Sachgesetz der Kostenkalkulation in den Ölpreis ein, gewinnt darin die triviale Form: x Dollar für y Barrel Öl. Dass es Dollar sind, das im Ölgeschäft angelegte Kapital also über sein hauseigenes Geschäftsmittel die innigste Symbiose mit der dominierenden strategischen Weltmacht eingeht, ist der angemessene Dank für seine politische Ermächtigung zu dem, was es auf und mit dem Globus anstellt.

3. Öl – Gegenstand der Politik der ‚Verbraucherländer‘

Staatsgewalten, die über Standorte kapitalistischen Wachstums gebieten, setzen die Zufuhr von Erdöl sowie dessen Preis ins Verhältnis zu ihrer Nationalökonomie, die davon angetrieben wird, insbesondere zu deren Konjunkturen, die davon beeinflusst werden; und zwar im Hinblick auf die Leistungen, die sie von ihrer Wirtschaft erwarten. Für ihre Politik leiten sie daraus einen umfänglichen Katalog von Aufgaben ab. Mit deren Erfüllung liefern sie den dritten Bestimmungsgrund für den Ölpreis.

a) In ihrer Energiepolitik haben die kapitalistischen Nationen der Mineralölwirtschaft alle Freiheiten eröffnet. Ihre Nationalökonomie haben sie im Interesse höherer Wachstumsraten unter Verzicht auf frühere Autarkieideale auf Ölimporte um- und eingestellt, dafür auch den Bankrott nicht mehr konkurrenzfähiger heimischer Energiebeschaffungsindustrien zugelassen und organisiert. Auf der Grundlage verfolgen sie das Programm, auch neue Energiearten und -quellen zu entwickeln und deren industrielle Ausbeutung zu einer konkurrenzfähigen Wachstumsbranche zu machen. Neuerdings kommt außerdem die Tugend der Sparsamkeit zu ihrem Recht, soweit es der Rentabilität des Kapitaleinsatzes in der Nation und der Entlastung ihrer Energierechnung dient.

Alle führenden kapitalistischen Mächte setzen auf das Erdöl als wichtigsten Energie-Rohstoff, einfach weil es konkurrenzlos billig ist und ihrem Wirtschaftswachstum enormen Auftrieb gibt. Der gigantische Wirtschaftserfolg der Mineralölbranche gibt ihnen Recht; umgekehrt geben die Instanzen des Gemeinwohls den Interessen des Petroleumgewerbes uneingeschränkt Recht. Daneben kennen sie allerdings noch andere Interessen und Gesichtspunkte der allgemeinen kapitalistischen Wohlfahrt, die durch ihren energiepolitischen Grundsatzbeschluss tangiert sind und neu definiert werden müssen.

Ihre erste Sorge gilt der Importabhängigkeit ihrer heimischen Wirtschaft, die sie sich einhandeln. Immerhin gibt die Staatsgewalt die souveräne Verfügung über das unentbehrliche Lebensmittel ihrer nationalen Ökonomie aus der Hand, und zwar, sobald die Mineralölwirtschaft sich erst einmal breit gemacht, das System der Energieversorgung auf ihre Produkte umgestellt und den Treibstoffverbrauch in ungeahnte Höhen getrieben hat, ohne Chance auf Widerruf. Ihre Verantwortung für den nationalen Betrieb wird die Staatsmacht damit andererseits überhaupt nicht los. Sie sieht sich vor der unabweisbaren Aufgabe, Versorgungssicherheit herzustellen, und erteilt sich vor allem anderen den Auftrag, den Import bis hin zum Ursprungsland unter ihre Kontrolle zu bringen und auf die Art, imperialistisch ausgreifend, im Griff ihrer Gewalt zu behalten, was sie im nationalen Rahmen nicht mehr in der Hand hat.[5] Daneben zieht sie aber noch andere Schlüsse. Sie lässt sich anstacheln in ihren Bemühungen – die sowieso auf der wirtschaftspolitischen Agenda einer jeden führenden kapitalistischen Macht stehen – um „innovative“ Technologien zur Energieerzeugung und darauf basierende neue Wachstumsindustrien. Denn auch wenn die ihrerseits von Importen abhängig sind – wie etwa Deutschlands Atomenergie-Wirtschaft –, so trägt die Diversifizierung der Energiequellen eben doch dazu bei, die eine Abhängigkeit durch eine andere zu relativieren. Alleiniges oder auch nur entscheidendes Kriterium für eine zeitgemäße staatliche Subventionspolitik auf dem Energiesektor ist die Unabhängigkeitsfrage freilich nicht. Vor allem muss sich volkswirtschaftlich lohnen, was da gefördert wird; am besten doppelt und dreifach: als Beitrag zu weiterer Verbilligung des Faktors Energie, als dementsprechend verheißungsvolle neue Wachstumsbranche, als – was sich dann von selbst ergibt – Exportschlager, der die weltwirtschaftliche Führungsrolle der Nation bestätigt. Unter demselben Gesichtspunkt werden umgekehrt in etlichen Ländern die Restbestände einer früheren einheimischen Energiewirtschaft abgewickelt: Was unter dem Konkurrenzdruck des Erdöls nicht mehr lohnend zu betreiben ist, verdient heutzutage die Subventionen nicht mehr, mit denen etwa der Steinkohlebergbau in Europa über Jahrzehnte hinweg immer rentabler gemacht und zugleich, weil der Preiskonkurrenz dann doch nicht gewachsen, „sozialverträglich“ heruntergefahren worden ist. Dass ein ganzer Industriezweig so zu einem Fall für die öffentliche Fürsorge geworden ist, illustriert drastisch die Entschiedenheit, mit der die zuständigen Staaten ihre energiepolitischen Prioritäten gesetzt haben.

Das Energie-Sparen hat zu diesen Prioritäten nie gehört. Im Gegenteil: Unter Einsatz billiger Energie, und zwar in großen Stil, haben die konkurrierenden Weltwirtschaftsmächte allesamt das kapitalistische Wachstum an ihrem Standort organisiert. Die billige Antriebsenergie hat als Stachel für Entwicklung und Einsatz von – Arbeitskräfte sparender – Maschinerie als Wachstumsmittel gewirkt; mit ihr ist die gesamte Zirkulationssphäre „revolutioniert“ worden – im Verkehrswesen stehen ein paar Auswirkungen jedermann vor Augen. Das Interesse der kapitalistischen Kostenrechner an Einsparung laufender Ausgaben, zu denen die für Energie – ebenso wie die Löhne – gehören, durch einmalige Investitionen, in dem Fall in energetisch effizientere Maschinerie, wurde dabei selbstverständlich immer auch bedient; eben im Rahmen dessen, was die niedrigen Energiepreise lohnend erscheinen ließen. In dem Rahmen ist den zuständigen Regierungen auch schon immer das Energiesparen vernünftig und förderungswürdig erschienen, ohne dass das dem Geschäft der Energiekonzerne je Abbruch getan hätte. Das expandiert bis heute ungebrochen weiter, auch im Zeitalter des „ökologischen Umdenkens“.

Gerade dadurch haben sich mittlerweile allerdings die Maßstäbe doch ein wenig verschoben, für weitsichtige Energiepolitiker jedenfalls. Explodierende Verbrauchsziffern und phasenweise stark nach oben schwankende Preise, in allen Ländern außer den USA zudem die schwer kalkulierbaren Bewegungen des Dollarkurses haben den Posten für Erdöl-Importe in den Außenhandelsbilanzen der großen Verbrauchernationen zu einer kritischen oder jedenfalls sehr kritisch beäugten Größe gemacht. Dieses erstklassige Hilfsmittel des Wachstums wird nicht in Frage gestellt, wohl aber quasi ergänzend unter dem Gesichtspunkt überprüft, inwieweit der Nation aus seinem Einkauf doch auch eine Belastung, nämlich in der Konkurrenz mit ihresgleichen, erwachsen könnte. Gerade weil das Erdöl auch weiterhin Energieträger für konkurrenzfähiges kapitalistisches Wachstum am nationalen Standort bleiben soll und eine Rückkehr zur Politik tendenzieller Selbstversorgung mit Energie überhaupt nicht in Frage kommt, sehen fortschrittliche Regierungen sich herausgefordert, die Zahlungen für Ölimporte unter Kontrolle zu halten. In dem Zusammenhang verfallen sie darauf, beim nationalen Ölverbrauch auch auf Sparsamkeit zu dringen – also z.B.die Entwicklung Sprit sparender Automotoren zu fordern und zu fördern, überhaupt die Effektivierung des Energieeinsatzes durch neue Technologien zu ermuntern usw. Volkstümlich überhöht wird die Einführung dieses Korrektur-Kriteriums in die offizielle Energiepolitik mit dem Vorwurf der Energieverschwendung an die früheren Wachstumsphasen, in denen der billige Rohstoff sich noch voll als Instrument für gesteigerte Profit- und gesamtnationale Akkumulationsraten ausgewirkt, die Konkurrenztüchtigkeit des nationalen Kapitals eindeutig gestärkt hat, sein massenhafter Konsum also auf wenig restriktive Bedenken gestoßen ist. Ein wenig ernster ist es aber schon gemeint, wenn verantwortliche Energiepolitiker heute das „strategische“ Ziel vorgeben, Wirtschaftswachstum und Rohöl-Einsatz voneinander zu „entkoppeln“, und entsprechende statistische Befunde als Erfolg ausgeben. „Sparsamkeit“ in diesem Sinn – nämlich nicht einfach Minderung des Verbrauchs, sondern überproportionale Erhöhung des in Geld nachzählbaren Effekts – kann sich ja tatsächlich nur günstig auswirken; sowohl auf die Versorgungssicherheit, die keinesfalls auf Kosten der Billigkeit des Faktors Energie gehen darf, als auch auf die Preisfrage, deren befriedigende Beantwortung so ausfallen muss, dass die Versorgung gesichert bleibt. Etliche Regierungen haben sich dafür sogar die einigermaßen paradoxe „Lösung“ einfallen lassen, den Energieverbrauch mit gesetzlicher Gewalt zu verteuern, um Investitionen lohnend zu machen, die ihn so vermindern, dass sie ihn in der kapitalistischen Gewinn- und Verlustrechnung des Einzelunternehmens wie im nationalen Maßstab verbilligen. Umso flotter kann dann schließlich wieder verdient und akkumuliert werden.

Das bekommt dann nicht zuletzt gerade der Energiebranche wieder gut. Denn die hängt mit ihren Umsätzen und Gewinnen eben so vom allgemeinen Wirtschaftswachstum ab wie dieses von ihren Gewinn bringenden Versorgungsleistungen.

b) Mit ihrer Steuerpolitik greift die Staatsgewalt beim Energieverbrauch wie beim Händewechsel jeder anderen Ware zu, beim Öl noch etwas mehr. Für die Einnahmeseite ihres Haushalts nutzt sie aus, dass Energie notwendigerweise immer und überall, kontinuierlich und in großen Quantitäten verbraucht wird. Und sie zieht mit Sonderzuschlägen extra großen Nutzen daraus, dass Mineralöl so speziell billig zu beschaffen ist und zum unverzichtbaren Massenkonsumartikel Nr. 1 geworden ist – eine fiskalische Gratisgabe ihrer Grundsatzentscheidung fürs Petroleum als Energiequelle des Standorts.

Der Staat, der einen Kapitalstandort erfolgreich regieren will, ist ein großer Freund und Förderer des Mineralölgeschäfts, weil dessen unschlagbar billige Versorgungsangebote dem Betrieb seiner Gesellschaft im Allgemeinen und dem nationalen Wirtschaftswachstum im Besonderen so gut bekommen. Das hindert ihn aber überhaupt nicht daran, sich mit nur umso höheren Prozentsätzen steuerlich am Umsatz speziell dieser Branche zu bedienen. Dass sein Standort mit Energie aus Öl geschäftlich so gut fährt, nimmt er als Glücksfall für sich und seinen Finanzbedarf wahr: Er kann beim produzierenden Gewerbe zulangen, ohne die kapitalistisch produktiven Wirkungen niedriger Energiekosten zunichte zu machen; vielmehr partizipiert er noch zusätzlich am beschleunigten Wachstum der Geschäfte. Gerne stellen sich die Steuerpolitiker auch in den Dienst ihrer Kollegen von der Energiepolitik, die auf den paradoxen Effekt einer Energiekostensenkung durch steuerliche Verteuerung setzen. Bremsen lassen sie sich dabei wiederum von den Wirtschaftspolitikern in den Fällen, in denen absehbarerweise bloß der dauernde Aufwand für den Betrieb eines besonders „energieintensiven“ Unternehmens steigen und dessen Konkurrenzfähigkeit gefährden würde. Trotzdem stellen sie per Saldo jeden modernen Umweltpolitiker zufrieden, weil sie die ganze Pest wenn schon nicht mindern oder mildern, dann wenigstens mit Verteuerung bestrafen. Was ganz besonders dort angebracht erscheint, wo Energiekosten nicht als Betriebsausgaben zu Buche schlagen, sondern vom privaten Endverbraucher zu tragen sind: Die höchsten Prozentsätze und größten Summen greift der Fiskus sich vom Individualverkehr ab, der durch billige Brennstoffe überhaupt erst den enormen Umfang angenommen hat, in dem er mittlerweile – vom Staat anerkannt und gewollt, verkehrspolitisch gefördert und überhaupt kein bisschen gebremst – zur allgemeinen Lebensnotwendigkeit geworden ist und wirklich nicht bloß die Wälder ruiniert. Für standortbewusste Finanzpolitiker ist das die denkbar passendste Ergänzung zur Lohnsteuer.

Immerhin, die Herrschaft leistet dafür auch einiges. Nicht bloß in Sachen Straßenbau.

c) Mit ihrer Außenhandelspolitik verfolgt die Staatsmacht der großen ‚Verbraucherländer‘ das Ziel, die Zufuhr des Energie-Rohstoffs, von dem sie ihre nationale Ökonomie abhängig gemacht hat, unter ihre Kontrolle zu bringen und den zu bezahlenden Preis niedrig zu halten. Sie betreut den Geschäftszweig nachdrücklich, lenkt die auswärtigen Unternehmungen der Multis im Sinne größtmöglicher nationaler Versorgungssicherheit, fördert dazu unter Umständen eigene Konzerne, wirkt im gleichen Sinn auf viele verschiedene Lieferländer ein, sucht deren Staatsapparat und Wirtschaft von den Zahlungen sowie von Krediten und Warenlieferungen aus dem eigenen Land abhängig zu machen. Mit dieser Politik geraten die ölimportierenden Mächte sich wechselseitig ins Gehege. Und noch eine Konkurrenzfrage wirft der staatlich betreute Mineralölimport auf: Die nationale Ölrechnung berührt das Verhältnis zwischen den Währungen der Weltwirtschaftsmächte.

Wenn die Treibstoffpreise, aus welchem Grund auch immer, merklich steigen, dann richtet sich die allgemeine Aufmerksamkeit gleich, so als wäre es die je eigene private, auf die nationale Ölrechnung; und von der hat die demokratische Öffentlichkeit eine so schlechte Meinung, dass man ihr fast raten möchte, die Nation sollte aufs Petroleum doch lieber verzichten. Nicht einmal die Fachwelt will noch etwas davon wissen, dass es diese „Rechnung“ nur gibt, weil sie sich für die nationale Wirtschaft lohnt; so sehr eben, dass glatt ein paar Wachstumspunkte entfallen, wenn der Stoff teurer wird – offenbar hat er die mit seinem besonders niedrigen Preis vorher beigesteuert. Aber das wäre ja auch noch schöner, wenn die öffentliche Meinung in der Sache richtig liegen müsste, um politisch richtig zu liegen. Sie trifft da wie immer den korrekten Ton, fordert nämlich von der Obrigkeit, was die sowieso schon mit Macht betreibt: Vorkehrungen zu treffen, dass die Ölrechnung der Nation „bezahlbar“ bleibt, und den Lieferanten klar zu machen, dass es sich bei ihrer Ware weder um fremde Bodenschätze noch um einen Geschäftsartikel wie jeden anderen handelt, sondern um unser Öl. Zum Super-GAU eines echten Liefer-Engpasses darf es nämlich erst recht nicht kommen. Doch das scheint man derzeit in keinem demokratischen ‚Verbraucherland‘ öffentlich zu befürchten – zweifellos ein Verdienst der Politik, die diese Länder in Sachen Petroleumhandel praktizieren.

Diese Politik setzt grundsätzlich auf das Geschäftsinteresse der Ölkonzerne. Von dem erwarten sich die politisch Verantwortlichen ein Optimum an Versorgung schon deswegen, weil es den Multis ja um nichts anderes geht, als viel zu verdienen und zu diesem Zweck möglichst viel zu verkaufen. Was sie dafür unternehmen: immer neue Lagerstätten ausforschen, Rechte auf die Ausbeutung alter wie neu entdeckter Lagerstätten monopolisieren, Förderung und Transport in eigene Regie übernehmen, schließlich um maximale Erlöse konkurrieren – das alles geht politisch voll in Ordnung. Aber es reicht nicht; aus zwei komplementären Gründen. Die Konzerne selbst brauchen politischen Rückhalt, weil es bei ihrem Geschäft um Kontrakte mit souveränen Landesherren geht. Und den Politikern der ‚Verbraucherländer‘ ist die Treibstoffversorgung ihrer Nation ein viel zu wichtiges Anliegen, als dass sie, nachdem sie seine Erledigung der Mineralölwirtschaft als gewinnträchtiges Geschäftsfeld überstellt und insoweit aus ihrer hoheitlichen Kontrolle entlassen haben, ihre Ölkaufleute bei der Wahrnehmung ihrer verantwortungsvollen Aufgabe alleine ließen.

Also setzen sie den ganzen Nachdruck ihrer politischen Macht hinter die in die weite Welt hinausgreifenden Interessen und Aktivitäten der Energiewirtschaft. Sie bahnen ihr auf diplomatischer Ebene den Weg zu den staatlichen Geschäftspartnern und wirken auf diese im Sinne guter Beziehungen ein. Sie erinnern ihre auswärtigen Kollegen an den dringenden Bedarf an Petrodollars, der bei jedem Lieferland vorausgesetzt werden darf, sowie an deren wohlverstandenes Eigeninteresse an Dingen, die die Verbrauchernationen haben und sie nicht: Kredit, politischen wie finanziellen, und Waren, Militärgerät nicht zuletzt, für den Unterhalt der eigenen hoheitlichen Macht; Kapital und Investitionsgüter für die Förderung von Öl und den Aufbau von Elementen einer eigenen Nationalökonomie. Ziel dabei sind Kontrakte „zum wechselseitigen Nutzen“, die dem kapitalistischen Ölimportland erstens den Energierohstoff zweitens zu einem „angemessenen“ Preis und drittens ein Gegengeschäft sichern, mit dem es sich das weggezahlte Geld gleich wieder zurück verdienen kann – „Recycling der Petrodollars“ hieß das einmal.

Damit ist freilich auch schon klar, dass die kapitalistischen Mächte keineswegs einfach und ohne Vorbehalt an der Herstellung eines Welt-Ölmarktes mitwirken, über den die Multis, national desinteressiert und stur ihrem Geschäftsinteresse folgend, alle zahlungsfähigen Kunden gleichermaßen beliefern. Über deren weltumspannendes System von Handelsbeziehungen legen sie vielmehr ein Netz von zwischenstaatlichen Abmachungen, mit denen sie sich spezielle Lieferkonditionen und -garantien, außerdem Exportchancen für Industrie, Handel und Kreditgewerbe der eigenen Nation sichern und insofern für eine gewisse Diskriminierung anderer ‚Verbraucherländer‘ sorgen. Beim Bau von Pipelines geht es ganz gegenständlich um die Ausrichtung des Petroleumhandels auf bestimmte nationale Partner; das handelspolitische Kräfteverhältnis materialisiert sich in einer Infrastruktur, die gleich auch noch die Nachbarländer der ‚Ölstaaten‘ tangiert und in eine politische Sortierung der Geographie mit einbezieht. So sorgt die von beiden Seiten für nötig erachtete politische Betreuung der grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit der Ölkonzerne dafür, dass der Anspruch der kapitalistischen Nationen auf Versorgungssicherheit und die Macht, mit der sie diesem Anspruch bei ihren souveränen Ansprechpartnern in den ‚Ölstaaten‘ jeweils Geltung zu verschaffen wissen, den Energieunternehmen nicht bloß den Weg bahnt, sondern auch den Weg weist.

Dass die Interessen von Staaten und Ölmultis im Großen und Ganzen ziemlich konform gehen,. liegt in der Natur der Sache: Die mächtigsten Nationen sind für die Ölhändler als Märkte am interessantesten und umgekehrt. Es sind und bleiben aber verschieden geartete Interessenlagen, die dann doch nicht automatisch im Endergebnis deckungsgleich sind, so dass die zuständigen Regierungen, gerade weil sie gar nicht daran denken, den ganzen Bereich wieder unter ihre direkte Kontrolle zu nehmen, immer wieder Kontrollbedürfnisse entwickeln. Sie unterstützen das Ölgeschäft, verlangen dafür aber, wie von den Lieferstaaten, so auch von den Konzernen spezielle Versorgungsgarantien für ihren Kapitalstandort. Sie bestehen auf der Respektierung politischer Vorgaben, etwa beim Aufbau von Transportwegen, wo strategische und weltpolitische Gesichtspunkte bisweilen die Wahl der rentabelsten Route verbieten. Dabei gehen die größten Mächte davon aus, dass „ihre“ Multis sich schon aus Geschäftsgründen in die staatsbürgerliche Pflicht nehmen lassen; doch die sind als Multis nur allzu oft einander widersprechenden Staatsinteressen verpflichtet. Deswegen finden manche Regierungen Gefallen an einer eigenen, nur nationalen Ölfirma, die sich zuverlässig lenken lässt und staatliche Zielvorgaben geschäftlich umsetzt. Bei der Konkurrenz ruft so etwas wiederum Bemühungen hervor, derartige Handelsgesellschaften durch „eigene“ Konzerne unterwandern, übernehmen oder ausbooten zu lassen. Und so weiter.

Alle Bemühungen der großen Nationen, den weltumspannenden Erdölhandel speziell auf sich und ihre Bedürfnisse zuzuschneiden, haben dennoch – bislang jedenfalls noch lange – nicht zu einer Zerstörung des alle Grenzen überschreitenden freien Herumwirtschaftens mit dem Stoff geführt. Ihre konträren Interessen an Billigpreisen und Versorgungssicherheit, die auf Seiten der ‚Ölstaaten‘ auch durchaus auf Gegenliebe stoßen, relativieren sich immer noch an ihrem übereinstimmenden Interesse an einem Weltmarkt für Mineralöl, den die Multis nach ihren Kalkulationen gestalten sollen.

Welches nationale Interesse letztinstanzlich für diesen Internationalismus des Welt-Ölgeschäfts einsteht, weil es sich dadurch immer noch am besten bedient sieht, das geht aus der nationalen Natur des Geschäftsmittels hervor, das diese Sphäre einstweilen alternativlos beherrscht. Die Ölversorgung aller ‚Verbraucherländer‘ steht nämlich unter einer speziellen imperialistischen Bedingung: Die Kunden müssen über Dollar verfügen. Ganz viele Länder scheitern daran; sie bezahlen den Stoff, der auch für ihren materiellen Lebensprozess das unentbehrliche Lebensmittel ist, mit hoffnungsloser Verschuldung. Doch das sind die Mitglieder der Völkerfamilie, die weltwirtschaftlich sowieso nicht zählen. Auch die großen und bedeutenden Kapitalstandorte außerhalb Amerikas haben aber mit der Denomination des Ölpreises ein Problem; freilich ein sehr erlesenes. Nicht, dass sie die nötigen Devisen nicht hätten, um sich am Welt-Ölmarkt zu behaupten. Sie müssen sich die Öl-Währung aber doch erst kaufen, verfügen also nicht per se in ihrem Geld über das bedingungslos geltende globale Kaufmittel für den existenziellen kapitalistischen Rohstoff schlechthin. Deswegen sind sie in ihren Außenhandelsbilanzen, zusätzlich zu den Schwankungen des Dollarpreises für das Barrel Öl, auch noch den Schwankungen des Dollarkurses ihrer eigenen Währung ausgesetzt. Und nicht nur, dass es so ist: Mit jedem Kauf von Energierohstoff, also fortwährend, beglaubigen sie automatisch die Erstklassigkeit der US-Währung, ihren Vorrang vor der eigenen als selbstverständliche Existenzform des kapitalistischen Reichtums der Welt, und bestätigen mit ihrer Nachfrage nach Petrodollars auch noch deren Kurswert.

Die Europäer und Japaner, von denen hier die Rede ist, werden durch dieses Klassenverhältnis der Währungen am Ölmarkt nicht direkt ärmer, so wenig die Amerikaner dadurch reicher werden. Dafür jedoch, wie viel der Reichtum einer Nation im Weltvergleich zählt, nämlich nach Maßgabe der Wechselkurse ihrer Währungen: dafür spielt die fortwährende Nachfrage nach Dollars als Kaufmittel für Öl am Ende doch eine Rolle. Und umgekehrt entscheidet der Dollar-Wechselkurs darüber mit, wieviel nationalen Reichtum das Kapital eines Landes vergleichsweise aufwenden muss, um Energie zu kaufen, und wie es folglich im Vergleich der Standorte um die nationale Akkumulationsrate steht. Kein Wunder daher, dass Amerikas europäische Hauptkonkurrenten mit der Schöpfung einer gemeinsamen Währung die Zielsetzung verbunden haben, sich nicht zuletzt beim Mineralöleinkauf vom US-Dollar zu emanzipieren. Geschafft haben sie es bislang nicht, offenbar noch nicht einmal so recht probiert: Zur Kündigung des weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisses, so wie es sich im Petrodollar dinglich darstellt, langt der alternative Euro-Imperialismus einstweilen doch – noch – nicht hin.

d) In ihrer Sicherheitspolitik machen die großen Ölverbraucher gemeinsame Sache. Sie stellen ihre staatlichen Partner im Ölgeschäft unter ein Kooperationsdiktat, bekräftigen das mit einer unmissverständlichen generellen Kriegsdrohung und treffen rund um den Globus der jeweiligen strategischen Lage angepasste Vorkehrungen für bedarfsgerechte Interventionen. So vergewissern sie sich der Haltbarkeit des berechnenden Geschäftssinns ihrer Öllieferanten, den sie handelspolitisch ausnutzen und strapazieren. Das letzte, nicht auszuräumende Restrisiko ihres Kontrollregimes liegt weniger bei dessen Adressaten als bei ihnen selbst: Für die Haltbarkeit ihres Willens, als Führungsmacht einerseits, Bündnispartner minderen Rechts andererseits zusammenzuhalten, gibt es keine letzte Gewaltgarantie außerhalb ihrer und über ihren konkurrierenden Berechnungen.

Wenn sie auf Autarkie in einer politökonomischen Lebensfrage ihrer Nation verzichten, sogar die Chance annähernder Selbstversorgung in Sachen Energie auf lange Sicht praktisch unwiderruflich preisgeben, also ihren Kapitalstandort und damit sich selbst von einer Existenzbedingung außerhalb der Grenzen ihrer hoheitlichen Gewalt abhängig machen, dann gehen die kapitalistischen Großmächte nach ihrer eigenen Rechnung ein enormes Risiko ein: Sie knüpfen ihr Schicksal – letztlich – an den guten Willen fremder Souveräne. Alle handelspolitischen Manöver, mit denen sie Versorgungssicherheit auf dem Vertragsweg herstellen, heben dieses Restrisiko nicht auf. Denn die gehen von einer berechnenden Kooperationsbereitschaft und Vertragstreue ihrer souveränen Kontrahenten aus und setzen sie voraus; gegen abweichende Berechnungen und im Fall einer Aufkündigung des kommerziellen Verkehrs durch den Partner geben sie keine Sicherheit. Eine solche Alternative mag praktisch noch so unwahrscheinlich sein – für die großen ‚Verbraucherländer‘ ist sie überhaupt nicht hinnehmbar; es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Ihre Führung verlangt sich ab, die nationale Existenzbedingung, die sie im Innern ihrer Nation aus der Hand gegeben hat, auswärts im Griff zu behalten, also den souveränen Willen ihrer Lieferanten ihrer oberhoheitlichen Gewalt zu unterwerfen.

Dabei versagen diese Staaten sich derzeit den Weg, den sie in der Vergangenheit oft genug eingeschlagen haben und der im Grunde auch der einzige ist, den eine einzelne Großmacht mit Aussicht auf Erfolg einschlagen kann: die Erledigung der Machtfrage durch Kolonialisierung, Eroberung oder sonst irgendeine Form der direkten Beherrschung benötigter Länder und Lagerstätten. Vom Standpunkt eines freien Kommerz mit formell gleichberechtigten Partnern rücken sie nicht ab. Sie verlassen sich dabei, statt auf regelrechte bi- oder multilaterale Vasallenverhältnisse,[6] auf ein den anerkannten staatlichen Souveränen übergestülptes allgemeines Abschreckungsregime, das denen keine Alternative offen lässt. Dieses Regime stellen sie gemeinsam her; anders ist es auch gar nicht zu haben. In aller Form erklären sie ihre Versorgungssicherheit bei der Energie zum vitalen Interesse, für dessen Verteidigung sie als NATO kollektiv einstehen und auch sonst in passenden Allianzen weltweit zu sorgen gedenken. Dem entsprechend rüsten sie sich mit Interventions-Streitkräften und treffen mit den interessierenden Ländern, großenteils im Rahmen der so genannten NATO-„Partnerschaft für den Frieden“, gemeinsame Arrangements und Vorbereitungen für einen Ernstfall. Zuverlässig ist ihr Bündnis – jedenfalls zuverlässig genug, um weltweit Eindruck zu machen –, weil es sich keineswegs um einen ungezwungenen Zusammenschluss unter Gleichen handelt, sondern um ein Werk der USA: Die definieren mit ihrer überlegenen strategischen Macht das globale Kräfteverhältnis, dem die kapitalistischen Demokratien Europas sich als zweit- bis viertrangige Helfershelfer und teilhabende Nutznießer des amerikanischen Zugriffs zuordnen; ähnlich die ostasiatischen Verbündeten. Diesem Zusammenwirken fehlt zwar selber die letzte gewaltsame Garantie. Die insoweit freien Kalkulationen der souveränen Mitmacher sind jedoch andererseits von so viel Bündnisinteresse geprägt, dass es zu einer wirksamen Terrorisierung der Ölstaaten allemal langt.

e) Mit ihren Eingriffen in die Energieversorgung ihrer Nation liefern die Regierungen der ‚Verbraucherländer‘ einen dritten Bestimmungsgrund für den Ölpreis: Sie bereiten und ersparen der Mineralölwirtschaft Kosten; beides geht in deren Preiskalkulation mit ein. Der Spekulation bieten sie jede Menge „Daten“, aus denen diese Zunft die Zukunft von Energiebedarf und Ölzufuhr weissagen kann und darüber, beeindruckt durch ihre eigenen Prognosen, den haargenau passenden Tagespreis ermittelt.

Der Staat bestimmt nicht bloß mit seinen Steuern den Endverbraucherpreis von Erdölprodukten – das sowieso und nicht zu knapp. Er betreut und bewirtschaftet die Mineralölwirtschaft von Anfang bis Ende: von den ersten Explorations- und Erschließungsprojekten bis zur Auswahl von Raffinerie-Standorten, mit zwischenstaatlichen Rahmenvereinbarungen wie mit Vorschriften über den Schwefelgehalt von Brenn- und Treibstoffen; und durchaus auch mit Geld.

Den größten Teil der anfallenden Kosten, nämlich für die strategische Sicherheit der Ölversorgung, bestreitet die höchste Gewalt aus ihrem allgemeinen Haushalt. Zu Recht; denn bei der Entfaltung militärischer Macht weit über die eigenen Grenzen hinaus geht es ja wirklich nicht bloß um die eine materielle Lebensfrage ihres Kapitalstandorts, sondern um ihre Souveränität und ihren Stellenwert in der Hierarchie der Staatenwelt überhaupt. Subventionen der direkteren Art fließen auch; das staatlich gewünschte Maß an Versorgungssicherheit zu Billigpreisen hat eben seinen Preis. Natürlich gibt es auch Belastungen, die in den Kostpreis für Rohöl eingehen: Mehrkosten beim Bau von Pipelines oder Zurückhaltung beim Erwerb von Förderlizenzen wegen strategisch begründeter Sonderwünsche mächtiger ‚Verbraucherländer‘; der gesetzliche Zwang zur Rücksichtnahme auf anderweitige Eigentumsrechte und Geschäftsinteressen, wie er in „Umweltschutzauflagen“ kodifiziert und bisweilen sogar ohne Rücksicht auf die Preisfrage durchgesetzt wird, nach besonders schönen Tankerunglücken z.B.; am Ende auch noch der Aufwand für Bestechungsgelder, ohne die nicht bloß in den ‚Ölstaaten‘ „nichts geht“. Die lassen sich zum Teil dann wieder steuerlich absetzen.

Das Spekulationsgewerbe, für das natürlich alles, was Staaten mit- und gegeneinander tun, aber auch was sie lassen, was sie wirklich oder nur vielleicht planen usw., zu dem „Datenkranz“ zählt, aus dem es die inskünftige Marktentwicklung abzuschätzen gilt, hat damit erst das richtige Material für sein Geschäft an der Hand und viel zu tun, um den auch politisch einzig verantwortbaren Ölpreis herbeizuführen. Geldkapitalisten reagieren dabei in ihrer vorauseilenden Art besonders feinfühlig, wenn die großen Mächte und natürlich vor allem die Number One bei Gelegenheit wieder einmal den Einsatz von Gewalt zur Sicherung der globalen Geschäftsbedingungen, nicht nur am Ölmarkt, in Betracht ziehen. Dass derartige Eingriffe für nötig befunden werden, ist eindeutig ein negatives Datum, das zu einer Verteuerung des Rohstoffs Anlass gibt; vielleicht ist es aber, mittelfristig, doch eher gut, weil dann wieder Ruhe und Ordnung einkehrt in der Staatenfamilie. Wenn eine militärische Intervention tatsächlich ins Rollen kommt, so ist das insoweit gut, wie damit Zweifel an der Entschlossenheit der Zuständigen, von der bekanntlich die Wirksamkeit ihrer Abschreckungspolitik abhängt, ausgeräumt werden; negativ ist es aber auch, weil es den Geschäftsgang aktuell stört und im Einzelnen vielleicht doch kein Wunschergebnis herauskommt. Immerhin: Das einfühlsam spekulierende Geldkapital schafft es am Ende noch allemal, jedem Gemetzel auf dem Globus seine wahre, nämlich die eine politökonomische Bedeutung abzulauschen: hierfür ein Cent mehr, dafür ein Dollar weniger fürs Barrel Öl.

f) Zum politischen Preis der Ölprodukte, der die Auto fahrenden und Wohnungen heizenden Massen in den kapitalistischen ‚Verbraucherländern‘ unmittelbar trifft, leistet sich die demokratische Öffentlichkeit Ideologien der Bescheidenheit, die jedes Moment von Unzufriedenheit in sittliche Empörung über passende Schuldige transformieren und auf Scheichs, Multis oder auch die ausländischen Verursacher der weltweiten Klimakatastrophe lenken.

Die öffentliche Meinung in den kapitalistischen Demokratien verdolmetscht sich die Ölpolitik ihrer Staatsmacht mit ihren unliebsamen Ergebnissen, steigende Lebenshaltungskosten und vergiftete Lebensqualität betreffend, als fortwährende Auseinandersetzung des Gemeinwesens mit Problemen sittlicher Art, also vor allem mit schlechten Charakteren, wie die moderne Staatenwelt sie eben zu bieten hat. Geldgierige und widerspenstige Machthaber, die über die Lagerstätten „unseres“ Öls gebieten und sich am Recht der Nation auf kostengünstige Bedienung versündigen, spielen immer eine tragende Rolle, wenn die Preise mal wieder auffällig steigen; Tankerunfälle mit nachhaltig verschmutzten Stränden lassen die Profitgier von Multis sowie die Schlamperei auswärtiger Aufsichtsinstanzen in den Blick geraten, gegen die die eigene Regierung sich zu wenig traut. Das sind bleibende Figuren des Dramas, deren öffentliche Beschimpfung moralisch für vieles entschädigt.

Ein Paradigmenwechsel in den höheren Etagen des zivilisationskritischen Überbaus ist daneben zu notieren. Vor einigen Jahrzehnten wurde die Trivialität, dass fossile Brennstoffe nur in begrenzter Menge vorhanden sind, ihre Ausnutzung also irgendwann zu Ende geht, mit der kühnen Entdeckung, dass das Kapital sich darum nun überhaupt nicht kümmert, sondern auch beim Energieverbrauch durch rücksichtsloses Kalkulieren auszeichnet, in einer Theorie zusammengefasst, die von drohender Ressourcen-Knappheit berichtete. Der Spar-Imperativ, der daraus abgeleitet wurde, verrät die Funktion dieses Gedankens, die bei seiner Ausarbeitung zu einem halben Weltbild Pate gestanden und das Ergebnis eine Zeit lang populär gemacht hat: So allgemein, so grundsätzlich und so defensiv wurde die Befürchtung ausgedrückt, das Heimatland würde in dem Maße in eine unkontrollierbare Abhängigkeit geraten, in dem die Mineralölwirtschaft sich auf Kosten einheimischer Energiequellen breit machen dürfe. Der welthistorische „Ölpreisschock“ hatte zu dieser Sorge Anlass gegeben, und zu ihrer philosophischen Verarbeitung gleich mit. Solche Befürchtungen spielen mittlerweile keine Rolle mehr; der heutige ideelle Gesamt-Ölverbraucher ist sich der imperialistischen Herrschaft seiner Erfolgsnation über „ihre“ Ölquellen gewiss. Umso mehr geraten seiner öffentlichen Meinung die großen Konkurrenten in den Blick, die nicht zuletzt mit ihrem großzügigen, viel zu billigen Energieverbrauch ökonomische Erfolge erzielen, um die man sie beneiden muss, die also eindeutig Missbrauch treiben. Auch das lässt sich, wieder vor allem auf gut europäisch, wunderbar verallgemeinert am Energieverbrauch überhaupt ausdrücken, der in den konkurrierenden Nationalökonomien eine so große Rolle spielt. Eine der vielen verheerenden Wirkungen der kapitalistischen Produktionsweise liefert wieder den sachlich unanfechtbaren Stoff für die Inszenierung eines moralischen Weltskandals, der die Politik „herausfordert“ und „zum Handeln zwingt“: „Wir alle“ produzieren zu viel heiße Luft – und die andern lassen es sich nicht verbieten! Denn darin liegt der wesentliche Reiz der „menschengemachten“ Erderwärmung mit ihren katastrophischen Auswirkungen auf Inselstaaten und die Versicherungswirtschaft: Als Hauptschuldige sind die ungeliebte Führungsmacht der kapitalistischen Welt, zu der man sich als Europäer in zunehmend feindlicher Konkurrenz weiß, sowie der fernöstliche Partner, dem man seine weltwirtschaftlichen Erfolge noch nie gegönnt hat, dingfest zu machen.

Aus all dem wird übrigens kein weiterer Bestimmungsgrund des Ölpreises.

Ölpreis und Ölmarkt sind staatliches Werk; und es klärt sich allmählich, was das heißt. Nach innen wie nach außen elaboriert die Staatsgewalt, die über einen von Ölenergie gespeisten Kapitalstandort herrscht, die Geschäftskonditionen der Energiebranche zu einem ganzen System wirkungsvoller Zwänge und Sachzwänge: nach innen bis hinunter zu den alltäglichen Lebenshaltungskosten und Vergiftungsbedingungen ihrer einfachen Bürger; nach außen bis hin zu einem regional spezifizierten universellen Abschreckungsregime, für das auch schon mal in abschreckender Weise getötet werden muss. Davon lebt dann der Markt, darauf reagiert sein Preis. Oder anders: Das alles ist im Preis für Öl mit drin.

4. Öl – Lebensmittel der Lieferstaaten

a) Die ‚Ölstaaten‘ beziehen die materiellen Mittel, über die sie verfügen, aus dem Abgabepreis für ihr Öl, auf dem sie bestehen und der ihnen von den Abnehmern zugestanden wird. Ihre hoheitliche Macht beruht insoweit nicht auf einem von ihrer heimischen Bevölkerung produzierten Reichtum, sondern auf dem Dienst, den sie mit der geregelten kommerziellen Übereignung ihres Bodenschatzes an auswärtige Käufer dem Wirtschaftswachstum in den kapitalistisch produzierenden Nationen leisten. Die dadurch erworbenen Gelder setzen sie – außer für ihre Selbsterhaltung – für das Ziel ein, eine eigene kapitalistische Nationalökonomie zu Stande zu bringen, die den Bedürfnissen ihrer Macht entspricht. Souverän und ungeachtet aller notwendigen Misserfolge betreiben sie das paradoxe Unternehmen, als ‚Ölstaaten‘ den Status bloßer ‚Ölstaaten‘ zu überwinden.

Mit dem Petroleum verhält es sich wie mit allen „natürlichen Reichtümern“: Sie sind bloß stoffliche Voraussetzung für die Produktion und – womöglich erweiterte – Reproduktion der materiellen Mittel eines gesellschaftlichen Lebensprozesses, also – in dieser besten aller ökonomischen Welten – für die kontinuierliche Herstellung von Profit und die dadurch bewerkstelligte Akkumulation von kapitalistischem Eigentum in allen seinen Formen. Dass das Erdöl so wichtig, als idealer Energierohstoff für die größten Nationen unentbehrlich ist, ändert nichts an dem Verhältnis: Wichtig ist es ja nicht von Natur, sondern erst in einem und deswegen für einen Produktionsprozess, dessen Betreiber es als bequeme Energiequelle benutzen. Als „Schatz“, der im Boden liegt, besitzt es überhaupt keinen bezifferbaren Wert. Den bekommt es dadurch, dass es kein herrenloses Gut ist, sondern einen Eigentümer hat, der freilich selber nichts damit anfangen kann, und dass auf der anderen Seite kapitalistische Geschäftsleute sehr viel damit anfangen können und sich deswegen seine Aneignung – und anschließend dann auch noch seine Förderung, den Abtransport und die Aufbereitung – etwas kosten lassen.

Mit den ‚Ölstaaten‘ verhält es sich folglich auch nicht grundsätzlich anders als mit all den Ländern, die in der Rubrik der Rohstofflieferanten geführt werden: Sie liefern eine Zutat für die Produktion wirklichen gesellschaftlichen Reichtums – nämlich all der profithaltigen Waren, die Staaten für ihre Machtentfaltung, Unternehmer für ihren Geschäftsbetrieb, die „Verbraucher“ für ihren Lebensunterhalt benötigen und bezahlen müssen, also in letzter Instanz für die Produktion von Geld –, die sie selber nicht betreiben. Die Akkumulation von Kapital, in die ihr Naturprodukt mit eingeht, findet anderswo statt, in fremden Ländern – sonst würden sie ja unter die ‚Kapitalstandorte‘ zählen und wären nicht durch ein Rohmaterial ökonomisch definiert.

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Exkurs

Großbritannien z.B. ist bloß in der gehässigen Phantasie von Karikaturisten und ausländischen Neidern mit der Entdeckung und Erschließung seiner großen Vorräte an Nordsee-Öl und mit seinen Petroleumexporten zum „Scheichtum“ mutiert; für die politische Ökonomie des Landes ist der Überschuss an diesem Rohstoff nicht mehr als ein positiver Posten in der Exportbilanz.

Anders sieht es etwa mit Russland aus: Der Staat lebt – noch immer! – irgendwie von seiner umfänglichen industriellen Erbschaft aus Sowjetzeiten; doch von deren organisierter Reproduktion kann schon längst nicht mehr die Rede sein. Ihren Haushalt bestreitet die Moskauer Staatsgewalt jedenfalls nicht mehr aus einem kontinuierlich erzeugten nationalen Überschuss, sondern aus den Erlösen aus dem Export von Rohstoffen, Energieträgern vor allem, die das Land dank der Auflösung seiner einstigen Ökonomie gar nicht mehr braucht, dank deren Leistungen aber noch hat. So nähert sich diese Nation mit ihrem Verfall dem Status eines freilich besonders gewaltigen Rohstoff-Lieferlandes an.

Andere ehemalige Sowjetrepubliken gründen sich überhaupt neu als souveräne Staaten und bauen ihre politökonomischen Ambitionen auf die freie Verfügung über die „natürlichen Reichtümer“ auf ihrem Staatsgebiet, die ihnen mit der Auflösung der Sowjetunion – „endlich!“ – zugefallen ist. Sie wollen damit den Status von – immerhin halbwegs industrialisierten, in eine unions-weite Arbeitsteilung integrierten – Zulieferern – und immerhin auch Nutznießern – der von Moskau aus dirigierten realsozialistischen „Staatshandels“-Ökonomie überwinden, stattdessen in Kooperation mit zahlungskräftiger Kundschaft aus aller Welt, kapitalstarken Investoren und politisch interessierten mächtigen Nationen reichlich echtes Geld verdienen. In ihrem Bestreben werden sie auch voll anerkannt – und praktisch, mit jedem Vertragsabschluss und jeder wirklichen Investition, auf den Status von – ansonsten „deindustrialisierten“ – Zulieferern und – eher armseligen – Nutznießern einer kapitalistischen Weltwirtschaft, ind er sie ansonsten überhaupt nichts zu melden haben, festgelegt. Alle wirklichen politischen und ökonomischen Freiheiten, die sie sich mit ihrer Souveränität „errungen“ haben, ergeben sich aus der Konkurrenz der verschiedenen Weltwirtschaftsmächte, insbesondere zwischen den USA und der EU, um die spezielle, in Abkommen kodifizierte und in Pipelines materialisierte Ausrichtung des Ölexports dieser Länder – sowie, ausgerechnet, aus dem Konkurrenzinteresse, das das alte Zentrum Moskau an der Vermarktung ihrer Rohstoffe hat und dem es immer noch mit seinen aus Sowjetzeiten überkommenen materiellen Mitteln Geltung zu verschaffen vermag. Damit steht aber auch schon fest, dass aus den politisch emanzipierten Ölrepubliken der alten Sowjetunion gar nichts anderes werden soll als benutzbare Figuren auf dem Welt-Ölmarkt, Anhängsel also einer nunmehr echt kapitalistischen Energierechnung; alle Konkurrenzmanöver der maßgeblichen Mächte, von denen sie zu profitieren hoffen und die sie für sich auszunutzen suchen, zielen darauf ab, sie so oder so in diese wichtige Abteilung des Weltkapitalismus einzusortieren und sachgerecht zu disziplinieren. So weit haben sie es mit ihrer Befreiung also gebracht: Sie sind souveräne Objekte berechnender Prospektion und strategischer Aufsicht.[7]

Während diese neuen Staatsgebilde in ihren Status als Öllieferanten der kapitalistischen Großmächte neu eingewiesen werden, setzen die „altgedienten“ Ölstaaten, zum Teil schon seit Jahrzehnten, alles daran, sich aus diesem Status herauszuarbeiten; mit im Einzelnen ganz unterschiedlichen Voraussetzungen und Mitteln und entsprechend divergierenden Ergebnissen, aber nach einem ziemlich stereotypen Muster, was ihre Existenzbedingungen als Ölstaaten und die politökonomischen Notwendigkeiten ihrer „Entwicklungs“-Politik betrifft. Davon ist im folgenden die Rede.

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Die politische Ökonomie der ‚Ölstaaten‘ besteht in ihrem Außenverhältnis: Sie bedienen auswärtige Interessenten; und das noch nicht einmal mit einer im eigenen Land zu Stande gebrachten Eigenleistung, sondern allein damit, dass sie als Staatsgebilde einigermaßen gewaltmonopolistisch auf ihren Lagerstätten hocken und diesen „Naturreichtum“ seinen wirklichen Nutznießern übereignen. Dafür bekommen sie einen Anteil an auswärts geschaffenem wirklichem gesellschaftlichem Reichtum; nämlich – so will es die weltweite Marktwirtschaft – ein in anderen Ländern produziertes und vermehrtes Geld, mit dem sie sich gleichfalls in anderen Ländern produzierte Waren für ihren nationalen Betrieb aneignen können. Die Innenseite dieser ‚Ölstaaten‘-Ökonomie ist dementsprechend negativ bestimmt: Volk und Staatsgewalt haben ökonomisch nichts miteinander zu tun. Was die Landesbewohner herstellen und erwirtschaften, langt vielleicht für deren Subsistenz, je nach Lage der Dinge auch für einigen von irgendwelchen Machthabern angeeigneten Überschuss, trägt aber nicht die politische Macht, die ihrer Obrigkeit in ihrer Eigenschaft als ‚Ölstaat‘ zukommt. Die Staatsmacht ihrerseits hängt nicht von den paar Früchten ab, die ihre Untertanen fabrizieren – das ist die für sie angenehme Seite. Die weniger schöne Kehrseite ist die, dass sie von ihrer eigenen materiellen Existenzgrundlage nichts unter ihrer Kontrolle hat – außer dem „Bodenschatz“, der eben auch nur durch fremdes Interesse zu einem Mittel ihrer Existenz wird.

Damit findet sich heutzutage kein ‚Ölstaat‘ ab; mit dem Status des aus eigener Kraft gar nicht lebensfähigen Ölquellenbesitzers gibt sich keiner zufrieden. Selbst die idealtypischen Repräsentanten dieser „Grundrenten“-Ökonomie, die arabischen „Ölscheichs“, haben gelernt, was es heißt, souverän zu sein. Sie sind dem Vergleich mit der Macht der kapitalistisch produktiven Nationen ja laufend ausgesetzt, vergleichen sich auch selbst mit den Mächten, von denen und mit deren Geld sie bezahlt werden, und können gar nicht umhin, ihr großes Defizit zu realisieren: Ihnen geht die materielle Eigenständigkeit ab; nicht in dem Allerweltssinn, dass auch sie „vom Weltmarkt abhängig“ und in die „internationale Arbeitsteilung integriert“ wären wie jedes Mitglied der marktwirtschaftlichen Völkerfamilie, sondern weil sie mit ihrer gesamten politischen Herrschaft nur als Anhängsel externer Interessen existieren. Ihre Souveränität ist ohne materielle Substanz.

Das darf nicht so bleiben; der Schluss steht mit der Diagnose fest. Also haben alle ‚Ölstaaten‘ sich einen ökonomischen Aufbruch verordnet: Mit den Mitteln, über die sie als externe Zulieferer des Welt-Ölgeschäfts verfügen, wollen sie aus dem Status des Öllieferanten herauskommen und sich im eigenen Land, mit ihrem eigenen Volk, unter eigener Regie eine ökonomische Basis schaffen. Dafür setzen sie sich vor allem erst einmal richtig in den Besitz ihrer Ölquellen: Kein Staat gibt sich mehr damit zufrieden, die Multis auf seinem Boden nach Belieben wirtschaften zu lassen und ein paar Royalties zu kassieren. Mehr oder weniger treten sie alle als ihre eigene Ölfirma auf, bewerkstelligen meist selber oder in Joint Ventures mit den Ölkonzernen Förderung und Abtransport ihres Erdöls, treten auf alle Fälle ihren Abnehmern als gleichrangige Geschäftspartner mit eigenen Preisforderungen gegenüber. Sie werden also aktiv in Sachen Geldbeschaffung; und das dank der weltweiten Nachfrage nach ihrem Bodenschatz und dank der Natur ihrer Lagerstätten meist so erfolgreich, dass sie nach der Seite der Finanzmasse hin mit anderen Rohstoffländern schon mal nicht mehr in einen Topf gehören. Sie haben die Mittel, um einen regelrechten Staatshaushalt aufzustellen und zu finanzieren. Und mit dem gehen sie das Vorhaben an, in dem Land und mit den Leuten, die sie regieren, ein sich selbst tragendes produktives Wirtschaftsleben zu inszenieren; ungefähr so eins wie das, dem sie bislang ihr Erdöl bloß zuliefern. Denn an dem nehmen sie alle Maß; auch wo sie sich offiziell einem – „arabischen“ oder sonstwie der nationalen Sache gewidmeten – „Sozialismus“ verschrieben haben, ist ihnen nie etwas Besseres eingefallen als eine Kopie der so erfolgreichen Gelderwirtschaftungsmaschinerie, der sie sich bei ihren „Kunden“ gegenüber sehen. So wollen sie werden: wie die Mächte, denen sie ihren Status und ihre Finanzmittel verdanken und auf deren Warenangebot sie angewiesen sind, wenn sie nun also daran gehen, die vorfindliche Wirtschaftsweise ihrer Untertanen umzukrempeln. Sie investieren Einnahmen aus dem Ölexport als Kapital in Industrien, von denen sie sich die Basisversorgung einer inskünftigen Nationalökonomie mit allgemein benötigten Materialien, mit Energie und vor allem mit Kapitalerträgen sowie die Verwandlung ihrer Untertanen in ein produktiv arbeitendes Proletariat versprechen; vorzugsweise kümmern sie sich um die Weiterverarbeitung ihres Rohöls, um erst einmal an den Produktionsschritten zu verdienen, die sonst von den Ölkonzernen so überaus Gewinn bringend erledigt werden. Dass sich damit noch längst kein Wirtschaftskreislauf schließt, in dem ein Unternehmen dem andern dessen profithaltiges Produkt und am Ende eine werktätige „Erwerbsgesellschaft“ dem nationalen Kapital insgesamt seine Waren versilbert, so dass kapitalistischer Reichtum sich reproduziert und vermehrt, das nehmen sie notgedrungen in Kauf und stellen zusätzlich zum Kapitalvorschuss auch noch den Aufwand für die Aufrechterhaltung eines insgesamt defizitären Ensembles von Bruchstücken eines kapitalistischen Produktionsapparats in ihren Haushalt ein. Damit handeln sie sich allerdings auf der einen Seite Kritik und handfeste Zurechtweisungen seitens ihrer großen Ölhandelspartner ein. Denn die nehmen ihre Lieferanten in dem Maße, in dem die über Kaufkraft verfügen und sich um den Aufbau einer internen „Marktwirtschaft“ bemühen, gleich als Absatzmarkt für ihre Waren in Anspruch und dulden – ganz im Sinne der Freiheit des Welthandels, von der die ‚Ölstaaten‘ selbst leben – keine „staatlich subventionierte“ einheimische Konkurrenz. Auf der anderen Seite stoßen die „Entwicklungs“-Politiker mit den dauerhaften Zuschüssen, die die Inszenierung kapitalistischer Produktionsverhältnisse sie kostet, – schon längst oder alsbald – an die Grenzen ihrer Öleinkünfte und damit auf eine prinzipielle Schranke bei der Finanzierung ihres Haushalts: Solange sie noch nicht über einen selbsttätig akkumulierenden Kapitalstandort verfügt, geht der Staatsgewalt die Macht zu kapitalistisch wirksamer, in einer international anerkannten Währung realisierter Kreditschöpfung ab, auf die noch jede erfolgreiche Wirtschaftspolitik angewiesen ist. Indem sie den Haushaltspolitikern der fertigen kapitalistischen Nationen nacheifern, die in der komfortablen Lage sind, einem laufenden Akkumulationsprozess Steuer- und Kreditmittel zu entnehmen und damit wirksame Anstöße zu dessen Beschleunigung und Erweiterung zu finanzieren, handeln die Entwicklungspolitiker der ‚Ölstaaten‘ sich Ausgaben ein, mit denen auch ihre erfolgreichen Vorbilder schwerlich fertig würden, und verfügen noch nicht einmal über deren wichtigstes Mittel, nämlich nationalen Kredit. Es ist eben sehr teuer, sich einen ganzen nationalen Kapitalismus kaufen zu wollen.

Das Unterfangen kommt um so teurer, weil der Staatsgewalt aus ihrem Bestreben, ihre Untertanen in eine Geld produzierende und ausschwitzende kapitalistische Erwerbsgesellschaft zu verwandeln, neue und auch wieder kostspielige Herrschafts- und Betreuungsaufgaben erwachsen. Denn das schafft ein ‚Ölstaat‘ leicht, mit der Inszenierung einer flächendeckenden Geldwirtschaft überkommene Formen von Subsistenzwirtschaft und Überschussproduktion zu ruinieren. Die Chance, dem Sachzwang zum Gelderwerb zu entsprechen und sich mit Lohnarbeit nützlich zu machen, hat er für die Masse seiner Leute damit noch lange nicht geschaffen; geschweige denn kapitalistisch lohnende Arbeitsplätze, wenn sich in seiner heimischen Aufbauwirtschaft eigentlich noch gar nichts richtig lohnt. Er muss also eine neue Sorte Armut verwalten. Und bei der politischen Betreuung des Volkes kann er sich weder auf den überkommenen Gehorsam verlassen, der ja einer ganz anderen Sorte Herrschaft galt, noch auf die Sorte Loyalität, für die in fertigen kapitalistischen Nationen die ‚Sachzwänge‘ des bürgerlichen Erwerbslebens wie von selber sorgen. Per Saldo kostet das Volk, statt als produktive Klassengesellschaft und kapitalistische Ressource seinen Dienst zu tun – kein Zufall, sondern eine klare Auskunft über den Stellenwert menschlicher Massen in einem ölstaatlichen Aufbau- und Entwicklungsprogramm, dass die Länder einstweilen am besten dastehen, in denen es nennenswerte Volksmassen gar nicht gibt. Die anderen verfügen längst über mehr Auslandsschulden als Guthaben aus Öleinnahmen.

In der Funktion des korrespondierenden Mitglieds im Ölgeschäft – nach wie vor das Einzige, was an den ‚Ölstaaten‘, wie ihre Bezeichnung schon sagt, weltwirtschaftlich von Interesse ist und von der kapitalistischen Kundschaft zwingend verlangt wird – geht die politische Ökonomie dieser Länder also nicht – mehr – auf. Die ökonomische Scheidung zwischen der politischen Herrschaft, die auf Bezahlung durch die ‚Verbraucherländer‘ beruht, und ihren Untertanen ist nicht das letzte Wort. Die Regierungen setzen alles daran – ihre Einkünfte aus dem Ölgeschäft nämlich oder wenigstens einen guten Teil davon –, um sich ihres Volkes materiell zu bemächtigen und es lohnender Benutzung zuzuführen, damit ihr Land vom Anhängsel auswärtiger zur Brutstätte einer einheimischen Geldvermehrung wird. Dass sich das regelmäßig als schwierig bis undurchführbar erweist, ist kein Wunder; denn ein wenig paradox ist es schon, sich mit den Mitteln eines Anhängsels fremder Interessen aus dem Status eines solchen herausarbeiten zu wollen. Doch genau das ist der Erfolgsweg zu einem perfekten Kapitalismus, dem die ‚Ölstaaten‘ sich verschrieben haben. Und den geben sie nicht auf, bloß weil sie als erstes etliche unproduktive Seiten dieses Produktionsverhältnisses importieren.

b) Um ihrer politökonomischen Emanzipation von den Öleinnahmen willen führen die ‚Ölstaaten‘ einen fortwährenden Kampf um höhere Öleinnahmen. Ihre Kampfmittel sind zweischneidig; deren Anwendung schließt immer das Risiko von Einnahmeverlusten ein. Wirksam werden sie überhaupt nur, wenn und soweit die Lieferländer ihre Konkurrenz untereinander stornieren und gemeinsam einen Verteilungskampf um die Erlöse aus dem Ölgeschäft führen. Zu einer anerkannten Verhandlungsmacht haben sie es inzwischen auch gebracht. Die ausgehandelten Kompromisse verweisen sie allerdings immer wieder auf ihre Monokultur mit all ihren Defiziten zurück, so dass der Streit um den Ölpreis kein Ende findet.

Wenn die Regierungen der ‚Ölstaaten‘ in ihren Bemühungen, ihr Land zum vollwertigen Kapitalstandort zu „entwickeln“, immer wieder an die Grenzen der Leistungsfähigkeit ihres Staatshaushalts stoßen, dann werden sie nicht kritisch gegen ihr Projekt, sich ein ganzes kapitalistisches Produktionsverhältnis zu kaufen, und schon gar nicht zu Kritikern des Produktionsverhältnisses, dem sie als Anhängsel dienen und das sie sich unbedingt aneignen wollen. Sie erkennen in ihren Drangsalen nur ein einziges Problem, und zwar ein quantitatives: Offenkundig reichen ihre Einnahmen nicht; mehr Geld muss her. Also wird erstens nach Kräften mehr Öl gefördert. Freilich kostet das auf der einen Seite Investitionen, die die erhofften Mehreinnahmen schmälern, noch bevor sie erzielt sind; wobei es ganz gleichgültig ist, ob ein ‚Ölstaat‘ dafür seinen eigenen Haushalt strapaziert und mit Schulden belastet oder einen Ölmulti investieren lässt und dafür an den Exporterlösen beteiligt. Auf der anderen Seite zieht vermehrte Förderung, zumal wenn mehrere Lieferstaaten sich darauf verlegen, tendenziell sinkende Preise nach sich; am Ende bringen womöglich vergrößerte Exportmengen weniger Geld in die Staatskasse. Deswegen wird zweitens mehr Geld fürs Quantum Öl gefordert. So eine Forderung ist allerdings schwer durchzusetzen; immerhin stehen die eindeutigen Interessen der Konzerne und der ‚Verbraucherländer‘ dagegen. Ein Ausweg sind Sonderabmachungen mit bevorzugten Empfängerstaaten, etwa über einen Preiszuschlag als Entgelt für spezielle Liefergarantien; doch bleibt auch dafür immer noch der allgemeine Weltmarktpreis fürs Barrel maßgeblich; an dessen Tendenzen werden bislang noch alle Garantiepreise zu Schanden. Was bleibt, um diesen Preis nach oben zu drücken, ist die Zurückhaltung von Öllieferungen, um durch merkliche Verknappung Wirkung zu erzielen – realer aktueller Einnahmeverzicht also, den sich auch wieder kaum ein Staat leisten kann, für die bloße Hoffnung auf zukünftige Einnahmeverbesserungen. Mehr als ein frommer Wunsch kann aus dieser Hoffnung überhaupt nur unter der Bedingung werden, dass mehrere bedeutende Lieferstaaten zusammenhalten, ihre Konkurrenz um größtmöglichen Absatz stornieren und so lange Druck ausüben, bis die Ölkonzerne einen höheren Verbraucherpreis durchsetzen und bereit sind, von der Steigerung etwas abzugeben – also: einen Teil des Extraprofits, den sie machen, wie eine reguläre Differentialrente an die politischen Eigentümer der Lagerstätten wegzuzahlen.

Tatsächlich haben sich einige der wichtigsten ölexportierenden Länder mit dieser Zielsetzung in der OPEC zusammengetan – und dafür von den Apologeten des marktwirtschaftlichen Imperialismus den Vorwurf der Marktverfälschung eingefangen: der Freiheitsberaubung, begangen an der selbsttätigen Bildung des einzig wahren und gerechten Petroleumpreises. Gegen den Welt-Ölmarkt und dessen „Gesetze“ ist dieser Zusammenschluss allerdings gar nicht gerichtet. Das Verbrechen, das den OPEC-Mitgliedern angekreidet wird, besteht in nichts als dem Versuch, auf diesem Markt zu bestehen, am Energiebedarf der kapitalistischen Großmächte mitzuverdienen, an den Endverkaufspreisen der Ölkonzerne und den anfallenden Spekulationsgewinnen beteiligt zu werden und zu diesem Zweck Einfluss auf die Konjunkturen des Welt-Ölgeschäfts zu nehmen. Es ist nicht marktwidrig, dass sie sich mit politischen Mitteln darum bemühen, als ‚Anbieter‘ zu einer Macht auf diesem Markt zu werden; es gehört vielmehr zu den Widrigkeiten dieses Marktes, nämlich des universellen Konkurrenzkampfes der Nationen, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt als eine beständige politische Anstrengung, um ihren Interessen überhaupt Respekt zu verschaffen:

Auf der einen Seite müssen sie die Anfechtungen abwehren, denen ihr Kartell dauernd ausgesetzt ist und die – wie bei jedem Kartell – umso größer sind und umso stärker zersetzend wirken, je notwendiger der Zusammenhalt wäre, um den Beteiligten akzeptable Erlöse zu sichern – jedem einzelnen bringt es schließlich den größten nationalen Sondervorteil, wenn er als erster aus der gemeinsamen Kampffront ausbricht.

Auf der anderen Seite müssen die assoziierten ‚Ölstaaten‘ die Preispolitik, die sie gemeinsam hinkriegen, nicht bloß gegen die Marktmacht der finanzkräftigen Konzerne durchhalten. Sie bekommen es außerdem unweigerlich mit den politischen Machthabern der großen ‚Verbraucherländer‘ zu tun, die wenig Schwierigkeiten haben, sich auf einen für ihre kapitalistische Konjunktur allenfalls hinnehmbaren Höchstpreis für Erdöl zu einigen, und die über eine allemal überlegene politische Erpressungsmacht verfügen – sowie über einsichtige Ansprechpartner auf Seiten der Kartellstaaten, die ihnen den Einsatz härterer als diplomatischer Erpressungsmittel in der Regel ersparen.

So kehrt der so ungemein zivile und friedliche Welt-Ölmarkt am Ende ganz praktisch zu seinem Ausgangspunkt zurück: In der Ölpreis-Diplomatie entscheidet letztinstanzlich das zwischenstaatliche Kräfteverhältnis; Grundlage wie letzter Bestimmungsgrund der Öl-Weltmarktwirtschaft ist die entschiedene Machtfrage, nämlich die Übermacht der Öl konsumierenden kapitalistischen Nationen, die ihren Lieferanten keine Wahl lassen.

Was zwischen Käufern und Verkäufern am Ölmarkt ausgestritten und ausgehandelt wird, ist die jeweils bis auf Weiteres geltende Ablösesumme fürs Eigentumsrecht der ‚Ölstaaten‘ an ihren Erdölvorräten – die politische Grundrente also, von der schon oben in Kapitel 1. die Rede war. Die ist ihrer ökonomischen Natur nach und eben auch in ihrer Höhe ein für allemal etwas anderes als ein Kapitaltransfer, der die Lieferländer zu regulären Kapitalstandorten machen könnte; womöglich zu so potenten, dass sie mit den wirklichen Weltwirtschaftsnationen „gleichziehen“ könnten und in der Konkurrenz eine Chance hätten; gar noch zu solchen, die ihr Öl selber als Antriebsmittel für ihr eigenes Wirtschaftswachstum gebrauchen könnten und am Ende nicht mehr darauf angewiesen wären, es zu verschleudern. Um die ‚Ölstaaten‘ mit ihren ambitionierten Haushalten in einer immerzu prekären Zwangslage festzuhalten, braucht es also kein imperialistisches „Entwicklungs“-Verbot – obwohl es sogar solche Initiativen gibt, amerikanische Einsprüche z.B. gegen den Aufbau von Verarbeitungsindustrien in den Förderländern, die den Multis Geschäftsanteile wegnehmen könnten. Im Prinzip sollen die ‚Ölstaaten‘ sich ruhig um ihren nationalen Aufbau bemühen und dafür mit ihren Petrodollars Ausrüstungsgüter auf dem kapitalistischen Weltmarkt einkaufen; Kredit dafür gibt man ihnen gern. Es ist bloß so, dass der Zwang zum Kompromiss, das politische Diktat einer friedlichen Koexistenz zwischen Ölbesitzern und Ölverbrauchern, seine Wirkung tut. Am Ende aller Streitereien steht dann nämlich unweigerlich ein Ölpreis, mit dem alle „leben können“: die einen als kapitalistische Nutznießer der begehrten Ware; die andern als Ölverkäufer, denen es zwar völlig frei steht, ihre Erlöse in sinnvolle oder hoffnungslose Projekte zu stecken, die für ihren „Bodenschatz“ aber nun einmal nicht mehr verlangen können und kriegen als einen gerechten Anteil an dem am kapitalistischen Weltmarkt „durchsetzbaren“ Barrel-Preis. Der langt, um ihren Entwicklungsdrang enorm anzustacheln; und er zementiert zugleich genau das, wofür er auch bloß bezahlt wird: den Status der ‚Ölstaaten‘ als funktionelle Produkte und souveräne Erfüllungsgehilfen des Energiebedarfs der imperialistischen Nationen.

Manche schaffen es dann doch schon mal bis zum „Schwellenland“. Dann war aber erstens noch mehr als ein großer Erdölvorrat der Grund dafür. Und zweitens wird dann eben weiterhin anders auf ein solches Land und seinen „emerging market“ spekuliert – und noch besser an ihm verdient als bloß übers Öl.

c) Das Interesse der imperialistischen Nationen an ihrem Öl lässt Regenten von ‚Ölstaaten‘, die ihre Macht mehren wollen und unter dem Ungenügen ihrer zivilen Bemühungen leiden, auf die Alternative verfallen, ihren Bodenschatz als Waffe einzusetzen; also einerseits mit Boykott zu drohen, andererseits sich aus den Verkaufserlösen Gewaltmittel zu verschaffen, Korrekturen am zwischenstaatlichen Kräfteverhältnis zu erkämpfen und von den maßgeblichen Mächten, für die man doch so wichtig ist, Unterstützung zu erlangen oder wenigstens Duldung des nationalen Aufstiegskampfes zu erpressen. Mit dem „Griff zur Ölwaffe“ proben sie den ultimativen Aufstand gegen ihren Status als bloße ‚Ölstaaten‘, gegen internationale Kräfteverhältnisse, die sie an ein Dasein auf Basis fremder Geldzahlungen fesseln, und spekulieren dabei auf die Interessenlage ausgerechnet der Mächte, denen sie diese Existenz zu verdanken haben. Macht ein solcher Landesherr ernst und geht mit Gewalt gegen die für ihn erreichbaren Kräfteverhältnisse vor, durch die er sich beschränkt findet, dann riskiert er einen Abschreckungskrieg, in dem er wenig Chancen hat.

Ambitionierte Herrscher über ölreiche Landstriche streben nach Änderung der Verhältnisse, in denen ihr Land und ihre Macht befangen sind; und immer wieder einmal sieht sich einer zu Taten gedrängt. Das kann gar nicht ausbleiben. Denn auf der einen Seite bemerken sie gut genug das dringliche „vitale Interesse“ der Nationen, die es zur Produktion von Reichtum im Überfluss und zur Akkumulation von staatlicher Macht gebracht haben, an ihren natürlichen Reichtümern und finden sich dadurch zur Gleichrangigkeit mit ihrer Kundschaft berechtigt und berufen. Auf der anderen Seite registrieren sie ein beständiges Scheitern ihrer Bemühungen, mit den Mitteln, die der Welt-Ölmarkt ihnen verschafft, auf zivilem Weg eine respektable Macht auf eigenständiger materieller Grundlage zu werden. Ihre praktische Schlussfolgerung aus dieser nationalen Zwangslage bleibt nicht bei Anklagen gegen eine ungerechte Weltwirtschaftsordnung und ohnmächtigen Hilfsgesuchen stehen. Sie fahnden nach Hindernissen für den Erfolg ihres Aufstiegsstrebens, die in Reichweite der Gewaltmittel liegen, auf die sie dank ihrer Öleinnahmen und ihrer Beziehungen zu potenten ‚Verbraucherländern‘ Zugriff haben. Und sie finden in ihrer Umgebung allemal Ansatzpunkte zur Korrektur der politischen Geschäftsbedingungen, auf die sie ihr Scheitern zurückführen und denen mit geschäftlichen Mitteln gar nicht beizukommen ist.

In dem einen der zwei erwähnenswerten exemplarischen Fälle haben die nahöstlichen ‚Ölstaaten‘ in ihrer zweiten Eigenschaft als „arabische Nation“ einen Krieg gegen Israel unterstützt, materiell sowie mit dem erstmaligen Einsatz der „Ölwaffe“, nämlich einer durchschlagenden Verknappung ihrer Erdölförderung und -lieferung. In dem von Amerika ausgehaltenen Judenstaat sahen und bekämpften sie den Vorposten imperialistischer Unterdrückung ihrer großarabischen Emanzipation; mit einem Sieg hofften sie die Verhältnisse in der Staatenwelt entscheidend zugunsten ihrer „arabischen Sache“ zu verschieben. Der Krieg ging verloren; „Großarabien“ blieb die Chimäre, die es – wirklich nicht nur wegen Israels Übermacht – war. Und die Erpressung der imperialistischen Kundschaft mit stornierten Öllieferungen hat zu keinem anderen Ergebnis geführt als genau dem, das davon auch bloß zu erwarten ist: zur Wiederaufnahme des Ölgeschäfts, ganz im Rahmen und im Sinne der alten Geschäftsbeziehungen; mit einem neuen höheren Preisniveau immerhin, das freilich nach und nach wieder ziemlich „abgebröckelt“ ist.

Den anderen Versuch, den Stellenwert der „arabischen Nation“, vertreten durch die eigene, gewaltsam zu verbessern, hat die Regierung des Irak mit ihrem Krieg gegen den islamisch revolutionierten Iran sowie der versuchten Annexion Kuwaits unternommen. Beide Militäraktionen hatten aus irakischer Sicht das gleiche Ziel; nämlich: das Kommando über einen bedeutenden Anteil der Welt-Ölreserven zu gewinnen, speziell in der Golfregion die Konkurrenz der Ölbesitzer zu beenden, die nach irakischer Auffassung einem durchschlagend erfolgreichen Gebrauch des in den reichen Ländern so dringend benötigten Energierohstoffs als Entwicklungsmotor für Reichtum und Macht der eigenen Seite im Wege steht, und als durchgesetzte und anerkannte Vormacht die ganze Region auf den ihr zustehenden Platz in der Hierarchie der Weltmächte zu führen. Denn dass der Petroleumhandel im Prinzip für ganz viel autonome Macht gut sein müsste, wenn nur der Erfolg nicht immer durch sei es aus eigenem Antrieb feindliche, sei es vom Imperialismus gekaufte oder unterhaltene Konkurrenten und Gegner verhindert würde, das war für die irakische Führung erstens sowieso klar. Zweitens fand sie das praktisch durch die beträchtliche Militärmacht bewiesen, die sie sich immerhin schon mit ihren bis dato erwirtschafteten Öleinkünften hatte zulegen können. Und drittens war sie sich sicher, für ihr Vorgehen auf die Vorteilsrechnungen der entscheidenden Ordnungsmacht, der USA, zählen zu können: Der erste Golfkrieg ging gegen Amerikas neuen Hauptfeind in der Region, den Iran – und dafür hatte man ja wirklich berechnende Förderung durch die imperialistischen Mächte erfahren -. Für die zweite Aktion, die Besetzung und Annexion Kuwaits, meinte man in Bagdad sich zumindest stillschweigende Duldung verdient zu haben und auf gar keinen Fall mit einem regelrechten Krieg der Supermacht rechnen zu müssen, zumal dadurch doch die Ölzufuhr, das wichtigste Anliegen der westlichen Geschäftswelt, in Gefahr geraten würde.

Das Kalkül der Regierung ging also dahin, das politische Kräfteverhältnis im Nahen Osten mit militärischer Gewalt zu revidieren und die Nation von den Beschränkungen freizumachen, die sie und „Arabien“ überhaupt zur Drittrangigkeit in der Hierarchie der Staatenwelt verurteilten; das aber ohne sich den Urheber und Garanten eben dieser Staatenverhältnisse zum Feind zu machen. Den Widerspruch zwischen der wirklichen Grundlage der eigenen Macht, die ganz außerhalb der eigenen Reichweite liegt, und dem Willen zur Emanzipation hat der Irak so mit letzter Konsequenz zu seinen Gunsten aufzulösen versucht – und sich eine bis heute andauernde Zurechtweisung eingefangen. Der erste Golfkrieg hat den Amerikanern noch gefallen; allerdings auch schon nicht bloß deswegen, weil es gegen die widerspenstige iranische Moslem-Republik ging, sondern auch, weil zugleich eine Schwächung des über Jahrzehnte mit der falschen Seite im Kalten Krieg sympathisierenden und vom sowjetischen Hauptfeind ausgerüsteten Irak zu erwarten stand: Zwei Problemfälle der nahöstlichen Staatenwelt sollten sich wechselseitig matt setzen; in dem Sinne wurde auch mehr der Krieg als der Irak unterstützt. Beim Übergriff auf Kuwait dagegen wollten die USA es nicht darauf ankommen lassen, dass auch ein mächtiger gewordener Irak nicht mehr sein würde als ein besonders dickes Anhängsel des Welt-Ölgeschäfts. Sie fanden es hoch an der Zeit und haben die Gelegenheit ergriffen, die Kriegsdrohung in die Tat umzusetzen, unter die sie derart substanzielle Eigenmächtigkeiten auswärtiger Staatsgewalten eigentlich schon immer gestellt hatten und mit der sie angesichts der Abdankung des sowjetischen Gegenspielers den Rest der Welt meinten neu konfrontieren zu müssen. Unter dem Titel einer „neuen Weltordnung“ haben sie ihr globales Abschreckungsregime auf seinen aktuellen postsowjetischen Stand gebracht. So hat der irakische Emanzipationsversuch am Ende nicht mehr gebracht als eine beispielgebende Niederlage – und ein paar Gelegenheiten fürs Spekulationsgewerbe, am Ölpreis zu drehen.

Umgekehrt könnte der jüngste, eher zivile Vorstoß der besiegten irakischen Staatsmacht mehr in Bewegung setzen als alle ihre Schlachten. Ihr ultimativer Antrag, für die von der UNO gestatteten Ölexporte in Euro statt in Dollar bezahlt zu werden, tangiert zwar noch nicht einmal den Ölpreis selber übermäßig, sondern eben nur die Währungseinheit – damit aber nichts geringeres als die von ganz anderen Mächten noch ganz vorsichtig und unter Vorbehalten und Dementis in den Raum gestellte Frage, ob das letzte Kommando über die wichtigste einzelne ökonomische Ressource des Weltkapitalismus eigentlich grundsätzlich und immer bei den USA mit ihrem Dollar liegen muss. Dass Amerikas erklärter militärischer Feind diese Frage auf die Tagesordnung setzt, ist nur logisch: Sie enthält eine Kündigung der bisherigen internationalen Konkurrenzregeln.[8] Beantwortet wird sie daher aber auch ganz bestimmt zu allerletzt von den ‚Ölstaaten‘.

Auch das leistet also der Ölpreis: Den Ländern, in denen das Erdöl lagert und die es zu einem gerecht ausgehandelten Dollarbetrag verkaufen, verschafft er eine politische Herrschaft mit Ambitionen. Mit notwendigerweise unzureichenden, aber machtvollen Mitteln, ohne Beschränkung durch und Rücksichtnahme auf die überkommene Produktions- und Subsistenzweise der Leute, versucht diese ihrem Volk einen kompletten Kapitalismus zu oktroyieren. Aus der Position eines Erfüllungsgehilfen der kapitalistischen Weltordnung heraus entwickelt sie nicht selten anti-imperialistischen Ehrgeiz und, sobald sie es ernst meint, sub-imperialistischen Tatendrang; am Ende versucht sie sich an einer gewaltsamen Umsortierung ihrer Umgebung und wird von den wirklichen Imperialisten darüber belehrt, wie Gewalt und Recht auf dem Globus tatsächlich verteilt sind. In dem Preis, um den zwischen ‚Ölstaaten‘ und ‚Verbraucherländern‘ fortwährend gefeilscht wird, sind all diese Schönheiten als Sachzwang enthalten und mitgekauft.

[1] Die USA haben die Mineralölwirtschaft zum entscheidenden Bestandteil der kapitalistischen Energieversorgung gemacht, weil sie auf dem eigenen Staatsgebiet über zunächst quasi unbegrenzte Mengen leicht förderbaren Petroleums verfügen. Mittlerweile importieren sie kaum weniger, als im Land selbst gefördert wird. Angeblich schont der Staat auf diese Weise absichtlich seine nationalen Reserven. Das bedeutet aber auch nur, dass diese schon auf mittlere Sicht den Bedarf nicht decken; und kurzfristig verdoppeln ließe sich auch in Amerika die Ölförderung nicht. Großbritannien sowie Dänemark und Norwegen sind die einzigen Ausnahmefälle, in denen eine kapitalistisch akkumulierende „Industrienation“ Erdöl exportiert.

[2] Diese Freiheit des Weltmarkts, das Recht auf eigenverantwortlichen Verkauf des auf ihrem Gelände lagernden Erdöls, haben ehemalige Kolonien sich im Zuge oder sogar erst nach ihrer politischen Emanzipation erkämpfen müssen. Dass sie sich für die befreiten Nationen als zuverlässiger Sachzwang auswirken würde, ihre Boden-„Schätze“ nunmehr in eigener Regie weiterhin preiswert abzuliefern, erschien den Erdöl verbrauchenden Kolonialmächten überhaupt nicht sicher. Um so sicherer waren sich die Amerikaner, dass auf diesem Weg das monopolistische Verfügungsrecht ihrer imperialistischen Konkurrenten über die Naturprodukte ihrer kolonialen Besitztümer wirksam auszuhebeln, dem Recht der größten Geldmacht, die eindeutig bei ihnen lag, zum Durchbruch zu verhelfen war. Dass der Automatismus des freien Kommerz jedoch nur dann verlässlich seine Wirkung tut, wenn den Öl verkaufenden Souveränen keine Alternative bleibt – schon gar nicht die seinerzeit durchaus reale einer Orientierung auf die nach realsozialistischem Plan wirtschaftende Welthälfte –, das war den amerikanischen Anti-Kolonialisten auch schon von Beginn an klar. Deswegen haben sie in den entkolonialisierten Ölregionen des Globus nicht das kleinste strategische „Machtvakuum“ einreißen lassen, sowjetischen Einfluss mit ganz anderen als kommerziellen Mitteln bekämpft und das postsowjetische Zeitalter unter die Direktive gestellt, dass der freie Zugriff auf das Erdöl der Welt für die USA zu den „vitalen Interessen“ gehört, die jederzeit einen Waffengang rechtfertigen.

[3] Mit gleichem Recht kann man auf den Flugverkehr verweisen; auf den Massentourismus in ferne Weltgegenden; auf die Entstehung einer wahrhaft globalen Tourismus-Industrie, die wiederum neuen Energiebedarf nach sich zieht. Ohne Erdöl wäre das alles nicht passiert…

[4] Die Geschichte dieses Verteilungskampfes und seine Zwischenergebnisse sind für die Prinzipien der Preiskalkulation, die die Ölgesellschaften als die eigentlichen ökonomischen Subjekte des Welt-Ölmarkts anstellen, nicht weiter von Belang. Ein Sittenbild dieses Geschäftszweigs und seiner Geschöpfe ist ihnen allerdings zu entnehmen.

[5] Dazu gleich die Abschnitte c) und d).

[6] Manche „guten Beziehungen“ reichen ohne Zweifel an ein solches Verhältnis heran; das zwischen den USA und Saudi-Arabien zum Beispiel. Im System des amerikanischen Imperialismus dienen solche Beziehungen aber stets dem Zweck, ein globales Regime lokal abzustützen; es besteht nicht aus lauter solchen De-facto-Beherrschungsverhältnissen.

[7] Ausführlicheres zu diesem trüben Kapitel steht in dem Aufsatz Wem gehört das Kaspische Öl? Der Imperialismus mischt eine Region neu auf in GegenStandpunkt 3-2000, S.151.

[8] In seinen jüngsten Verhandlungen mit der EU hat auch Russland sein Projekt eines russisch-europäischen Energiepakts mit dem Vorschlag verknüpft, den Euro dadurch zu stärken, dass er den Dollar als Verrechnungseinheit für die russischen Energieträgerlieferungen ablösen könnte (Nowaja Gaseta lt. Deutsche Botschaft in Moskau, Russische Medienübersicht vom 1.11.2000). Für die russische Regierung ist das erklärtermaßen eine Angelegenheit von strategischem Interesse: Es geht ihr darum, auf die Art den Gedanken einer multipolaren Weltordnung voran zu bringen. Der Vorschlag zielt eben nicht bloß auf eine bequemere Art der Rechnungsstellung, sondern richtet sich tatsächlich in der Konsequenz gegen die durch die USA gewährleistete und im Dollar geschäftsmäßig realisierte bisherige Einheit des Welt-Ölmarkts, also gegen ein zentrales Stück der imperialistischen Geschäftsordnung. Das wissen natürlich auch die Europäer – und haben deswegen den russischen Einfall fürs Erste mit offiziell stillschweigender Nicht-Beachtung quittiert.